Senioren:Alt, aber glücklich

12. Deutscher Seniorentag

Heide Ecker-Rosendahl, Olympiasiegerin von 1972, und Franz Müntefering singen auf dem Seniorentag mit dem Männerquartett Bottrop das Steigerlied.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Schön, wenn das für alle gelten würde, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Seniorentag in Dortmund. Wäre da nur nicht das Wort "Pflegenotstand".

Von Susanne Höll, Dortmund

Dass der Bundespräsident mit seinen 62 Jahren schon zum alten Eisen zählt, würde kein Mensch behaupten. Aber auch Frank-Walter Steinmeier macht sich inzwischen so seine Gedanken über das Alter. Das ist keine schlechte Idee, insbesondere dann, wenn man Schirmherr des Seniorentages ist und dort eine Grußansprache hält.

Weil Steinmeier der sogenannten Generation der Babyboomer angehört, der kinderreichen Zeit der deutschen Aufbaujahre, und weil er als Teenager viel englische und amerikanische Popmusik gehört hat, erinnert er an diesem Montag in der Dortmunder Kongresshalle sich und seine Zuhörer erst einmal an die Beatles. Genauer gesagt an deren Song "When I'm Sixty-Four". 64 Jahre, unendlich fern sei einem damals ein solches Alter vorgekommen, sagt der Bundespräsident. Ja-Ja-Gemurmel im Saal und viel Kopfnicken. Der Komponist des Liedes, Paul McCartney, geht inzwischen auf die 80 zu und tourt immer noch durch die Weltgeschichte. Mick Jagger von den Rolling Stones ist ein Jahr jünger und Urgroßvater und steht auch noch auf der Bühne.

"Die Ikonen unbeschwerter Jugendlichkeit haben längst das Rentenalter überschritten", sagt der Bundespräsident. Die Gäste im Saal, gut 2000 dürften es sein, sind in den allermeisten Fällen auch im Rentenalter. Mit Paul McCartney und Mick Jagger aber haben sie ansonsten nicht sehr viel gemein. Es geht ihnen zwar in der Regel besser als ihren Eltern oder Großeltern. Aber weitaus nicht allen. Viele Ältere in Deutschland haben Sorgen, manche sogar Angst um ihre Existenz, ihre körperliche oder geistige Gesundheit, ihre häuslichen Finanzen. Und genau darum geht es beim Seniorentag. Alle drei Jahre findet er statt, jeweils in einem anderen Bundesland, organisiert von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen.

Deren Chef ist Franz Müntefering, wie Steinmeier einst Vorsitzender der Bundes-SPD. Er selbst ist jetzt auch schon 78 Jahre alt. Wie geht es ihm? "Muss ja", lautet die Antwort beim Gespräch in kleiner Runde. Er hat noch viel vor. "Ich werd' 100 Jahre." Und bis dahin? "Weitermachen, was denn sonst?" Müntefering ist auch in dem gesetzteren Alter kein Freund ausschweifender Reden. Die Seniorentage, drei an der Zahl, erhalten von Bundes- und Landespolitikern immer viel Aufmerksamkeit. Wenn der Bundespräsident nicht kommt, spricht die Kanzlerin. Die Älteren sind ein treues Publikum. Sie gehen zur Wahl, bleiben den Volksparteien ziemlich gewogen.

Steinmeier hält in Dortmund eine politische, keine präsidiale Rede. Die Not bei der Pflege müsse schnellstens beendet werden, der Begriff "Pflegenotstand" müsse aus dem deutschen Wortschatz und Alltag verschwinden. "Deshalb muss Pflege auf der politischen Agenda erste Priorität bekommen", verlangt der Bundespräsident von der Berliner großen Koalition. Nötig sei mehr Personal, mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Wertschätzung für die Pflegekräfte. "Pflege kann nicht billig sein - und sie darf nicht auf Kosten der Pflegekräfte billig gemacht werden", sagt er. Großer Beifall im Saal.

Draußen vor dem Saal wartet die Zukunft der Pflege: die Roboter Paula und Robbie

Die junge Frau mit Pferdeschwanz vor den Saaltüren hat die Rede des Bundespräsidenten zwar nicht gehört, weiß sich aber auch so mit Steinmeier völlig einig. Sie ist 26 Jahre alt, Altenpflegerin in Recklinghausen und empört über die Umstände, unter denen Patienten und Beschäftigte in deutschen Heimen leben und arbeiten müssen. Mit nur einer Kollegin versorgt sie jeden Vormittag eine Station, das Frühstück muss sie auch noch herrichten, Küchenhilfen gibt es nicht. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. "Mein Arbeitgeber würde das nicht gern sehen." Die junge Frau will sich auf der Ausstellermesse zum Seniorentag ein Bild machen von Betreuungsangeboten.

Die gibt es zuhauf. Zwischen Info-Büdchen karitativer Organisationen, Demenzberatungen, Computerhelfern, Ständen mit Nahrungsergänzungsmitteln und Fitnessgeräten kann man auch einen Blick auf die Zukunft der Pflege werfen. Die Universität Siegen und die Fachhochschule Kiel entwickeln zusammen mit Experten Anwendungen für Pflegeroboter. Zwei Kreationen haben sie mitgebracht. Putzige, weiß glänzende Maschinchen, die 1,20 Meter groß sind, auf Rollen laufen, riesige Kulleraugen haben und phänotypisch an den liebenswerten Außerirdischen E.T. aus Hollywood erinnern. Sie heißen Paula und Robbie, können sprechen, hören, tanzen, Witze erzählen und Memory spielen. Sie sollen Patienten im Pflegeheim aufheitern, beschäftigen und in Bewegung bringen. Auf Knopfdruck wackelt Robbie mit den Armen, fordert sozusagen zum Tanz auf.

Gilla, eine 67 Jahre alte Dame, ist am Morgen des Eröffnungstages aus Köln angereist und von den Robotern ganz begeistert. Sie tobt um Robbie herum, wirft die Arme in die Luft und beugt die Beine. Großartig sei das, sagt Gilla, genau das richtige Rezept für die Stunden, in denen man sich niedergedrückt und einsam fühle.

Wie auch Müntefering hat Gilla noch viele Pläne. Sie hat sich mit Blick auf die familiären Gene ausgerechnet, dass sie 93 Jahre schaffen wird. Das Alter mache ihr bislang keine großen Probleme, sagt sie: "Ich fühle mich wie 50." An einem Computerstand hat sie sich detailliert erklären lassen, wie man Bilder vom Laptop auf Internetseiten kopiert. Steinmeier hatte sich in seiner Rede gewünscht, dass möglichst viele Senioren sagen könnten, dass sie alt, aber glücklich sind - so wie der Liedermacher Cat Stevens es in seinem berühmten Song "Father and Son" dem Vater in den Mund legt: "I am old, but I'm happy". Gilla gehört zu jenen, die sich diesen Satz sofort zu eigen machen würden.

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