Süddeutsche Zeitung

Senegal:Die Jugend hat genug

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Die Proteste in einer der stabilsten Demokratien Afrikas drohen zu eskalieren. Auslöser ist die Festnahme eines Oppositionskandidaten. Doch den jungen Menschen geht es um weit mehr.

Von Anna Reuß, München

Als Senegals Präsident Macky Sall 2019 wiedergewählt wurde, sagte der Rapper Thiat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: "Mit Leuten wie Macky Sall an der Spitze wird sich in Afrika nie etwas ändern." Sall habe ein "diktatorisches Umfeld" geschaffen, indem er aggressiv gegen Oppositionelle vorgeht. Knapp zwei Jahre nach diesem Gespräch ist Thiats Frust ungebrochen. Noch immer steht er an der Spitze der Protestbewegung, die sich vor zehn Jahren den Namen "Y'en a marre" gab - genug ist genug.

In dieser Woche wurde Thiat bei Protesten in der Hauptstadt Dakar festgenommen. In den sozialen Medien posteten Menschen Solidaritätsbekundungen und Fotos, die den Musiker im schwarzen Pullover mit "Y'en a marre"-Schriftzug und in die Luft gereckter Faust zeigen.

Senegal ist eine der stabilsten afrikanischen Demokratien; sie hat noch nie einen Staatsstreich erlebt. Die anhaltenden Proteste, die sowohl von Oppositionsparteien als auch von Teilen der Zivilgesellschaft lautstark unterstützt werden, sind allerdings die schwersten seit Jahren. Nun drohen die Unruhen zu eskalieren. Bis zum Wochenende wurden bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften Berichten zufolge mehrere Menschen getötet und verletzt. Allein in Paris, wo viele Exil-Senegalesen leben, gingen am Wochenende Hunderte vor der Botschaft auf die Straße.

Einige Medien melden "bürgerkriegsähnliche Zustände"

Am Mittwoch waren die Proteste in der Hauptstadt Dakar und anderen Teilen des Landes ausgebrochen, nachdem der Oppositionskandidat Ousmane Sonko wegen Vergewaltigungsvorwürfen verhaftet worden war. Seine Anhänger behaupten, seine Inhaftierung sei politisch motiviert gewesen. Sonko war 2019 gegen Präsident Macky Sall angetreten. Er ist vor allem bei jungen Senegalesen beliebt und wird deshalb als potenzieller Herausforderer Salls bei den nächsten Wahlen gehandelt. Die Regierung bestritt, dass es eine Verschwörung gegen ihn gab.

Daraufhin verbarrikadierten sich am Donnerstag Studenten in der Cheikh-Anta-Diop-Universität. Sie warfen Steine auf Polizisten, diese reagierten mit Tränengas und Blendgranaten. Einige Medien sprechen von "bürgerkriegsähnlichen Zuständen", die seit einigen Tagen in Dakar herrschten. Vor einer von "Y'en a marre" geplanten Demonstration am Freitag ließen die Behörden zwischenzeitlich den Internetzugang einschränken, sodass Facebook, Whatsapp und Youtube nicht erreichbar waren.

Sonkos Verhaftung war nur der Auslöser, Gründe für die Demonstrationen gibt es einige. Es ist eine Mischung aus vielem, was sich in den vergangenen neun Jahren Präsidentschaft unter Sall angestaut hat: Enttäuschung von einer politischen Elite, die versprach, alles besser zu machen. Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit und Trauer um all jene, die sich in Booten auf den Weg nach Europa machten, um es dort besser zu haben - aber entweder nie ankamen oder oftmals auf der Straße landeten und aus Scham nicht zurückkönnen. Und es gibt die Wut auf das, was sie Neokolonialismus nennen: den Einfluss, den Frankreich noch immer in den ehemaligen Kolonien Westafrikas hat.

Präsident Sall hat eine ganze Generation enttäuscht

Senegals Jugend - und das sind viele, die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 - begehrt gegen die politische Elite auf. Wieder einmal. Für sie gilt der Schlachtruf, den die Bewegung aus Musikern und Journalisten 2011 ausgerufen hat, noch immer. Sie haben genug. Macky Sall war einmal angetreten, um alles zu verändern, doch es scheint, als habe er eine ganze Generation enttäuscht.

Im Jahr 2012 besiegte Sall den langjährigen Präsidenten Abdoulay Wade, einen greisen Herrscher, der als korrupt galt und seinen eigenen Sohn als Nachfolger installieren wollte. Dieser Nepotismus machte den damals 86-jährigen Wade gerade bei jungen Senegalesen unbeliebt. Als er schließlich seine Kandidatur für eine dritte Amtszeit ankündigte, obwohl die Verfassung nur zwei zulässt, war das der Beginn einer landesweiten Protestbewegung. Ihre Galionsfiguren waren Menschen wie Thiat.

Sall ist der erste Präsident, der nach der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich geboren wurde. Als er das Amt übernahm, sagte er noch: "Macht korrumpiert." Doch schon wenige Jahre später machte sich Ernüchterung unter den Jugendlichen breit, die große Hoffnungen in ihn gelegt hatten. Er schüchterte Oppositionelle mit autoritären Methoden ein, ließ Kundgebungen verbieten, verbog Wahlkreise zu seinen Gunsten - er nutzte, genau wie sein Vorgänger Wade, das Amt aus.

Der Rapper Thiat sagte vor zwei Jahren, dass sich seit den Protesten 2012 und mit der Wahl Salls zum Präsidenten nichts verändert habe. "Es ist die alte Politik mit neuem Stempel." Viele junge Senegalesen, die in diesen Tagen auf die Straße gehen, teilen offenbar seine Enttäuschung.

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