Süddeutsche Zeitung

USA:Die Mehrheit der Republikaner im Senat bröckelt

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Präsident Trump ist bei den Wählern erkennbar unbeliebt. Das macht auch seiner Partei zu schaffen. Es gibt erste Absetzbewegungen.

Von Alan Cassidy, Washington

Natürlich dreht sich jetzt alles in den USA um die Präsidentschaftswahl, wie sollte es auch nicht? Ob Donald Trump eine zweite Amtszeit erhält oder ob Joe Biden ins Weiße Haus einzieht, das ist die wichtigste Frage, die von den amerikanischen Wählern am 3. November entschieden wird. Der Präsidentschaftswahlkampf verschlingt das meiste Geld, er dominiert die mediale Debatte. Und doch fällt auf, wie wenig in diesen Tagen von der zweitwichtigsten Frage die Rede ist: Wer kontrolliert nach den Wahlen den Kongress, und insbesondere: Wer kontrolliert den Senat? Davon hängt ganz wesentlich ab, wie viel ein Präsident bewegen kann.

Die eine Kammer, das Repräsentantenhaus, befindet sich seit 2018 in demokratischen Händen. Und nicht einmal die Republikaner glauben ernsthaft daran, dass sich daran so schnell etwas ändern wird. Anders sieht die Lage dagegen im Senat aus. In der zweiten, in mancher Hinsicht wichtigeren Kammer, halten die Republikaner eine Mehrheit von 53 zu 47 Stimmen. Was das heißt, wird den Demokraten immer wieder schmerzhaft bewusst. Die Republikaner haben allein in diesem Jahr Dutzende Gesetzesvorschläge aus dem Repräsentantenhaus blockiert - und dafür Dutzende konservative Bundesrichter bestätigt. Noch vor der Wahl wollen sie die Juristin Amy Coney Barrett an den Supreme Court schicken.

Zu Jahresbeginn hatte die republikanische Mehrheit ziemlich solide ausgesehen. Nun wirkt sie zunehmend bröckelig. Damit die Verhältnisse in der Kammer kippen, müssten die Demokraten drei Sitze erobern, wenn Joe Biden die Präsidentschaftswahl gewinnt -weil jeweils der Vizepräsident bei einem Patt die entscheidende Stimme abgibt. Bei einem Wahlsieg Trumps bräuchten die Demokraten vier zusätzliche Sitze im Senat.

In der Praxis liegt die Hürde allerdings etwas höher. Im erzkonservativen Bundesstaat Alabama werden die Demokraten ziemlich sicher wieder einen Sitz verlieren, den sie in einer Nachwahl 2018 gegen einen umstrittenen Kandidaten der Republikaner gewonnen hatten. Das heißt: Sie müssen faktisch mindestens vier neue Sitze erobern, um sich die Vorherrschaft im Senat zu sichern, wenn Biden Präsident wird - und fünf, wenn Trump eine zweite Amtszeit erhält.

Glaubt man den Umfragen, dann scheint dies durchaus möglich zu sein. Gewählt werden 35 der 100 Sitze im Senat, aber tatsächlich umkämpft sind je nach Zählung bloß etwa zehn. Die Website FiveThirtyEight schätzt die Wahrscheinlichkeit eines Machtwechsels zugunsten der Demokraten auf 74 Prozent. Etwas vorsichtiger ist der bekannte Wahlforscher Larry Sabato. Er geht in seinem Newsletter Crystal Ball davon aus, dass die Demokraten nach der Wahl 50 Sitze halten werden, die Republikaner 49 - wobei ein Rennen so offen sei, dass er keine Prognose wage.

Dass sich die Republikaner überhaupt in dieser Position wiederfinden, haben sie Trump zu verdanken. Seine Beliebtheitswerte sind im Keller und ziehen auch die Senatoren in den Bundesstaaten nach unten. Die Zeiten, in denen die Amerikaner sogenanntes ticket splitting betrieben, sind zunehmend vorbei. Es gibt nicht mehr viele Menschen, die ihre Stimmen bei der gleichen Wahl an Kandidaten verschiedener Parteien geben, etwa einen Demokraten als Präsidenten wählen und einen Republikaner als Senator. Die Polarisierung hat dieser Praxis ein Ende gesetzt.

Wo Trump strauchelt, tun es auch die republikanischen Senatoren. Etwa Martha McSally, die im einst zuverlässig konservativen Wüstenstaat Arizona zur Wahl antritt. Sie unterlag schon 2018 einer Demokratin, erbte dann den Sitz des verstorbenen John McCain - und steht seither in der Kritik, Trump gegenüber entweder zu sehr oder wenig loyal zu sein. Unter Druck steht auch Susan Collins, die langjährige Senatorin von Maine. Sie distanzierte sich zwar immer wieder mal vom Präsidenten, was ihr allerdings viele ihrer eher den Demokraten zuneigenden Wähler nie abnahmen.

Wahrscheinlich werden die Republikaner auch in Colorado verlieren, einem Bundesstaat, der schon länger zu den Demokraten tendiert. Dort fordert der frühere Gouverneur John Hickenlooper den Republikaner Cory Gardner heraus. Hickenlooper ist wie auch die demokratischen Kandidaten in Arizona und Maine ein Vertreter der Mitte. In Arizona kommt hinzu, dass es sich um einen prominenten Quereinsteiger handelt: Mark Kelly war Space-Shuttle-Pilot und führte das Kommando beim letzten Flug der Raumfähre Endeavour.

Drei Sitzgewinne in Arizona, Maine und Colorado scheinen also für die Demokraten durchaus machbar zu sein. Ob es mehr werden, entscheidet sich am ehesten in den Bundesstaaten North Carolina und Iowa, wo die zwei republikanischen Amtsinhaber laut Umfragen in Bedrängnis sind. Den Demokraten hilft, dass sie alle Spendenrekorde für Senatswahlen gebrochen haben, selbst in Bundesstaaten wie South Carolina, wo ihre Chancen gering sind.

Kein Wunder also, dass sich bei den Republikanern zunehmend Absetzbewegungen von Trump ausmachen lassen. In North Carolina warb der angeschlagene Thom Tillis zuletzt mit dem Argument, dass der Senat "ein Gegengewicht zu einer Biden-Präsidentschaft" sein müsse. Senator John Cornyn aus Texas verglich seine Beziehung zu Donald Trump in einem Interview mit der Situation von "vielen Frauen, die nach der Heirat glauben, ihren Gatten verändern zu können, und danach merken, dass das in der Regel nicht sehr gut funktioniert".

Am deutlichsten wurde Senator Ben Sasse aus Nebraska. Er sei nie Mitglied des Trump-Fanclubs gewesen, sagte Sasse in einer Tonaufnahme, die kürzlich von der Zeitung Washington Examiner veröffentlicht wurde. Der Präsident trage die Schuld daran, dass seiner Partei im Senat ein "Gemetzel" drohe. Trump küsse Diktatoren den Hintern und flirte mit weißen Rassisten.

Die Demokraten träumen dagegen schon vom großen Wurf, falls es tatsächlich eine deutliche demokratische Senatsmehrheit geben sollte. Dann stehen wohl auch strukturelle Reformen zur Debatte, die von der Parteilinken schon lange gefordert werden: die Aufwertung der Hauptstadt Washington zum Bundesstaat mit eigenen Senatoren zum Beispiel. Das ergäbe zwei neue Senatoren, angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Washington, auf Jahre hinaus zwei neue demokratische Senatoren. Alles bloß Fantastereien? Das werden die nächsten Wochen zeigen.

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