Senat - Berlin:Debatte um Demonstrationen in Corona-Zeiten

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Berlin (dpa/bb) - Nach den großen Anti-Rassismus-Demonstrationen vom vergangenen Wochenende werden die Rufe nach neuen Konzepten für solche Veranstaltungen in der Corona-Krise immer lauter. In Berlin verlangten die Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek und der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber klare Regeln und Ideen für die nächsten großen Demonstrationen. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach aus dem Bundestag kritisierte das bisherige Vorgehen. Unverständnis gibt es in der Wirtschaft, dass große Kundgebungen erlaubt sind, andere Veranstaltungen aber verboten bleiben.

Zu der Demonstration am Samstag auf dem Alexanderplatz waren mit rund 15 000 Menschen weit mehr gekommen als von Veranstaltern und Polizei erwartet wurden. Eine Woche vorher hatte eine Protestaktion und Party mit Schlauchbooten auf dem Landwehrkanal für Irritationen gesorgt.

In Kürze stehen die nächsten großen Kundgebungen an. Am Sonntag (14. Juni) will das Bündnis "Unteilbar" mit einer größeren Demonstration in Form einer Menschenkette gegen soziale Ungerechtigkeiten und Rassismus demonstrieren. Am 20. Juni ist eine große Demonstration gegen steigende Mieten auf dem Potsdamer Platz geplant. Am (heutigen) Dienstag berät der Berliner Senat in seiner Sitzung über das weitere Vorgehen beim Thema Corona.

Kapek, deren Partei die Hauptstadt mitregiert und die Freigabe für große Demonstrationen unterstützte, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Es gibt in Berlin kein ausreichendes Konzept für pandemiekonforme Demonstrationen." Sie unterstützte die Idee einer Menschenkette. "Das wäre auch ein starkes Symbol." Sie forderte zudem von Innensenator Andreas Geisel (SPD) Aufklärung zu den Vorwürfen über aggressive und gewalttätige Polizisten. "Die Bilder, die im Netz veröffentlicht wurden, werfen erhebliche Fragen auf." Dort seien Polizisten in Kampfmontur zu sehen gewesen, die dunkelhäutige Menschen angegangen seien und Mädchen angebrüllt hätten.

Der SPD-Abgeordnete Schreiber sagte im RBB-Inforadio, die Abstandsregel sei bei Demonstrationen kaum durchzuhalten. Er sprach sich dafür aus, nur noch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorzuschreiben. Die Alternative sei eine Teilnehmerbegrenzung für Demonstrationen. Wenn man Demonstrationen zulasse, "dann muss man auch klar sagen, wie soll es praktikabel gemacht werden auch für die Berliner Polizei". Die habe bei der Demonstration am Samstag keine Chance gehabt, die Abstandsregel durchzusetzen.

Lauterbach sagte dem "Tagesspiegel": "Solche Demonstrationen sind ein Sargnagel für die noch bestehenden Regeln." Durch die lauten Sprechchöre seien Unmengen an Aerosolen auf engem Raum verteilt worden. "Viel zu viele Leute, zu wenige Masken, zu wenig Abstand - das ideale Super-Spreading-Event." Er regte an: "Für den Kampf gegen das Virus wäre es besser, nur mit Plakaten und Bannern zu demonstrieren."

Die Großdemonstrationen lassen unterdessen in einigen Branchen Forderungen nach weiteren Lockerungen laut werden. Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, sagte der "Bild"-Zeitung (Dienstag): "Wenn solche Großdemonstrationen genehmigt werden, stellt sich die Frage, wie verhältnismäßig die Auflagen sind, die der Gastronomie gemacht werden."

Der Konzertveranstalter Peter Schwenkow von der Deutschen Entertainment AG sieht in den Demo-Bildern ein Signal für mehr Öffnung. "Wir sollten jetzt zwei Wochen abwarten, welche Auswirkungen diese Demonstrationen auf das Infektionsgeschehen haben. Wenn nichts passiert, wird es höchste Zeit, dass wir spätestens ab Juli wieder in die Saison der Freiluftkonzerte starten", sagte er der "Bild"-Zeitung.

Auch nach dem 1. Mai gab es in Berlin Befürchtungen, dass Demonstrationen und nächtliche Versammlungen von einigen tausend Menschen in Kreuzberg zu einer erneuten Steigerung der Infektionsraten führen könnten. Das passierte nach den vorliegenden Zahlen allerdings nicht.

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