Senat - Berlin:Müller kontert Merkel: Ruf nach schärferen Corona-Maßnahmen

Berlin
Der Regierender Bürgermeister von Berlin Michael Müller spricht im Berliner Abgeordnetenhauses. Foto: Christoph Soeder/dpa (Foto: dpa)

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Berlin (dpa/bb) - Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat die Kritik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Corona-Kurs des Senats zurückgewiesen. "Ich glaube nicht, dass es klug ist, aus dem Kanzleramt heraus jetzt ein Länder-Bashing zu betreiben, denn wir haben alle gemeinsam eine große Aufgabe zu bewältigen und haben auch schon viel gemeinsam erreicht", sagte Müller am Montag in der "Tagesschau".

Am Sonntag hatte Merkel bei "Anne Will" gesagt: "Ich weiß jetzt wirklich nicht, ob Testen und Bummeln, wie es jetzt in Berlin heißt, die richtige Antwort auf das ist, was sich zur Zeit abspielt." Sie drängte die Länder massiv, die sogenannte Notbremse wie vereinbart zu ziehen und damit Lockerungen zurückzunehmen.

Angesichts der dritten Corona-Welle gerät der Senat mit seiner neuen, auf Öffnungen, Beschränkungen und mehr Tests basierenden Gegenstrategie unter Druck. Nach seinen Beschlüssen vom Wochenende mehren sich selbst in der rot-rot-grünen Koalition Forderungen nach schärferen Maßnahmen bis hin zu Ausgangssperren.

Die jüngsten Senatsbeschlüsse genügten nicht, um die dritte Welle zu brechen, sagte die Spitzenkandidatin der Grünen für die Abgeordnetenhauswahl, Bettina Jarasch. Nötig seien ergänzende Maßnahmen. "Die möglichen Schritte liegen auf dem Tisch: die erneute Schließung einzelner Bereiche im Geschäftsleben, schärfere Kontaktbeschränkungen und die Möglichkeit einer Verlängerung der Schulferien." In der Debatte über das weitere Vorgehen dürfe nichts tabu sein.

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Thomas Isenberg, forderte den Senat auf, die von Bund und Ländern für den Fall hoher Infektionszahlen vereinbarte Notbremse umzusetzen. "Es ist Zeit, dass der Senat endlich die Notbremse zieht, besser vorgestern als heute", erklärte er. "Nun brauchen wir eine Vollbremsung erst recht - deshalb leider auch eine Ausgangssperre." Wenn die Ministerpräsidenten der Länder hier nicht handelten, müsse der Bund einschreiten.

Bund und Länder hatten Anfang März einen Stufenplan für Öffnungen abhängig vom Infektionsgeschehen beschlossen, der auch eine Notbremse beinhaltet. "Steigt die 7-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner an drei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Bundesland oder einer Region auf über 100, treten ab dem zweiten darauffolgenden Werktag die Regeln, die bis zum 7. März gegolten haben, wieder in Kraft (Notbremse)", lautet die verbindliche Vereinbarung, die erst am vergangenen Dienstag bei einer Schalte mit Merkel ausdrücklich bekräftigt wurde. Am Montag lag in Berlin die Inzidenz bei 146,4.

Für Regionen mit einer Inzidenz über 100 wurden weitergehende Schritte vereinbart, etwa tagesaktuelle Schnelltests dort, wo Maske tragen schwierig ist, Ausgangs- oder verschärfte Kontaktbeschränkungen.

Dennoch setzt der Senat nicht auf diese Art Notbremse, die die Schließung vieler Geschäfte, der Museen und Galerien sowie mehr Kontaktbeschränkungen zur Folge hätte, sondern auf einen eigenen Berliner Weg. Vorsichtige Lockerungen bleiben, werden aber durch verschärfte Regeln vor allem beim Testen, für Unternehmen und bei der Maskenpflicht ergänzt. Am Mittwoch tritt alles in Kraft.

Berlinerinnen und Berliner müssen demnach einen negativen Corona-Test zum Einkaufen in Geschäften, für Besuche im Friseur- oder Kosmetiksalon, in Museen und Galerien vorweisen. Davon ausgenommen sind Supermärkte, Apotheken oder Drogerien, die auch im Lockdown offen waren. Die bisherige Pflicht, vor dem Shoppen in Modeboutique, Baumarkt oder Elektronikmarkt einen Termin zu vereinbaren, entfällt.

Für Unternehmen kommt eine Verpflichtung, ihren nicht zu Hause tätigen Beschäftigten zweimal die Woche kostenlose Tests anzubieten. Angekündigt ist zudem eine Landesregelung, um Betriebe zu mehr Homeoffice-Angeboten zu zwingen. Die Maskenpflicht gilt praktisch in allen Innenräumen jenseits der eigenen vier Wände. Erlaubt sind - etwa im ÖPNV, im Handel, beim Arzt oder im Krankenhaus - nur noch FFP2- Masken mit hohem Schutzfaktor und nicht mehr einfachere OP-Masken.

Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) hält das nicht für ausreichend und fordert eine nächtliche Ausgangssperre. "So viele Menschen stehen oder sitzen in großen Gruppen zusammen, mit Alkohol statt Maske. Genau die Altersgruppen, bei denen die Inzidenzzahlen explodieren", schilderte er seine Eindrücke am Sonntagabend bei Twitter. "Brauchen wie viele andere Länder auch eine abendliche Ausgangssperre. Breaking the waves!"

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja hindes warnte vor einem so weitgehenden Schritt. "Freie Menschen, die kein Verbrechen begangen haben oder eine Gefahr für andere darstellen, einfach wegzusperren, kommt für uns nicht infrage", sagte er der dpa. "Diese Maßnahme ist nicht kontrollierbar und auch nicht wirkungsvoll." Das Übertragungsrisiko lasse sich durch das Tragen einer FFP2-Maske wirkungsvoll minimieren - auch durch die bekannten Hygieneregeln und Abstand halten.

Martin Kriegel vom Hermann-Rietschel-Institut (TU Berlin) schrieb zu den Berliner Maßnahmen bei Twitter: "Das geht in die Hose!!!" Das gehe an der Wissenschaft vorbei, kritisierte der Experte für Gesundheit in Gebäuden.

© dpa-infocom, dpa:210329-99-17259/3

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