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Senat - Berlin:Berlin fordert Familienpflegegeld für Angehörige

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Berlin (dpa/bb) - Der Berliner Senat fordert mehr finanzielle Unterstützung für pflegende Angehörige und startet dazu eine Bundesratsinitiative. Ziel ist die bundesweite Einführung eines Familiengeldes ähnlich dem Elterngeld, wie Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Dienstag sagte. Demnach sollen Menschen, die Familienmitglieder oder auch Bekannte pflegen, für bis zu 36 Monate von ihrer Arbeitsstelle freigestellt werden können. Dafür sollen sie ein Familienpflegegeld in Höhe von 65 Prozent des entgangenen Nettogehalts bekommen - maximal sechs Monate am Stück; die übrigen Monate im Zuge einer Reduzierung ihrer Arbeitszeit.

Ob der Vorstoß eine Chance auf eine Mehrheit hat, ist offen. Sollte die Länderkammer einen Gesetzentwurf beschließen, wäre dann der Bundestag am Zug. Die Kosten, die der Bund tragen soll, schätzte Kalayci auf etwa eine Milliarde Euro jährlich. Gelten soll der Rechtsanspruch auf Freistellung - so der Vorschlag - ab einer Betriebsgröße von fünf Mitarbeitern. Die Betroffenen hätten nach der häuslichen Pflegezeit ein Rückkehrrecht in die Firma.

"Neben Arbeit, Kindern und Haushalt auch die eigenen Eltern pflegen - für immer mehr Beschäftigte ist das Alltag", begründete Kalayci den Vorstoß. Vor allem Frauen übernähmen diese Aufgaben. "Viele haben Schwierigkeiten, Pflege und Beruf zu vereinbaren, und müssen mit finanziellen Einbußen leben, weil sie ihre Arbeit für die Pflege einschränken oder ganz aufgeben. Das ist nicht gerecht."

Nach Angaben der Senatorin pflegen schätzungsweise 200 000 Berliner einen Angehörigen zu Hause, bundesweit seien es rund 3,3 Millionen. Vier von fünf pflegebedürftige Menschen in der Hauptstadt würden in vertrauter Umgebung in ihren eigenen vier Wänden betreut, gut die Hälfte ausschließlich durch Familienmitglieder gepflegt.

Zwei von fünf pflegenden Angehörigen seien berufstätig und müssten tagtäglich den schwierigen Spagat zwischen Beruf und Pflege bewältigen. "Pflegende Angehörige sind eine tragende Säule der pflegerischen Versorgung in Deutschland und brauchen unsere Unterstützung", unterstrich die Senatorin.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz unterstützt den Vorstoß. "Für die 670 000 berufstätigen pflegende Angehörigen ist eine staatlich finanzierte Lohnersatzleistung längst überfällig", erklärte Vorstand Eugen Brysch. "Doch die Berliner Bundesratsinitiative darf keine Absichtserklärung bleiben. Es gilt, Druck auf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auszuüben. Hierzu braucht es einen konkreten Gesetzentwurf." Der liegt noch nicht vor.

Auch auf einem anderen Feld der Pflege will Berlin laut Kalayci den Bundesrat einschalten. Nach dem Willen des rot-rot-grünen Senats soll die Länderkammer den Bund per Entschließung auffordern, Leiharbeit in der Pflege durch Gesetzesänderungen einzudämmen, und zwar in Krankenhäusern oder etwa Seniorenheimen.

"Wir beobachten, dass sich Leiharbeit zu einem eigenen Sektor in der Pflege entwickelt. Das gibt Anlass zur Sorge", sagte die Senatorin. Durch Leiharbeit seien Patientensicherheit und Qualität gefährdet, die Belastung für die festangestellten Pflegekräfte steige. Denn Leiharbeiter könnten sich ihre Arbeitszeit aussuchen, Festangestellte müssten dagegen den 24-Stunden-Betrieb einer Klinik absichern. Folge: Immer öfter wanderten Pflegefachkräfte zu Leiharbeitsfirmen ab.

Einen Schlüssel, um den Trend zu stoppen, sieht Kalayci in einer besseren Bezahlung der Pflegekräfte schon in der Ausbildung. Der Stellenwert des viele Jahre von der Politik vernachlässigten Pflegeberufs müsse steigen. In Berlin ist der Anteil von Leiharbeitern an Kliniken höher als im Bundesdurschnitt. Er liegt laut Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) bei sieben Prozent. In einigen Fällen würden 30 Prozent einer Schicht durch Zeitarbeiter besetzt. Daher begrüßte der Verband den Senatsvorstoß.

Ursprünglich verfolgte SPD-Frau Kalayci das Ziel, Leiharbeit in der Pflege zu verbieten. Das stieß aber vor allem beim grünen Regierungspartner auf Vorbehalte, so dass nun von Eindämmung die Rede ist. Die Leiharbeitsbranche selbst kritisiert die Pläne schon länger.

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