Seligsprechung von Johannes Paul II.:Missbrauchte Sehnsucht nach dem Heiligen

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Papst Benedikt XVI. hat Vorgänger Johannes Paul II. seliggesprochen - zu früh und zu schnell. Nach dem feierlichen Sonntag in Rom bleibt ein Unbehagen. Mit der Entscheidung macht die Kirche Politik und versucht sich reinzuwaschen.

Matthias Drobinski

Ja, es ergreift, wenn Papst Benedikt XVI. am Ende der ganzen glanzvollen Seligsprechungsfeierei im Petersdom vor dem Holzsarg seines Vorgängers kniet und betet. Das Zeremoniell wird innig, der Mensch, dessen sterbliche Reste da liegen, gegenwärtig: visionär und unbeirrbar, wie Karol Wojtyla war; herzlich und mystisch fromm, wie er sich gehalten wusste von seinem Glauben.

Rom: Seligsprechung von Johannes Paul II.
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Gläubige übernachten unter Brücken und quetschen sich auf den überfüllten Petersplatz: Wenn Papst Benedikt XVI. seinen Vorgänger Johannes Paul II. seligspricht, wird Religion zum Massenereignis. Eine Million Menschen wollen dabei sein.

Impressionen aus Rom

Johannes Paul II. hat Fehler gemacht, aber niemand, den die katholische Kirche seligsprach, war ohne Fehler, Mutter Teresa nicht und nicht Maximilian Kolbe, der antijüdisches Zeug schrieb, bevor er ins Konzentrationslager kam. Und trotzdem bleibt am Ende des feierlichen Sonntagmittags in Rom das Unbehagen.

Das Unbehagen bleibt wegen der alle Zweifel beiseiteschiebenden Eile, mit der Papst Benedikt und seine Mitstreiter den Prozess betrieben. Gerade bei einem Papst ist das unangebracht. Ein Papst ist kein frommer Einsiedler und keine sich selbst verschwendende Helferin wie Mutter Teresa. Ein Papst muss strittige Entscheidungen treffen. Er führt die größte Institution der Welt, sein Amt trägt an der ethischen Ambivalenz, die Führungsämtern zu eigen ist: Oft weiß man erst sehr viel später, ob eine Entscheidung der Menschheit genutzt oder geschadet hat.

Es wäre deshalb besser gewesen, die nächste oder übernächste Generation hätte darüber befunden, ob Johannes Pauls Beitrag zur Überwindung der kommunistischen Diktaturen schwerer wiegt als sein autoritäres Kirchenregiment, sein Eintreten für die Menschenrechte höher zu bewerten ist als seine Ignoranz gegenüber der sexuellen Gewalt, die Kirchenmitarbeiter Kindern antaten. Nun haben im Vatikan jene entschieden, die meist dem ihr Amt verdanken, den sie da zu den Ehren der Altäre erhoben haben. Die Seligsprechung hat damit ein immanentes Glaubwürdigkeitsproblem.

Der Wunsch, ein Zeichen des Positiven und Offensiven in die katholische Kirche hinein und in die Welt hinaus zu senden, war aber offenbar stärker als jedes Bedenken. Dabei ist es ein doppeldeutiges Zeichen. Ja, die Kirche ehrt einen in vielem bewundernswerten Menschen - aber sie treibt auch Politik, Geschichtspolitik. Johannes Paul II. hat zu Lebzeiten zwei Päpste seliggesprochen: Pius IX., den Papst des Ersten Vatikanischen Konzils von 1869/70, und Johannes XXIII., den Papst, der 1959 das Zweite Vatikanische Konzil eröffnete.

Pius XII. soll als nächstes an der Reihe sein

Das erste und das zweite Konzil gehören zusammen, hieß damals die Botschaft aus Rom. Sie stand dem entgegen, was die meisten Historiker sagen: 1869 machte sich ein lebensenttäuschter und misstrauischer Papst daran, nach dem Verlust der weltlichen Macht den geistlichen Machtanspruch auf die Spitze zu treiben. 1958 dagegen öffnete ein mutiger Papst die Fenster zur Welt, die seine Vorgänger so lange geschlossen hielten. Beide Päpste gleichermaßen seligzusprechen bedeutete: In der katholischen Kirche gibt es keinen Fortschritt als Abschied von dem Alten, das Alte bleibt, es war und ist.

Es ist eine dezidiert ahistorische Sichtweise, die sich nun zu wiederholen droht. Erst erhebt Papst Benedikt seinen Vorgänger, den Kämpfer gegen den Kommunismus - und dann soll Pius XII. an der Reihe sein, in den Augen seiner Anhänger ein Kämpfer gegen den Nationalsozialismus. Dass die Wahrheit anders aussieht, dass es ein Ineinander von Versagen und Bewährung gab, ist egal. Aus der Ambivalenz der Geschichte soll Eindeutigkeit und Heiligkeit werden, zum Nutzen einer Kirche, die so zeigen kann, dass sie nicht in der Krise steckt, sondern stark ist und gerechtfertigt vor Gott.

Ja, viele Menschen sehnen sich in einer vieldeutigen, ambivalenten Welt nach dem Heiligen, dem eindeutig Guten, mit Gott verbundenen. Auch das hat der Pilgerstrom am Tag der Seligsprechung gezeigt, der millionenfache Jubel. Die Sehnsucht nach dem Heiligen aber sollte die katholische Kirche nicht missbrauchen, um sich selbst reinzuwaschen.

© SZ vom 02.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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