Selbstzensur in den Medien:Über den Hochverrat

Sind wir Journalisten oder Trommelaffen? Früher war die Pressefreiheit vom Staat bedroht. Heute besorgen die Medien das selbst.

Heribert Prantl

Unser journalistischer Urahn Philipp Jakob Siebenpfeiffer, geboren im Revolutionsjahr 1789, war ein kämpferischer Mann, einer, der sich den Mund nicht hat verbieten und den Schneid nicht hat abkaufen lassen. Er war Schüler des liberalen Staatsrechtslehrers Karl von Rotteck, wurde mit 29 Jahren Landkommissär des Kreises Homburg in der Rheinpfalz, geriet aber bald mit dem Regime aneinander. Er trat aus dem Staatsdienst aus, wurde hauptberuflich bürgerlicher Revolutionär, demokratischer Volksmissionar, Journalist, Verleger und Streiter gegen die Zensur.

cicero, dpa

Das Verfassungsgericht beschäftigte sich mit der Razzia in der "Cicero"-Redaktion - und nannte das Vorgehen des staates "verfassungswidrig"

(Foto: Foto: dpa)

"Die Zensur ist der Tod der Pressfreiheit und somit der Verfassung, welche mit dieser steht und fällt", schrieb er in seiner Zeitung. Als die Regierung seine Druckerpresse versiegelte, verklagte er sie mit dem Argument: Das Versiegeln von Druckerpressen sei genauso verfassungswidrig wie das Versiegeln von Backöfen. Das ist ein wunderbarer Satz, weil darin die Erkenntnis steckt, dass Pressefreiheit das tägliche Brot ist für die Demokratie.

Vor 175 Jahren hat Siebenpfeiffer die Vaterlandsvereine "zur Unterstützung der freien Presse" mitgegründet und dann, im Mai 1832, zum Hambacher Fest eingeladen; dieses erste demokratische Fest war zugleich das erste große Fest der Pressefreiheit in Deutschland.

Diese Pressefreiheit galt den liberalen Meinungsführern damals als das demokratische Urgrundrecht und als Universalrezept zur Gestaltung der Zukunft; in dem Zauberwort Pressefreiheit flossen alle politischen Sehnsüchte zusammen. Was die blaue Blume für die romantische Literatur war, das war damals, für die ersten deutschen Demokraten, die Pressefreiheit: " ... die Welt hebt an zu klingen, triffst Du nur das Zauberwort". Der Kampf gegen die Zensur, das war der Kampf gegen die alte Ordnung.

Ein Jahr nach dem Hambacher Fest begann der Hochverratsprozess gegen Siebenpfeiffer und zwölf weitere Angeklagte. Das außerordentliche Schwurgericht zu Landau in der Pfalz saß über die Aufrührer und über die Pressefreiheit zu Gericht. Siebenpfeiffer hat sie verteidigt wie kaum ein anderer; aber dieser Kampf ist nicht gut ausgegangen für ihn. Als der von den Bürgern gefeierte und vom Staat verfolgte Mann letztlich doch verurteilt worden war, floh er - mittlerweile kränklich - mit seiner Familie in die Schweiz.

Freiheitskämpfer in Zwangsjacke

Er hatte keine Kraft mehr; und die Mitkämpfer von einst waren enttäuscht vom Aussteiger. Er wurde außerordentlicher Professor, litt unter wirtschaftlichen Nöten. Über seine letzten Jahre ist wenig bekannt. Er starb am 14. Mai 1845 in der Privatirrenanstalt von Bümliz. Man muss sich Siebenpfeiffer, den unbändigen Freiheitskämpfer, am Lebensende in der Zwangsjacke vorstellen. Das sei, schrieb sein Biograph Bernhard Becker, "ein Symbol für den weiteren Verlauf der Geschichte bis 1945".

Der große Freiheitskämpfer am Ende in der Zwangsjacke? Es ist ein unendlich trauriges Bild, ein Bild, das einen bekümmert, auch wenn man sich mit dem Journalismus von heute beschäftigt.

Die Zeiten der Zwangsjacke für die Pressefreiheit sind nämlich 1945 nicht ganz zu Ende gegangen. Es sind nur die Zeiten vorbei, in denen sich diese Zwangsjacken in der staatlichen Kleiderkammer stapelten und ein staatliches Hoheitsabzeichen trugen. Staatliche Fesselungsversuche gibt es auch heute noch in Deutschland - denken wir an die Durchsuchungsaktionen in Zeitungshäusern, Redaktionen und Privatwohnungen von Journalisten; und das Bundesverfassungsgericht wird, am Beispiel der Razzia beim Monatsmagazin Cicero, in wenigen Tagen die Staatsbehörden heftig dafür rügen.

Aber schlimmer als Cicero-Razzien sind die geistigen Zwangsjacken, die sich der Journalismus selber anzieht: Zu beklagen ist eine Tendenz zur Vermischung von Information und Unterhaltung. Zu beklagen ist die Vermischung von Journalismus und PR. Zu beklagen ist die Verquickung von Journalismus und Wirtschaft - die Tatsache also, dass sich immer mehr Journalisten zu Büchsenspannern und Handlangern von Wirtschaftslobbys machen lassen. Mittlerweile gibt es Medienpreise für "Kritischen Journalismus". Kritischer Journalismus - das sollte eigentlich eine Tautologie sein, ist es aber nicht.

Über den Hochverrat

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach im Jahr 2004 Caroline, der Prinzessin von Monaco, eine geschützte Privatsphäre auch außerhalb ihres Hauses zu; die Öffentlichkeit könne kein legitimes Interesse daran geltend machen, zu erfahren, wo die Prinzessin sich aufhält und wie sie sich allgemein in ihrem Privatleben verhält - und zwar auch dann nicht, wenn sie sich an Orte begibt, die nicht als abgeschieden bezeichnet werden.

Zumal die Verleger und Chefredakteure von bunten Blättern sahen daraufhin das Ende der Pressefreiheit nahen, weil das Caroline-Urteil das Persönlichkeitsrecht über Gebühr ausdehne. Doch was, bitte, ist die Prinzessin Caroline gegen den Dortmunder Verleger Lambert Lensing-Wolff?

Komplette Redaktion ausgetauscht

Der Verleger Lambert Lensing-Wolff, ihm gehören die Ruhr-Nachrichten, hat die komplette Lokalredaktion seiner Münsterschen Zeitung vor die Tür gesetzt. Mitte Januar erfuhren 19 Redakteure, dass sie ab sofort von der Arbeit freigestellt seien. Am Freitag produzierten sie die letzte Ausgabe, die Montagsausgabe wurde schon von einer neuen Mannschaft verantwortet, die der Verleger geheim und abseits der Tarifbindung aufgebaut hatte.

"Damit erreicht" so schrieb die Neue Zürcher Zeitung, "die Auslagerung journalistischer Arbeit aus den traditionellen Strukturen von Redaktion und Verlag eine neue Dimension". Schrittweise hatte Lensing-Wolff zuvor seine einstmals tausend Mitarbeiter in Redaktionen, Druckbetrieben, Vertrieb und Verwaltung in zahlreiche Tochtergesellschaften ausgegliedert. Die näheren Umstände des letzten Coups von Münster spotten jeder Beschreibung.

Wegen angeblicher "Renovierung" hatten die langjährigen Blattmacher der Münsterschen Zeitung ihr Pressehaus in der Innenstadt räumen und in die Kantine des alten Druckhauses umziehen müssen, schließlich wurden die Diensthandys abgeschaltet und die Redaktionscomputer gesperrt. Die angebliche Renovierung des Blattes bestand also in der Einführung von Manchester-Journalismus.

Schlimmer als staatliche Fesseln (da kommt notfalls - wie am kommenden Dienstag - das Bundesverfassungsgericht zur Entfesselung) sind heute die Zwangsjacken, die so manche Verleger und Verlags-Manager dem Journalismus anziehen. Der Verleger Lensing-Wolff sagt dazu: "Outsourcing ist Teil einer Flexibilität, die wir zur Modernisierung brauchen."

Journalist als Trommelaffe

Er redet von einem neuen Konzept des "rasenden Reporters", der mit "Laptop und Kamera nah am Geschehen ist, der online, on air und für Print berichtet". Ein Journalist nach diesem Muster ist also künftig für alles und alles gleichzeitig zuständig - für Fernsehen, für Radio, für online, für Zeitung.

Der Manchester-Journalist ist demnach ein Trommelaffe: Mit den Händen patscht er die Tschinellen zusammen, mit den Ellenbogen schlägt er die Trommel auf seinem Rücken, an die Füße kriegt er ein paar Klappern und Rasseln, in den Mund steckt man ihm eine Trompete. Das ist die neue Multifunktionalität der Pressefreiheit. So kehrt der Journalismus zurück zu seinen martkschreierischen Ursprüngen auf den Marktplätzen des Mittelalters.

Wer das als den ökonomistischen Spleen eines einzelnen Verlegers abtut, der weniger Verleger denn Renditier ist, der verkennt, dass zwar nicht das Trommelaffen-Konzept, aber doch eines, das man als Kobold-Konzept bezeichnen könnte, derzeit im Medien-Management große Sympathien genießt. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde von Vertretern an den Haustüren ein Kombinations-Staubsaugergerät verkauft: Der Kobold funktionierte nicht nur als Staubsauger, sondern, mittels von Zusatzmodulen, auch als Küchenmixer, Kaffeemühle, Farbpistole und Haartrockenhaube.

Über den Hochverrat

Rollende Redaktion

Loriot hat das in seinem berühmten "Heinzelmann"-Sketch ("Es saugt und bläst der Heinzelmann / Wo Mutti sonst nur saugen kann.") demonstriert: Ein und derselbe Motor kann einfach alles. Die Innovation bei der journalistischen Nutzung dieses Konzepts besteht darin, dass ein Motor, nämlich eine Zentralredaktion, künftig alles betreiben soll: den Staubsauger, den Küchenmixer, die Farbpistole und den Haartrockner. Ein Staubsaugerfachmann weiß aber, was Medien-Manager offensichtlich nicht wissen: Ein Motor packt das alles nicht.

Bei der WAZ gibt es jetzt eine rollende WAZ-Redaktion, in denen Redakteure im Kleinlaster durch die Städte rollen; das könnte eine gute Idee sein, wenn das nicht jene Städte wären, in denen zuvor Lokalredaktionen geschlossen wurden. So aber ist Bürgernähe in Wahrheit Stellenabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Pressefreiheit ist nicht die Freiheit, Redaktionen auszupressen oder sie, was immer öfter schon geschieht, durch redaktionelle Zeitarbeitsbüros zu ersetzen, als gelte es, ein Call-Center eine Weile am Laufen zu halten.

Schon heute sagt jeder dritte Journalist, dass die Zeit fehle, "um sich über ein Thema auf dem Laufenden zu halten". Dadurch ist - und das mitnichten nur bei vielen kleinen lokalen Blättern - eine zentrale journalistische Aufgabe gefährdet: das Aufspüren von Entwicklungen, das Sammeln, Bewerten und Ausbreiten von Fakten und Meinungen.

Es besteht wie noch nie seit 1945 die akute Gefahr, dass der deutsche Journalismus verflacht und verdummt, weil der Renditedruck steigt; weil an die Stelle von sach- und fachkundigen Journalisten Produktionsassistenten für Multimedia gesetzt werden, wieselflinke Generalisten, die von allem wenig und von nichts richtig etwas verstehen. Aus dem Beruf, der heute Journalist heißt, wird dann ein multifunktionaler Verfüller von Zeitungs- und Webseiten. Solche Verfüllungstechnik ist allerdings nicht die demokratische Kulturleistung, zu deren Schutz es das Grundrecht der Pressefreiheit gibt.

Der Ruf des Journalismus leidet, und mit ihm leidet der Wert der Pressefreiheit. Wie sehr er gelitten hat, dafür sind die steigenden Zahlen von Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen ein Indiz; ein Indiz ist auch die bisher meist eher matte Reaktion der Öffentlichkeit darauf. Beschlagnahmeaktionen in Redaktionen werden betrachtet und bewertet wie die Durchsuchungen in Wurstfabriken: Irgendetwas Verdorbenes wird sich schon finden.

Der Presse ist die Freiheit garantiert. Presse sind Journalisten, Verleger, Medienunternehmen. Die Pressefreiheit könnte entfallen, wenn diese Freiheit als Freiheit ohne Verantwortung missverstanden wird - und: wenn Medienunternehmen sich nur noch als Renditeunternehmen wie jedes andere auch verstehen. Manager, die glauben, die Herstellung von Druckwerken sei nichts anderes als die Herstellung von Plastikfolien, täuschen sich. Für die Hersteller von Plastikfolien gibt es nur die Gewerbefreiheit, aber kein spezielles, spezifisches Grundrecht.

Es hat einen Grund, warum es das Grundrecht der Pressefreiheit gibt: Pressefreiheit ist Voraussetzung dafür, dass Demokratie funktioniert. Wird dieser Grundsatz nicht geachtet, wird das Grundrecht grundlos.

Vor genau 175 Jahren ist der erste "Vaterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse" gegründet worden. Man kann das schön nachlesen, in der soeben wunderbar neuedierten Zeitung Deutsche Tribüne aus dem Jahr 1832. Die Deutsche Tribüne, herausgegeben von Johann Georg August Wirth, war das bedeutendste Organ des Vormärz.

Vielleicht müsste man so einen Presse-Unterstützungs-Verein heute wieder gründen. Vielleicht gibt es den Verein aber schon. Und er besteht schlicht aber ergreifend: aus unseren Leserinnen und Lesern.

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