Süddeutsche Zeitung

Selbstversuch:Grüezi, ich bin eine arme Sau

Kann ein Hartz-IV-Empfänger sein Erspartes in der Schweiz in Sicherheit bringen? Unser Autor machte den Test. Von Tobias Timm

Die ganz Reichen haben doch auch immer eins, ein Konto in der Schweiz. Alle paar Monate ein Ausflug in die Stadt der tropenholzgetäfelten Besprechungszimmer mit den grünledernen Schreibunterlagen. Geldverwaltung soll in der Schweiz einen sakralen Charakter haben. Seit Anfang des Jahres gibt es auch für Arme einen Grund für ein Depot in der Schweiz.

Jetzt gelten die Hartz-IV-Gesetze, und wer Arbeitslosengeld II beziehen will, der darf nur ein sehr kleines Vermögen besitzen. Der Vermögens-Freibetrag für den Langzeitarbeitslosen errechnet sich aus dessen Alter: Zweihundert Euro pro vollendetem Lebensjahr, mindestens 4100, höchstens 13.000 Euro.

Wäre der Autor zum Beispiel über ein Jahr arbeitslos, dürfte er nicht mehr als 5800 Euro auf seinem Konto haben. Hätte er mehr, weil er eisern gespart hat, als er noch Geld verdiente, dann müsste er auf staatliche Hilfe verzichten und sein Guthaben bis zum Freibetrag verknuspern.

Oder es aber, wie so viele seiner reichen Mitmenschen, in Sicherheit bringen - eben in die Stadt mit dem See und den grünledernen Schreibunterlagen. Was natürlich genauso wenig legal wäre, wie die Steuerflucht der Reichen. Rund 500 Milliarden Euro Fluchtkapital aus Deutschland werden in der Schweiz verwaltet, schätzen Finanzexperten. Aber kann ein Arbeitsloser mit wenig Erspartem ein Konto in der Schweiz eröffnen?

Zwei Tage arbeitslos

Ich schlüpfe also für zwei Tage in die Rolle eines Arbeitslosen mit wenig Geld und großer Mission: nach Zürich und an ein Konto kommen. Der Redakteur in München bittet mich, mir das "runtergewohnteste und billigste Hotel der Stadt auszusuchen: "Das kommt ja Ihrer Reportage dann auch zugute, hehe!" (Und, liebes Finanzamt Berlin, ich bin in Wahrheit weder arbeitslos noch habe ich ein Vermögen. Ich tue nur so.)

Die Reise beginnt im (natürlich verregneten) Berlin, am Flughafen Tempelhof, wo die Mitreisenden entweder der Student-Class oder der Mini-Business-Class angehören. Man müsste sich hier als Hartz-IV-Mensch nicht schämen. Es ist am billigsten, mit einer Discount-Airline nach München zu fliegen und von dort anonym mit dem Zug über die Grenze zu fahren. Nächste Station also: Bahnhof München.

Draußen schneit es jetzt, und zwar stark. Das Weiß fühlt sich nach Schweiz an, ein wattiger Vorbote! Kaum ist der Eurocity aus der Stadt, beginnt die Alpenvorlandschaft. Die Sonne bricht durch, fette Schneematratzen lagern auf Giebeldächern. Es ist schon viel schöner als im Brandenburgischen.

Simpsons und Hoyzer-Frisur

Zeit für eine Expedition in die Wagen der 1. Klasse. Der Mann mit dem braunen Kaschmir-Pulli und dem Thomas-Bernhard-Gesicht liest die Herald Tribune. Sein Gepäck: Eine schmale Ledermappe. Oder der junge Anzug-Mensch mit weiß-rosa-gestreifter Krawatte und Hoyzer-Frisur. Er sitzt alleine in einem Abteil, guckt auf seinem Notebook eine Simpsons-DVD und erschrickt, wenn man in sein Abteil schaut.

Als Reiselektüre habe ich ein älteres Buch des Kapitalismuskritikers Jean Ziegler mitgenommen. Der zitiert gleich zu Beginn Lenin: ¸¸Die proletarische Revolution wird von der Schweiz ausgehen."

Das Buch arbeitet schwer an diesem Ziel und lässt kein gutes Haar an der herrschenden Klasse der Eidgenossenschaft: Die helvetischen Banker seien die Hehler der Imperialisten. Irgendwann wollte Ziegler von Genf nach Cuba auswandern, doch Che Guevara hat ihm befohlen, in der Schweiz zu bleiben: ¸¸Du bist hier im Gehirn des Monstrums!

Was willst du mehr? Dein Schlachtfeld liegt hier . . ." Außerdem erfahre ich, dass an den Ufern des Zürich-Sees heimatlose Millionäre wuchern. Ich will mitwuchern.

St Pauli in Zürich

Die Banken haben geschlossen, als der Zug Zürich erreicht. Ich frage eine am Hals tätowierte Frau nach einer billigen Unterkunft. ¸¸Versuch"s in der Langstraße." Die Langstraße ist offenbar das St Pauli von Zürich. Die Bars tragen tropische Namen.

In einer Seitenstraße findet sich das Hotel ¸¸Contiki". Durch eine dicke Tür mit verspiegeltem Sehschlitz kommt man in eine Bar. Für sechzig Franken überreicht eine sehr blonde Russin den Schlüssel.

101. Die Zimmernummer steht in kleinen schwarzen Ziffern auf dem Türstock. Drinnen: kaputter Schrank mit einem Bügel, verwichste (man kann es leider nicht anders sagen) Stühle, ein mit Brandnarben übersäter Nachttisch. Die Bettdecke misst 1,40 Meter, der Autor ist immerhin 48 Zentimeter länger.

Kondome mit Himbeergeruch

Es riecht auch ein wenig nach einer Kondombeschichtung mit Himbeeraroma. Schaut man aus dem Fenster, sieht man auf eine viel befahrene Straße, auf Gleise und auf einen grauen Schornstein.

Dem Hotel gegenüber befindet sich das Lager von ¸¸Cahenzli Motos", und was sich hinter der daneben liegenden ¸¸Skin Art Factory" verbirgt, das wird der Hotelgast sich in der Nacht in einem Albtraum ausmalen. Ich habe Hunger.

Bei einem Thailänder an der Langstraße, wo man an langen Bänken sitzt und aber auch schon zwanzig Euro für ein (sehr) einfaches Abendessen zahlt, lerne ich eine Studentin der Ethnologie kennen, nachdem ich mit einer ungeschickten Bewegung ihre Stäbchen vom Teller katapultiert habe.

Celeste hat nach dem Abitur - welch Zufall - in einer Bank gejobbt. Sie verwaltete Safes und stellte dabei Feldstudien an: Die Kunden aus Indien mieteten große Tresore und kippten Handtaschenladungen von Goldschmuck hinein.

Die Deutschen hingegen begnügten sich mit Schubladen, in denen sie hastig Wertpapiere verstauten. Für meine Mission rät sie zum Besuch der Bahnhofstraße, wo sich die Geldinstitute tummeln. Die Studentin empfiehlt eine Privatbank, die so diskret ist, dass in ihrer Werbung das Wort ¸¸Bank" vermieden wird. In den Zeitungsanzeigen der ¸¸Bank" findet man die Standorte der Filialen: Grand Cayman, Guernsey, Luxemburg. Aber Hauptsitz: Zürich.

Spezielle Berater für Deutsche

Eine matte Glastür öffnet sich in einer Seitengasse der Bahnhofsstraße. ¸¸Gruezi wohl! Ich möchte ein Konto eröffnen." Die Empfangsdame im dunklen Kostüm nimmt den Kapuzen-Parka aus Polyester entgegen und weist den Weg zum Warteraum.

Marcel-Breuer-Sessel, heller Marmorboden. Für Deutsche haben sie hier spezielle Berater, einen von ihnen wird die Dame nun herbeitelefonieren. Solange kann man den Gesprächen der Kommenden und Gehenden lauschen: ¸¸Das ist ja blöd mit dem Dollar." ¸¸Wollen Sie eine Tasche für das große Kuvert?"

Dann kommt Herr X., ein Mittdreißiger im dunklen Anzug. Mit dem Lift geht die Fahrt in den vierten Stock, in ein Konferenzzimmer mit Holztisch, leider ohne grünlederne Schreibunterlagen. ¸¸Das erste Mal in Zürich?" ¸¸Was machen Sie beruflich?" ¸¸Wo wohnen Sie?"

Herr X. mustert dezent die Jeans und die Turnschuhe des Neukunden und fixiert dann vertrauensvoll meine Augen. Er sagt: ¸¸Berlin ist eine sehr interessante Stadt." - ¸¸Ja, aber leider auch arm. Wirtschaftlich ist es schwierig dort." Davon habe er gehört. So, und nun zu meinem Anliegen. ¸¸Ich möchte eine nicht ganz kleine Summe Geld außerhalb Deutschlands verwahren."

Zwinkerzwinker

Ja, verständlich: ¸¸Also, die Einstiegssumme bei uns hier ist 500 000." Meine Antwort: ¸¸Oh." Ich habe leider weniger. ¸¸Drei- oder Zweihunderttausend?" Weniger. ¸¸Dreißig- oder Zwanzigtausend?" Weniger. Herr X. guckt noch immer freundlich. Für eine solche Summe empfiehlt er mir eine der Großbanken hier in der Nähe, keine Privatbank.

¸¸Aber vielleicht wächst Ihr Vermögen ja in den nächsten Jahren, dann rufen Sie mich doch bitte an." Er reicht seine Karte über den Tisch. Wahnsinn, Herr X ist hier Vize-Präsident. Einer von vielen wahrscheinlich, doch ich fühle mich geehrt.

Am Lift sagt Herr X: ¸¸Vielleicht haben Sie ja Freunde, denen ich behilflich sein kann? Ich reise gerne zu Informations-Gesprächen an." An der matten Glasschiebetür gibt mein neuer Freund noch einen Ratschlag: Seine Visitenkarte solle man lieber nicht mit über die Grenze nehmen. ¸¸Könnte beim Zoll Probleme ergeben." Zwinkerzwinker.

Abhaken

Nächster Versuch: Paradeplatz. Eine Großbank. Der Lichthof steckt in einem Marmor-Overall. Durch eine automatische Glasschiebetür kommt man in die Eingangshalle, wo ein mittelalterlicher Tresor ausgestellt ist. Eine ausgewählt freundliche Dame reicht einen Zettel, auf den man seinen Namen notieren soll und das Land, in dem man wohnt.

Dann soll ich eins von zwei Kästchen anhaken: ¸¸Beabsichtigen Sie über 1 000 000 Schweizer Franken anzulegen oder weniger?" Das Kreuz bei ¸¸weniger" führt in einen Konferenzraum mit Tropenholzparkett! Ich beichte der Bankerin alles: die Arbeitslosigkeit, das eher kleine Erbe von 7000 Euro, die Hartz-Gesetze. Die Angestellte zeigt sich etwas verschnupft.

Ein Konto unter 50 000 Euro lohne sich nicht. Das koste 118 Franken im Jahr und da würde mein Guthaben über die Jahre schwinden. ¸¸Aber im Hartz-IV-Land verschwindet das Guthaben viel schneller!" Nein, ein Konto bei dieser Bank lohne sich nicht. Sie wird nun fast ein wenig streng. Ich gehe.

Geldsauger und Tresor

Jetzt ist eine heiß gedämpfte Schokolade fällig und dazu ein Apfelküchli, im Café Sprüngli. Beim Zahlen fällt wieder auf: Die Schweizer Geldscheine sind die schönsten Banknoten der Welt. Wie Tücher von Hermès. Aus edlem Material, mit reizenden Farben.

Auf dem Zehn-Franken-Schein lupft Le Corbusier seine Brille und schaut lustig - das Ganze in kräftigem Gelb-Orange, ach! Jede Stunde in Zürich kostet den Autor einen dieser Corbusier-Scheine: die Restaurants, die Cafés, die Kultur-Magazine. Diese Stadt ist nicht nur ein Tresor, sondern auch ein Geldsauger.

Also schnell zur X-Bank. Dorthin hat mich die verschnupfte Angestellte von vorhin geschickt. Hinter der Glastür, die der Kunde hier selber aufstoßen muss, wartet eine blonde Frau am Empfang und erklärt, dass alle ihre Mitarbeiter gerade auf der ¸¸Fonds-Messe" seien. Aber auch sie kann die Kontounterlagen aushändigen. Die wichtigste Frage: Gilt auch hier das Bankgeheimnis? ¸¸Nein, leider nicht," sagt die Dame und grinst: ¸¸Dafür gilt hier das Postgeheimnis."

Winkende Wachstumsmärkte

Triumphierender Blick der kessen Maus! ¸¸Sie sind selten in der Schweiz? Dann empfehle ich Ihnen das Online-Konto, das kostet nur zwei Franken im Monat, man bedient es über das Internet." ¸¸Aber ist das auch sicher, Sie wissen schon . . ." Sie wisse natürlich nicht, sie wolle auch gar nicht wissen! Zwinkerzwinker. ¸¸Aber das deutsche Finanzamt kann die drei Sicherheitsbarrieren unserer Internetseite nicht knacken."

Diese Frau ist stolz auf ihre Schweiz. Ich bin begeistert: Die X-Bank ist der Tresor für die Verfolgten der Hartz-IV-Gesetze! Statt auf die ¸¸Fonds-Messe" sollte die Schweizer X-Bank ihre Konto-Scouts auf Ausflüge nach Berlin schicken, da winken Wachstumsmärkte.

Ich gehe zum Bahnhof. Die nicht ausgefüllten Formulare der Post und die Visitenkarte von meinem neuen Freund, dem Vize-Präsidenten aus Bank I, verschwinden besser mal im Papierkorb.

Zivi-Zöllner kontroliert Tweed-Jackett

Kaum hat mein Zug Deutschland erreicht, schleichen drei Männer in Freizeitjacken durch den Großraumwagen und schielen nach den Taschen der Reisenden: der deutsche Zoll! Ein jovialer Sitznachbar, der weißhaarige Herr im Tweed-Jackett, wird kontrolliert. Der Zivi-Zöllner gibt ihm einen kleinen Zettel in die Hand. Der Nachbar liest und schüttelt dann den Kopf. "Dürfen wir kurz in die Taschen gucken?"

Die Freizeitjacken finden nichts. Vielleicht hat der rüstige Senior die Geldschein-Rollen in geheimen Körperöffnungen versteckt? Oder ist der Mann nur ein Lockvogel? Seine grüne Krawatte im Paisley-Muster wird von einem goldenen Dollarzeichen am karierten Hemd gehalten. Vielleicht soll das Weißhaar von dem eigentlichen Geldboten ablenken, der schräg gegenüber sitzt und obdachlos ausschaut.

Ich werde nicht kontrolliert. Ein wenig deprimiert das schon. Der Nachbar aber ist guter Laune. Was denn auf dem Zettel stand? Antwortet der: Ob man mehr als 15 000 Euro bei sich habe. Und lacht dann ganz erheblich.

(SZ vom 26. Februar 2005)

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