Süddeutsche Zeitung

Selbstverbrennungen in Tibet:Was Mönche in die Flammen treibt

Sie überschütten sich mit Benzin und setzen sich selbst in Brand, im Todeskampf schreien sie "Free Tibet": Vor genau einem Jahr zündete sich der tibetische Mönch Phuntsok an - aus Protest gegen die chinesische Regierung. Seitdem ist die Zahl der Selbstverbrennungen in den von Tibetern bewohnten Gebieten Chinas dramatisch gestiegen.

Friederike Zoe Grasshoff

Lobsang Phuntsok beschloss zu sterben. Nahe des Klosters Kirti in Sichuan protestierte der tibetische Mönch am 16. März 2011 gegen die chinesische Regierung, in der Hand ein Bild des Dalai Lama. Mitten auf einem Marktplatz übergoss er sich mit Benzin, dann zündete er sich an und rief: "Möge der Dalai Lama lang leben! Möge der Dalai Lama wieder nach Tibet zurückkehren!"

Die Polizisten sollen angeblich noch auf ihn eingeprügelt haben, als er bereits im Sterben lag. So berichten es zumindest exiltibetische Quellen. Passanten brachten ihn ins Krankenhaus, doch dort wurde ihm die Behandlung verweigert. Und Phuntsok starb.

Der 20-jährige Mönch hatte die denkbar extremste Form von menschlichem Protest gewählt - und damit ein Zeichen gesetzt. Für viele Tibeter ist der Verstorbene jetzt ein Held. Dieser drastische Akt der Selbstzerstörung, der kurz nach dem dritten Jahrestag der Proteste gegen die chinesische Regierung stattfand, erregte weltweit Aufmerksamkeit - und hat bis heute Signalwirkung.

Mittlerweile sind Selbstverbrennungen in den tibetischen Gebieten schon nichts Außergewöhnliches mehr. In der südwestchinesischen, an Tibet grenzenden Provinz Sichuan hat sich seit Phuntsoks Suizid eine beispiellose Serie von Selbstverbrennungen ereignet. Im vergangenen Jahr gab es fast 30 Nachahmer, die meisten starben an den Brandverletzungen. Erst am Vortag, am 15. März 2012, soll sich nach Angaben von Radio Free Asia erneut ein tibetischer Mönch verbrannt haben.

Aber was treibt einen Menschen dazu, sich selbst zu verbrennen? War Phuntsoks Suizid eine Verzweiflungstat, ein an die westliche Welt gerichteter Hilfeschrei oder gar ein Akt geistiger Verwirrung? Tsewang Norbu, Mitbegründer und Vorstandsmitglied bei der Tibet Initiative Deutschland (TID) ist sich sicher: Die allermeisten Selbstverbrennungen seien eine "bewusste Entscheidung". Norbu stammt selbst aus Tibet, mit zehn Jahren floh er nach Indien.

"Opfer für Tibet"

Die Tibeter, die sich zu einer Selbstverbrennung entschließen, sind "alles andere als verzweifelt und hoffnungslos", sagt Norbu zur SZ. Im "Wilden Osten" des tibetischen Kulturraums - dort liegt auch die Unruheprovinz Sichuan - seien die Tibeter sehr selbstbewusst und neigten eher dazu, sich "gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen als in Westtibet". Demonstranten wie Phuntsok verstünden sich gar als "Opfer" für Tibet.

Selbstverbrennungen sind kein neues Phänomen, weder unter Buddhisten noch weltweit. Schon 1998 und 2009 gab es Norbu zufolge zwei solcher Fälle. In der aktuellen Häufung erkennt Norbu jedoch eine "neue Qualität". Den ausschlaggebenden Grund für diese anhaltende Protestwelle sieht der Experte in der Verschärfung der chinesischen Repressionspolitik. Während die Tibeter in den östlichen Gebieten früher etwas freier gewesen seien als im Autonomen Gebiet Tibet, würden die Mönche heute oftmals dazu gezwungen, dem Dalai Lama abzuschwören. "Dazu sind sie nicht bereit."

So reagierte die chinesische Regierung auch umgehend auf Phuntsoks Selbstverbrennung - mit verschärften Sicherheitsvorkehrungen. Vor dem Kloster Kirti, einem der größten Zentren des tibetischen Buddhismus, wurde eine Polizeiwache errichtet. Hunderte Mönche wurden in Umerziehungslager verbannt. Früher lebten in dem Kloster 2500 Mönche - jetzt sind es nur noch 400.

Für die kommunistischen Kader in China sind die Selbstverbrennungen in Tibet eine "politische Verschwörung". Jiang Yu, Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, sagte auf einer Pressekonferenz Ende letzten Jahres: "Sich selbst zu verbrennen und Leben damit brutal zu vernichten, ist alleine schon eine Art von Terrorismus. Wir verurteilen diese Sabotageversuche von Separatisten."

Scharfe Kritik an China

Chinas Premierminister Wen Jiabao äußerte auf der Pressekonferenz zum Abschluss des Nationalen Volkskongresses sein "tiefes Bedauern" über die Selbstverbrennungen der tibetischen Mönche. Außerdem warf er der tibetischen Exilregierung im indischen Dharamsala vor, Tibet von China abtrennen zu wollen.

Lobsang Sangay, der Ministerpräsident der tibetischen Exilregierung, kritisierte die chinesische Regierung angesichts der Selbsttötungsserie aufs Schärfste. In einem Interview mit der TID sagte er, dass die Tibeter "nur wegen der aussichtslosen Zustände in Tibet zu solch drastischen Maßnahmen" griffen. Weiter sagte er: "Aber wir müssen die Schuld immer an der richtigen Stelle suchen. Und das ist die Besatzung Tibets durch China und die Unterdrückungspolitik der chinesischen Regierung."

Die tödlichen Protestaktionen heißt Sangay deshalb aber noch lange nicht gut: In einem Interview mit dem Deutschlandradio distanzierte er sich von der tödlichen Selbstaufopferung. Er selbst wie auch der Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt der Tibeter, hätten sich immer gegen solche Taten ausgesprochen. Schließlich würde das Leben im Buddhismus sehr hoch geschätzt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1310674
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/mcs/hai
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.