Selbstmordattentat in Istanbul:Sultanahmet - Anschlag auf die gemeinsame Geschichte

Selbstmordattentat in Istanbul: Blick über den leeren Sultanahmet-Platz mit der Blauen Moschee in Hintergrund

Blick über den leeren Sultanahmet-Platz mit der Blauen Moschee in Hintergrund

(Foto: AFP)
  • Im Istanbuler Viertel Sultanahmet ballen sich die geschichtliche Stätten der türkischen Metropole, die davor Byzanz und Konstantinopel hieß.
  • Nun hat der Terror das historische Zentrum der Türkei erreicht.
  • Es ist ein Anschlag auf die gemeinsame Geschichte von Morgen- und Abendland.

Von Lars Langenau

Bei einem Selbstmordanschlag im Istanbuler Altstadtviertel Sultanahmet kamen elf Menschen ums Leben, darunter zehn deutsche Touristen. Die Regierung in Ankara gab bekannt, dass es sich bei dem Täter um einen 28 Jahre alten Syrer gehandelt haben soll, der der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angehört habe. Den türkischen Behörden zufolge war der Attentäter vor kurzem in die Türkei eingereist. Er stand auf keiner Fahndungsliste. Türkischen Medienberichten zufolge wurde er in Saudi-Arabien geboren. Bislang waren Touristen kein IS-Anschlagsziel, zumindest nicht in der Türkei.

Wer auch immer sich diesmal bekennen wird: Es ist mehr als ein Anschlag auf westliche Touristen. Es ist ein Anschlag auf die gemeinsame Geschichte von Abend- und Morgenland.

Der Stadtteil Sultanahmet in Istanbul gilt als eines der beliebtesten Ausflugsziele in der Türkei für Touristen aus aller Welt. Benannt ist er nach Ahmet I., der als Sultan von 1603 bis 1617 über das Osmanische Reich herrschte. Der Sultanahmet-Platz ist der vielleicht schönste Platz Istanbuls. Sicher jedoch der historisch bedeutendste der alten Kaiser- und Sultanstadt. Nirgendwo sonst in dieser Metropole trifft der Besucher auf so viele bedeutende Überbleibsel aus der tausende Jahre alten Geschichte der Stadt.

Das Viertel auf der europäischen Seite ist inzwischen bequem erreichbar mit einer von Erdoğan als Istanbuler Bürgermeister in Auftrag gegebenen Metro der Linie T1. Wer an der Station Sultanahmet aussteigt, hat auf der einen Seite der Bahnstation eine Menge Restaurants und Souvenierläden und das einst berühmte Pudding-Café vor sich. Vor allem in der Hippiezeit trafen sich hier Reisende aus aller Welt zum Informationsaustausch für ihre Trips nach Afghanistan und Indien. Heute ist der "Pudding" eher eine Touristenkaschemme.

Doch gleich nebenan liegt, unterirdisch, eines der schönsten Bauwerke Istanbuls: die spätantike Zisterne, die von 336 jeweils acht Meter hohen überwiegend korinthischen Säulen getragen wird. Das Gewölbe, auch Versunkener Palast genannt, kennen Millionen Menschen etwa aus einer Verfolgungsszene aus James Bonds "Liebesgrüße aus Moskau". Jeden Tag stehen Hunderte Besucher vor der Eingangstür in Istanbuls Unterwelt.

Auf der anderen Straßenseite liegt ein weiterer touristischer Hotspot: die legendäre Hagia Sophia. Einst war sie die Haupt- und Krönungskirche des Byzantinischen Reiches, dann Moschee. Seit der Gründung der Republik im Jahr 1923 ist sie Museum. Noch heute beeindruckt die Kuppelbasilika durch ihre schiere Größe und ihre Ästhetik, die seit dem 6. Jahrhundert griechisch-römische und orientalische Elemente miteinander verbindet.

Jeder einzelne Stein erzählt Geschichte

Wenige Meter entfernt erstreckt sich der weitläufige Sultanahmet-Platz, auf dem jeder einzelne Stein von Geschichte kündet. Quer gegenüber der Hagia Sophia befindet sich in einem alten osmanischen Bau seit Kurzem ein luxuriöses Hamam, ein türkisches Badehaus für wohlhabende Besucher. Doch in der Regel flaniert man zum Platz zunächst am Kaiser-Wilhelm-Brunnen vorbei, der hier 1901 zum Andenken an den Türkeibesuch des deutschen Kaisers drei Jahre zuvor errichtet wurde. Dann blickt man auf das heute unbebaute antike Hippodrom, das nur erahnen lässt, was für eine Macht sich hier einst widerspiegelte.

Constantinople Konstantinopel, das heutige Istanbul, 500 nach Christus

Ein Stich aus dem Imperium Orientale, das das damalige Hippodrom im 17. Jahrhundert zeigt

(Foto: Getty Images)

Früher wurden hier, nahe dem (heute nicht mehr existenten) Kaiserpalast, Pferderennen vor 100 000 Zuschauern ausgetragen. Neben sportlichen Ereignissen war die direkte Umgebung des Hippodroms das soziale Zentrum der Hauptstadt von Byzanz. In der Mitte des an den Römischen Circus Maximus angelehnten Bauwerkes standen zahlreiche Kunstwerke. Heute ist aus der Zeit von Konstantin nur noch die Schlangensäule zu besichtigen. Kaiser Theodosius ließ den heute noch vorhandenen Obelisken aus dem ägyptischen Karnak in der Mitte der Rennbahn aufrichten. Hier hielt sich gerade eine deutsche Reisegruppe auf, als der Sprengsatz detonierte.

Ankara ist erst seit 1923 Hauptstadt

Das Gebiet um den Sultanahmet-Platz ist Gründungsort des Oströmischen Reiches unter Konstantin dem Großen, der seine Hauptstadt 330 nach Christus hierher verlegte und Byzanz zu seiner Hauptresidenz, zum neuen Rom machte. Nach seinem Tod wurde die Stadt in Konstantinopel umbenannt und blieb bis zur muslimischen Eroberung Hauptstadt der spätrömischen Kaiser. Beim vierten Kreuzzug 1202 bis 1204 wurde Byzanz vom Westen erobert und geplündert - bis heute ein Menetekel in den Beziehungen zwischen dem Katholizismus und der orthodoxen Kirche. Nach der muslimischen Eroberung 1453 wurde die Stadt in Istanbul umbenannt und Hauptstadt des Osmanischen Reiches unter Sultan Mehmet II. Ankara ist erst seit 1923 Hauptstadt der türkischen Republik.

Seinen Namen hat das Viertel durch die berühmte Sultan-Ahmet-Moschee - oder Blaue Moschee. Dieses großartige Bauwerk ist gleichzeitig eine der bedeutendsten religiösen Stätten Istanbuls. Das Gebetshaus wurde während der osmanischen Herrschaft im 17. Jahrhundert unter Sultan Ahmet I. erbaut. Entworfen von dem genialen Architekten Mehmet Aga ist die Moschee schon von weitem von den vielen hundert Moscheen Istanbuls zu unterscheiden, da sie sechs Minarette besitzt (üblich sind vier). Das Innere ist mit prächtigen blauen Fliesen verkleidet, denen sie ihren Beinamen Blaue Moschee verdankt.

Fußläufig entfernt ist der Topkapi-Palast, in dem bis zum Zusammenbruch des Osmanischen Reiches die Sultane residierten. Wenige Minuten zu Fuß in in die andere Richtung liegt der Große Basar.

Es war ein Anschlag in das Herz der Stadt.

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