Sekte Colonia Dignidad:Deutsche Abgründe in Chile

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Hier kann man essen, schlafen oder Unimog fahren: Villa Baviera in Chile, wo früher die Terrorsekte Colonia Dignidad lebte.

(Foto: REUTERS)

Massenmord, Kindesmissbrauch, Giftgasproduktion: Das Treiben der deutschen Sekte Colonia Dignidad in Chile ist juristisch immer noch nicht bewältigt. Mit einem neuen Ermittler könnten nun neue Beweise ans Licht kommen.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Deutschlands ehemalige Terrorsekte in Chile frönt dem Tourismus, man kann jetzt dort essen, schlafen oder Unimog fahren. Doch Aufklärer steigen gerade wieder in die Abgründe der früheren Colonia Dignidad hinab, die inzwischen Villa Baviera heißt.

Kürzlich wurde der Richter Mario Carroza auf dem riesigen Gelände unter den Anden vorstellig. Zwei Zeugen führten ihn zu fünf Stellen des "bayerischen Dorfes", an denen während der Militärdiktatur die Reste von Regimegegnern verscharrt worden sein sollen.

Deutsche Auswanderer unter Leitung des pädophilen Priesters und Nazi-Schergen Paul Schäfer hatten die "Kolonie Würde" in den Sechzigerjahren gegründet und zur religiös-faschistischen Enklave gemacht. Der 2010 verstorbene Schäfer missbrauchte und quälte in seinem straffreien Revier nicht nur massenhaft Kinder. Nach dem Putsch des Generals Augusto Pinochets 1973 wurden mehrere chilenische Oppositionelle in dieser teutonischen Mustergemeinde gefoltert und ermordet.

Neue Beweise könnten ans Tageslicht kommen

Nach Jahrzehnten des Schweigens hatte bis zuletzt der Richter Jorge Zepeda in der Causa ermittelt, aber sein Interesse hielt sich auffällig in Grenzen. Dabei reichen die mutmaßlichen Verbrechen in diesem einstigen Staat im Staate bis zu Massenmord, Waffenhandel, Giftgasproduktion und Geldwäsche. Nun übernimmt der Jurist Carroza, der bereits die mögliche Vergiftung des Dichters Pablo Neruda und anderen Horror untersucht. Knochen und Waffen wurden auf dem Gebiet der Colonia Dignidad alias Villa Baviera längst entdeckt. Eine Fernsehsendung aktualisierte kürzlich Hinweise auf weitere Fundorte.

Bei diesen Ausgrabungen könnten neue Beweise ans Tageslicht kommen, außer den Resten Vermisster vielleicht auch Namen von Tätern. Es heißt, die dokumentationsfreudigen Verantwortlichen hätten eine Menge Karteikarten eingebuddelt. Ein anderer Teil dieser Papiere war lange Zeit chilenisches Staatsgeheimnis und wurde vor einigen Monaten freigegeben. Die Unterlagen illustrieren die Kontakte der Colonia Dignidad zu Armee und Geheimdienst des Pinochet-Regimes.

Zur Sprache kam die Sache auch im Rahmen des Besuchs von Chiles sozialistischer Präsidentin Michelle Bachelet am Montag bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dank steten Drucks weniger Aktivisten. Der chilenische Außenminister Heraldo Muñoz empfing danach Überlebende und Mitglieder der "Vereinigung für die Erinnerung und die Menschenrechte Colonia Dignidad" in seinem Berliner Hotel. "Es tut sich was", sagt Jan Stehle, der bei dem Gespräch dabei war und die unfassbare Affäre seit Jahren erforscht.

Es tut sich sogar was im zähen Verfahren um Hartmut Hopp, den früheren Colonia-Arzt und Vertrauten Schäfers. Hopp wurde 2013 in Chile wegen Beihilfe zur Vergewaltigung zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Das European Center for Constitutional and Human Rights erstattete außerdem Anzeige wegen Mord und Körperverletzung. Hopp indes war 2011 nach Krefeld geflüchtet und profitierte bisher von der Tatsache, dass Deutschland keine Staatsbürger ausliefert.

Mittlerweile verlangt Chiles Justiz jedoch eine deutsche Vollstreckung der Haftstrafe, der Antrag wird geprüft und gilt als aussichtsreich. Auch stellt die Bundesregierung ihre bizarren Hilfsgelder für die verbliebenen Kolonisten ein und will die Vergangenheitsbewältigung unterstützen.

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