Süddeutsche Zeitung

Seerecht:Jeder muss helfen

Die Besatzung jedes Schiffs hat die Pflicht, in Not geratene Menschen zu retten, wenn sie bemerkt werden.

Von Eva-Maria Brändle, Camilla Kohrs und Philipp Saul

Wie im Fall des Rettungsschiffs Sea-Watch 3 gibt es immer wieder Streit um die Seenotrettung - wer nimmt die Geflüchteten auf, wo sollen sie hingebracht werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wer muss in Seenot geratenen Menschen helfen?

Nicht nur Seenotretter müssen helfen. Die Besatzung jedes Schiffs hat die Pflicht, in Not geratene Menschen zu retten, wenn sie bemerkt werden. Das ist unter anderem im Seerechtsübereinkommen der UN festgesetzt. Ob sich Menschen in Seenot auf Hoher See oder im Küstenmeer befinden, ist irrelevant. Ob sich Schiff und Passagiere in Not befinden, entscheidet der Kapitän des Schiffs, das als Rettungsschiff infrage kommt. Nele Matz-Lück, Professorin für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Seerecht, sagt: "Nur der Kapitän oder die Kapitänin kann einschätzen, ob eine Rettung möglich und nötig ist."

Wieso gibt es so viele rechtliche Unklarheiten zur Lage privater Retter?

Das internationale Seerecht sei nicht für die aktuelle Situation geschaffen, sagt Matz-Lück. Auf viele Fragen, die sich zurzeit im Mittelmeer stellen - zum Beispiel ob Rettungsschiffe auf Geflüchtete warten oder wohin die Menschen gebracht werden dürfen -, gebe das Seerecht kaum ausreichende Antworten.

Wie wird Seenotrettung koordiniert?

Die Staaten haben sich auf sogenannte "Search and Rescue Zonen" (SAR) geeinigt. Es ist der Staat zuständig, in dessen Zone ein Schiff in Not gerät. Koordiniert wird die Seenotrettung von Leitstellen an Land. Das klappe mal besser, mal schlechter, sagt Matz-Lück. Gerade in Libyen gebe es große Probleme. Für private Seenotretter sei die Lage oft sehr unklar, wenn sie angewiesen werden, nicht zu retten, da angeblich die libysche Küstenwache kommt.

Warum bringen Retter die Geborgenen nicht nach Libyen?

Die EU unterstützt Libyen mit Geld und Schiffen zum Aufbau einer Küstenwache, die auch Migranten von der Überfahrt nach Europa abhalten kann. Teilweise wurden Geflüchtete von europäischen Booten nach Libyen zurückgebracht. Die Organisation Sea-Watch lehnt das ab. UNHCR, Kirchen und Politiker kritisieren immer wieder die katastrophale Menschenrechtslage in Libyen. Aus dem Meer gerettete Flüchtlinge werden von Libyens Küstenwache oft in Lager gebracht, dort kommt es zu Folter, Vergewaltigungen und Tötungen. Die Kämpfe in Libyen verschärfen die Lage.

Was macht die EU?

Die EU hat im März ihren Marineeinsatz "Operation Sophia" vor der libyschen Küste eingestellt und kann seither keine Migranten retten. Italiens Regierung in Rom bemängelte, dass nach den Regeln der Seenotrettung nur Italien angesteuert wurde. Operation Sophia bestand seit 2015 und sollte Schleuser bekämpfen, die Rettung schiffbrüchiger Migranten war de facto aber immer wesentliche Tätigkeit. Derzeit beschränkt sich Sophia darauf, libysche Küstenwache auszubilden und Luftaufklärung zu betreiben.

Warum fahren die Schiffe vom Mittelmeer aus nicht in deutsche oder niederländische Häfen? Die Sea-Watch 3 fährt unter niederländischer Flagge.

Hilfsorganisationen bezeichnen solche auch von Italiens Innenminister Matteo Salvini geäußerten Vorschläge als populistisch und menschenverachtend. Sie wollen die von der Flucht körperlich geschwächten Menschen nicht dem Risiko einer langen Reise aussetzen. Hinzu kommt, dass die Niederlande die Migranten nicht aufgenommen hätten, wie die niederländische Staatssekretärin Ankie Broeker-Knol mitgeteilt hat.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2019
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