Seenotrettung:1600 Kilometer zum nächsten italienischen Hafen

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Die "Ocean Viking" von SOS Mediterranée erreicht den Hafen von Ancona mit 37 seekranken Migranten an Bord. (Foto: Davide Gennari/EPA)

Die Regierung Italiens weist Seenotrettern trotz gefährlicher Wetterbedingungen weit entfernte Landeplätze zu. Ein weiteres Druckmittel rechter Politik gegen die NGOs.

Von Andrea Bachstein

Durch drei, vier, ja bis zu sechs Meter hohe Wellen mussten sie sich kämpfen, rauer und sehr rauer Seegang heißen solche Konditionen in der maritimen Sprache. Die Ocean Viking von SOS Mediterranée hat es in der Nacht zum Mittwoch in Anconas Hafen geschafft, die 37 Migranten, gerettet aus einem völlig überfüllten Schlauchboot vor Libyens Küste, konnten von Bord. Alle seekrank. Genau wie die 73 Migranten und die Besatzung der Geo Barents, wie Jana Ciernioch von der Organisation Ärzte ohne Grenzen berichtet, die das Rettungsschiff betreibt.

Die Geo Barents sollte schon am Mittwochnachmittag in Ancona anlegen, doch wegen des Seegangs dauerte es bis Donnerstagmorgen. Dabei ist sie das größte der NGO-Rettungsschiffe im Mittelmeer, sie kann um die 300 Menschen aufnehmen. Doch das Schiff laufe in Schrittgeschwindigkeit, sonst komme es nicht gegen die Wogen an, sagt Ciernioch der Süddeutschen Zeitung am Mittwoch. "Wir mussten die geretteten Menschen auf das obere Deck evakuieren, weil das Unterdeck komplett geflutet ist."

Der "nächste sichere Hafen" ist Ancona sicher nicht

Rund 1600 Kilometer mussten die beiden NGO-Schiffe über mehr als vier Tage vom Einsatzgebiet vor Nordafrika zurücklegen: an Sizilien vorbei zur Absatzspitze des Stiefels, dann noch gut 600 Kilometer bis Ancona, der Hauptstadt der Region Marken an der nördlichen Adriaküste. Ancona ist alles andere als der "nächste sichere Hafen", in den Gerettete laut Seerecht gebracht werden müssen.

Aber Italiens Rechtsregierung hat den Schiffen diesen Hafen zugewiesen, alle Bitten, angesichts des Wetters einen näheren anlaufen zu dürfen, seien abgewiesen worden, sagte Ciernioch. "Absolut inakzeptabel und verantwortungslos" nennt sie es, wie jetzt mit den Rettungsschiffen und den Menschen auf ihnen verfahren wird.

Die italienische Rechtsregierung von Premierministerin Giorgia Meloni hat den Seenotrettern offiziell den Kampf angesagt, und die Zuweisung eines so entfernten Hafens ist offenkundig eines ihrer Mittel. Es steht nicht in dem Ende Dezember erlassenen Dekret, mit dem Rom NGO-Schiffe an die kurze Leine legen will, passt aber dazu. Das Dekret schreibt unter anderem vor, dass die Retter nach jedem Einsatz unverzüglich einen Hafen anlaufen müssen, auch wenn sie weitere Migranten bergen könnten. Und es verbietet, Gerettete auf ein anderes Schiff bringen, weswegen nun die Ocean Viking und die Geo Barents die 1600 Kilometer zurücklegen mussten. Wer gegen das Dekret verstößt, dem drohen Geldstrafen bis zu 50 000 Euro, Festsetzen oder Beschlagnahme des Schiffs.

In der Version der Rechtsregierung sind die NGOs mit ihren Schiffen die wesentlichen "Transporteure" der Migranten. Tatsächlich bringen sie rund elf Prozent der Bootsflüchtlinge ins Land. Dass die allermeisten von Italiens Küstenwache in Sicherheit gebracht werden, und es von Tunesien Boote oft aus eigener Kraft schaffen, erwähnt die Regierung nicht.

Das Dekret der Meloni-Regierung macht das Mittelmeer noch gefährlicher

20 Rettungsorganisationen haben gemeinsam gegen das Dekret protestiert, sie sehen darin Verstöße gegen internationales Seerecht, Flüchtlingsrecht und EU-Recht. Ciernioch sagt: "Das neue italienische Gesetzesdekret zielt ganz klar darauf ab, die zivilen Seenotrettungsschiffe vom Meer fernzuhalten und so die Ankünfte in Italien zu reduzieren." So entstehe "eine gefährliche Rettungslücke". Das zentrale Mittelmeer, eine der weltweit gefährlichsten Fluchtrouten, werde noch gefährlicher. Noch mehr Menschen könnten dort umkommen, mindestens 2000 waren es 2022 laut der Internationalen Organisation für Migration. Die Anwälte von Ärzte ohne Grenzen prüften, ob sie rechtlich gegen das Dekret der Regierung Meloni vorgehen, sagt Jana Ciernioch.

Juristisch fragwürdig erscheint im Dekret auch, dass die Rettungscrews die Daten Geretteter aufnehmen sollen, die Asyl beantragen wollen, und dies den Behörden mitteilen müssen. Das aber sind staatliche Aufgaben. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) teilte mit, Asylanträge sollten nur an Land bearbeitet werden, wenn Geflüchteten an einem sicheren Ort und ihre unmittelbaren Bedürfnisse erfüllt sind.

Dass sie nun immer andere Häfen anlaufen müssen, kompliziere noch in anderer Weise die Arbeit der Seenotretter, sagt Ciernioch. Alles war eingespielt in Sizilien und Kalabrien, nun haben sie mit ständig anderen Behörden zu tun, und die NGOs müssen auch dafür sorgen, dass Vertreter des UNHCR und der Organisation Save the Children im Hafen seien, damit alles unter deren Überwachung ablaufe.

Auch für Ancona ist es nun eine Premiere, noch nie kam da ein NGO-Schiff mit Migranten an, so weit nördlich. Im oppositionellen Partito Democratico (PD) wird schon gemutmaßt, die Rechtsregierung ziele damit nicht nur auf die NGOs, sondern wolle Hafenstädten Probleme schaffen, in denen der PD regiert. In Ancona trifft das jedenfalls zu.

In Kalabrien und Sizilien kamen besonders viele Flüchtlinge an

Italiens Innenminister Matteo Piantedosi sagt aber, das Zuweisen nördlicherer Häfen solle helfen, die Migranten gleichmäßiger im Land zu verteilen. Gerade verkündete er im sizilianischen Agrigent, in dessen Bereich viele Bootsflüchtlinge fallen, Kalabrien und Sizilien würden künftig nicht mehr "Europas Flüchtlingslager" sein. Städte und Provinzen in Sizilien sind besonders unter Druck, weil die meisten Migranten dort an Land gehen. Besonders auf dem Inselchen Lampedusa, das näher an Tunesien als an der Hauptinsel Sizilien liegt.

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Lampedusas Bürgermeister Filippo Mannino war auch bei Piantedosis Auftritt in Agrigent. Er forderte Sondergesetze für Lampedusa, Entschädigung für alles, was seine Bürger seit Jahrzehnten auf sich nehmen wegen der Flüchtlinge, wegen der Tragödien wie den drei Toten vom vergangenen Wochenende, eine Taskforce will er. Mannino hat nichts gegen Flüchtlinge oder NGOs, aber er sagte, er wisse nicht mal, wie er die Beseitigung des Abfalls aus dem Aufnahmezentrum finanzieren solle, in wenigen Tagen falle da so viel an wie bei 6000 Inselbewohnern im Jahr.

Die Lage ist gerade wieder zugespitzt. Seit 1. Januar gelangten mehr als 3000 Migranten übers Mittelmeer nach Italien, zehnmal mehr als 2022 zur selben Zeit. Das mag am bis vor wenigen Tagen guten Wetter liegen, das die Überfahrten von Libyen und Tunesien begünstigt. Es könnte sich aber auch der Vorjahrestrend fortsetzen, da kamen mit rund 100 000 Menschen ein Drittel mehr an als 2021. Premierministerin Meloni wird damit gewiss argumentieren beim EU-Migrationssondergipfel am 9. und 10. Februar in Brüssel, um Forderungen an die Partnerstaaten zu untermauern.

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