Seenotrettung:Für Salvini nichts weniger als ein "Kriegsakt"

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Italiens rechtspopulistischer Innenminister überzieht Carola Rackete, die auf Lampedusa festgenommene Kapitänin der "Sea-Watch 3", mit maximalen Vorwürfen.

Von Oliver Meiler, Rom

Carola Rackete an Bord des Rettungsschiffes Sea-Watch-3, als es im Hafen von Lampedusa andockt. (Foto: Guglielmo Mangiapane/Reuters)

Niemand weiß, wie diese Geschichte ausgeht. Klar ist nur, dass der Ausgang dann wieder die Gemüter spalten wird. Das Schicksal von Carola Rackete bewegt die Menschen. Die junge deutsche Kapitänin der Sea-Watch 3 hat in der Nacht auf Samstag nach einem langen Patt mit vierzig Migranten an Bord die Hafenblockade in Lampedusa durchbrochen. Für die einen ist sie deshalb eine Heldin. Im Netz gibt es viele Hashtags zu ihren Gunsten, einer geht so: #FreeCarola. Die Kritiker dagegen werfen ihr vor, sie habe sich kriminell verhalten und gehöre deshalb verurteilt.

Seit ihrer Festnahme steht Carola Rackete unter Hausarrest und wartet auf den Bescheid aus dem zuständigen Gericht von Agrigent, der Provinzhauptstadt. Am Montag sollte der kommen. Über ihre Anwälte erzählte sie der Zeitung Corriere della Sera, wie sie die letzten Stunden vor dem Anlegen erlebte. "Ich hatte Angst", sagte sie. Der Notstand an Bord sei nach 17 Tagen auf See untragbar geworden. Sie habe befürchtet, dass sich einige ihrer Passagiere aus Verzweiflung das Leben nehmen würden. Darum habe sie beschlossen, ohne Erlaubnis in den Hafen zu fahren.

Im Netz gibt es viele Hashtags zu ihren Gunsten, einer geht so: #FreeCarola

Bei diesem letzten Manöver, räumt Rackete ein, sei ihr ein Fahrfehler unterlaufen, den sie "zutiefst bedauere". Beinahe hätte sie mit der schweren Sea-Watch 3 das kleine Motorboot der Guardia di Finanza, der italienischen Zoll- und Steuerpolizei, gegen die Mole gedrückt. Fünf Polizisten waren an Bord, sie hatten das Rettungsschiff mehrmals zum Halten aufgefordert. Mit einem schnellen Ausweichmanöver konnten sie einen Zusammenprall verhindern. Innenminister Matteo Salvini sagte danach, die Sea-Watch 3 habe damit einen "Kriegsakt" begangen. "Es hätte Tote geben können dabei."

Racketes juristische Lage hängt nun nicht unwesentlich davon ab, ob die Ermittler ihren Fahrfehler ebenfalls als bedauerliches Versehen einstufen oder eher als bewusste Inkaufnahme eines möglichen Schiffbruchs. "Humanitäre Gründe rechtfertigen es nicht, dass das Leben von Offizieren aufs Spiel gesetzt wird, die auf See für die Sicherheit aller arbeiten", sagte Staatsanwalt Luigi Patronaggio, der die Ermittlungen leitet. Das hörte sich so an, als hielte er das Manöver zumindest für fahrlässig. Formal angeklagt ist die 31-jährige Carola Rackete für diesen möglichen Tatbestand jedoch noch nicht.

Die Festnahme von Rackete war am Wochenende von Politikern und Nichtregierungsorganisationen heftig kritisiert worden. "Menschenleben zu retten ist eine humanitäre Verpflichtung. Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden", schrieb etwa Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) auf Twitter. Eine Sprecherin der Europäischen Kommission teilte dagegen mit, man äußere sich nicht zu juristischen Verfahren in den Mitgliedstaaten.

Auf einer Verletzung von Artikel 1100 des Schifffahrtskodex stehen im Höchstfall zehn Jahre Haft. Der Artikel handelt von "Widerstand und Gewalt gegen ein Kriegsschiff". Die Frage ist nun, ob die V808 der italienischen Finanz- und Steuerpolizei der Definition eines Kriegsschiffs entspricht. Darüber streiten sich die Experten. Gregorio De Falco etwa, ein früherer Kommandant der italienischen Küstenwache, sagte der Repubblica, ein Kriegsschiff gelte nur als solches, wenn es von einem Marineoffizier gesteuert werde. Bei der V808 war das nicht der Fall. "Außerdem", fügte De Falco an, "sei die Sea-Watch 3 eine Art Ambulanz: Die brauchte nicht zu halten. Das Militärboot hätte es vielmehr in den Hafen begleiten sollen."

Angeklagt ist Rackete bereits für mögliche "Begünstigung der illegalen Einwanderung", ein Vergehen, das nach italienischem Recht mit bis zu 15 Jahren Gefängnis geahndet werden kann. Doch auch in diesem Fall ist die Lage komplex. Der Crew müsste nachgewiesen werden können, dass sie sich tatsächlich mit libyschen Schleppern abgesprochen hat - über Funk zum Beispiel. Es hat in den vergangenen Jahren mehrere solcher Ermittlungen gegeben, vor allem die Staatsanwaltschaft von Catania ging dem Vorwurf der aktiven Komplizenschaft nach. Mangels Beweisen wurden aber alle Ermittlungen eingestellt.

Nationales Recht kann nicht über dem internationalen Seerecht stehen

Rackete und die Organisation Sea- Watch riskieren eine Geldstrafe von bis zu 50 000 Euro, weil sie das Anlegeverbot missachtet haben. So steht es in einem Sicherheitsdekret, das die römische Regierung auf Initiative von Salvini vor einigen Wochen erst erlassen hat. Es sieht unter anderem vor, dass der Innenminister zusammen mit dem Verteidigungs- und dem Transportminister die Häfen vor NGOs schließen kann. Das Dekret muss noch vom Parlament genehmigt werden, damit es Gesetz wird. Nun kann es aber gut sein, dass im Zuge eines Prozesses gegen Rackete die übergeordnete Frage verhandelt wird, ob das Dekret konform ist mit der italienischen Verfassung. Es stellt nämlich de facto nationales Recht über internationales Seerecht, und das geht nicht.

Einige Stunden waren es am Sonntag noch, bis Carola Rackete erfahren sollte, wie es weitergeht. Hält der Staatsanwalt ihre Akte für gravierend, dann unterbreitet er den Fall dem Voruntersuchungsrichter. Der wiederum hätte dann noch einmal 48 Stunden Zeit, um einen Prozesstermin anzusetzen. Er kann aber auch beschließen, dass die Indizienlage dafür zu schwach ist.

Sollte am Ende nichts an Rackete hängen bleiben und die Richter der Meinung sein, sie habe nur Seerecht befolgt, Menschen gerettet und zu einem sicheren Hafen geführt, könnte sie des Landes verwiesen werden. "Dann setzen wir sie in den ersten Flieger nach Berlin", sagte Salvini. Auch dafür gibt es ein Dekret, das sich selbst bei EU-Bürgern anwenden lässt: Für maximal fünf Jahre könnte Salvini die Kapitänin aus Italien verbannen - "aus Gründen der nationalen Sicherheit".

© SZ vom 01.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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