Seenotrettung für Flüchtlinge:Das Mittelmeer wird wieder unsicherer

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Mehr als 100 000 Menschen haben die Italiener im Rahmen ihrer Mission "Mare Nostrum" aus Seenot gerettet - damit soll jetzt Schluss sein. Stattdessen läuft am Samstag die EU-Mission "Triton" an. Sie ist billiger - und könnte zu einem Anstieg der Opferzahlen führen.

Von Martin Anetzberger

Alleine in diesem Jahr ertranken im Mittelmeer bereits 3000 Menschen auf der Flucht. Ab Samstag, 1. November, soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex für Sicherheit sorgen. "Triton" heißt die neue europäische Mission. Wenn es nach der italienischen Regierung geht, soll sie die Operation "Mare Nostrum" ablösen, bei der Italien bislang im Alleingang versuchte, Flüchtlinge in Seenot zu retten. Politiker und Nichtregierungsorganisationen haben Triton bereits im Vorfeld als unzureichend kritisiert. Fünf Fragen zum Flüchtlingsdrama im Mittelmeer.

Was genau unterscheidet Triton von Mare Nostrum?

Um den Unterschied zu verstehen, hilft ein Blick auf die nackten Zahlen: Italien gab seit der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa am 3. Oktober 2013 monatlich zwischen sechs und neun Millionen Euro für die Seenotrettung aus. Triton wird von der EU jedoch mit lediglich 2,9 Millionen Euro monatlich ausgestattet. Laut EU sollen vier Hochseeschiffe, drei Boote beziehungsweise Schiffe für die Patrouille an der Küste, ein Hubschrauber sowie vier Flugzeuge zum Einsatz kommen. Die Operation verfügt aber weder über eigenes Personal noch über Flugzeuge oder Schiffe. All das muss sie von den EU-Mitgliedsländern erbitten.

Die EU-Grenzschutzagentur soll außerdem nur noch ein Gebiet von 30 Seemeilen (etwa 56 Kilometer) vor der italienischen Küste und den Bereich um die Insel Lampedusa überwachen. Das ist deutlich weniger als bisher die Italiener abdeckten. Frontex hat auch klargemacht, dass der Fokus auf der Grenzsicherung und nicht auf der Rettung von Flüchtlingen liegt. Im Vergleich zum Atlantik oder Pazifik wirkt das Mittelmeer wie ein Zwerg, trotzdem müssen die Flüchtlinge beträchtliche Strecken zurücklegen. Eine oft frequentierte Route führt von Libyen zur italienischen Insel Lampedusa - 300 Kilometer über das Meer. Von dort sind es noch immer mehr als 200 Kilometer bis zum sizilianischen Festland (eine Übersicht über die wichtigsten Flüchtlingsrouten finden Sie hier).

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Die scheidende EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sagte auf dem Innenministertreffen, Triton könne Mare Nostrum "nicht ersetzen". Sie forderte Italien auf, weiter seinen Verpflichtungen nachzukommen. Auch Menschenrechtsorganisationen fordern eine Fortsetzung von Mare Nostrum und finanzielle Unterstützung für Italien. Triton werde einer umfassenden Seenotrettung nicht gerecht, teilte die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, Selmin Çalışkan, mit - das Einsatzgebiet sei viel zu klein, die finanziellen Mittel viel zu gering. "Das Mandat von Frontex liegt auf der Grenzschutzsicherung und der Verhinderung von irregulärer Migration und nicht darauf, Menschen vor dem Ertrinken zu retten", hieß es in einer Presseerklärung.

Warum will Italien seine Mission Mare Nostrum beenden?

Das von der Wirtschaftskrise gebeutelte Italien fühlt sich von seinen EU-Partnerländern im Stich gelassen. Etwa neun Millionen Euro bezahlt das Land derzeit im Monat für die Rettung von Flüchtlingen, die in Seenot geraten sind. Italien setzt durchschnittlich vier Schiffe ein, außerdem Hubschrauber und Aufklärungsflugzeuge. Küstenwache und Marine patroullieren bis weit ins Mittelmeer hinaus, um die vorwiegend aus Afrika und dem Nahen Osten stammenden Menschen sicher an Land zu bringen.

Doch damit soll bald Schluss sein. Innenminister Angelino Alfano erneuerte am Freitag die Ankündigung der italienischen Regierung, Mare Nostrum auslaufen zu lassen. Mit Beginn der Operation Triton werde es einen zweimonatigen Übergang geben. "Mare Nostrum endet. Italien hat seine Pflicht getan", sagte er. Der Kommandant der italienischen Marine, Admiral Filippo Maria Foffi, hatte am Dienstag gesagt: "Wir machen mit der Mission weiter und werden auch nach dem Start von Triton im Mittelmeer patrouillieren". Wann genau Mare Nostrum vorbei sein wird, lässt sich somit noch nicht sagen.

War Mare Nostrum ein Erfolg?

Aus Sicht von Flüchtlingsorganisationen hat Mare Nostrum beeindruckende Erfolge vorzuweisen. Unterschiedlichen Quellen zufolge dürften seit Oktober 2013 weit mehr als 100 000 Menschen aus Seenot gerettet worden sein. Es gibt aber auch Kritik. Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sieht in der Mission einen Anreiz für Flüchtlinge: "Mare Nostrum war als Nothilfe gedacht und hat sich als Brücke nach Europa erwiesen", sagte er auf einem Treffen der EU-Innenminister vor drei Wochen.

Beteiligt sich Deutschland an Triton?

Da Frontex über keine eigenen Ressourcen für Triton verfügt, bat die Organisation mehrere Mitgliedsländer um Unterstützung, auch die Bundesrepublik. Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP bietet Deutschland an, die Mission mit Bundespolizisten und einem Hubschrauber zu unterstützen. Die Beamten stehen demnach von Beginn an zur Verfügung. Die genaue Mannschaftsstärke ist noch unklar, es gehe dabei voraussichtlich um eine Zahl im einstelligen Bereich. Der Helikopter könne bei Bedarf im kommenden Sommer eingesetzt werden. Genaue Angaben seien aber erst möglich, wenn der Einsatzplan vorliege.

Was bedeutet der Name "Triton"?

Triton ist ein Meeresgott aus der griechischen Mythologie und angeblich Poseidons Sohn. In der Kunst wird er häufig auf einer Tritonschnecke blasend dargestellt, um das Meer aufzuwühlen oder zu beruhigen. Er gilt als Kentaur des Meeres, ein Mischwesen mit menschlichem Oberkörper und den Vorderbeinen eines Pferdes, sein Unterleib ähnelt dem eines Delfins.

© Süddeutsche.de/dpa/AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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