Süddeutsche Zeitung

Demo für Seenotrettung:"Retten statt reden"

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In Berlin haben mehrere Tausend Menschen gegen die Kriminalisierung von zivilen Seenotrettern demonstriert. Sie hörten auch eine Botschaft der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete.

Von Ekaterina Kel, Berlin

Der Pfarrer versucht es mit bewährten Methoden. Joachim Lenz von der Berliner Stadtmission stellt sich auf die improvisierte Bühne im "Lauti", dem Lautsprecherwagen. Dünn aber mutig singt er den Refrain des berühmten Protestlieds "We shall overcome" ins Mikrofon. Vereinzelt stimmen ein paar Demonstranten schüchtern ein. Die meisten Menschen, die sich nach dreieinhalb Stunden Demo am Washingtonplatz in Berlin zur Schlusskundgebung versammeln, haben jedoch für religiöse Autoritäten wie Lenz wenig übrig. "Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!", dröhnt es aus zwei Ecken. Andere schütteln den Kopf. Weiter hinten verteilt eine Gruppe Couscoussalat auf Pappteller.

Verschiedenste Gruppierungen haben sich am Samstag der Demonstration der Organisation "Seebrücke" angeschlossen. Ob "Omas gegen Rechts", "Ärzte ohne Grenzen" oder Attac - sie alle eint, dass sie mit der Flüchtlingspolitik der EU und der Bundesregierung nicht einverstanden sind. Sie sind gekommen, um für die Rechte von Flüchtlingen und die Seenotrettung zu demonstrieren.

Carola Racketes Entscheidung, vor genau einer Woche das Schiff Sea Watch 3 in den Hafen von Lampedusa zu lenken, und trotz Verbot der italienischen Regierung 40 aus Seenot gerettete Flüchtlinge an Land zu bringen, hat viele mobilisiert. In Berlin sind nach ersten Angaben der Polizei etwa 3000 Menschen auf die Straße gegangen. Laut Veranstalter waren es sogar 8000. Zeitgleich gab es in mehr als 90 Städten und mehreren europäischen Ländern Aktionen und Demonstrationen, alle initiiert von Organisationen wie der Seebrücke, Sea Watch oder Sea-Eye, deren Schiff Alan Kurdi am Samstagnachmittag mit 65 Geretteten vor dem Hafen von Lampedusa stand. Ein weiteres Schiff, die Alex der italienischen Hilfsorganisation Mediterranea, lief am Samstag in den Hafen der Insel ein. Allerdings will Italiens Innenminister die 41 Flüchtlinge nicht an Land lassen.

Bundesinnenmister Horst Seehofer (CSU) hatte am Samstag angekündigt, "einen Teil" der geretteten Flüchtlinge "im Rahmen einer europäisch-solidarischen Lösung" aufzunehmen. Das sei noch kein Schritt nach vorn, sagt die Sprecherin der Seebrücke, Liza Pflaum, kurz vor Demostart am Bundeskanzleramt. Die europäische Lösung, die Kanzlerin Angela Merkel und der Innenminister immer wieder beschwören, sei in unerreichbare Weite gerückt. Solange sich aber keine Lösung abzeichnet, habe Deutschland die humanitäre Pflicht, alle Geretteten aufzunehmen. Am Willen mangele es nicht, wie die knapp 70 Kommunen zeigen, die gerettete Flüchtlinge aufnehmen wollen. Der Stillstand sei daher "politisch gewollt", so Pflaum. "Dass private Hilfsorganisation staatliche Aufgaben übernehmen müssen, ist ein Skandal, ein Vollversagen von Europa."

Kurzerhand haben die Organisatoren eine prominente Unterstützerin bekommen: Die Autorin Carolin Emcke hat bei der Auftaktkundgebung das Wort. Es gehe darum, so die Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, "menschenwürdige Verhaltensweisen unter Umständen zu zeigen, die das Gegenteil nahelegen". Seenotretter wie Carola Rackete machten dies möglich. Rackete selbst ist ebenfalls zu hören. Sie hat spontan eine persönliche Ansprache aufgenommen und von dem geheim gehaltenen Ort geschickt, an dem sie sich momentan befindet. Die Sprachnachricht wird per Lautsprecher übertragen. Rackete dankt für die Solidarität. "Seenotrettung kennt keine Grenzen", sagt sie, "genauso wenig wie unsere Solidarität".

Kurz bevor der Demozug sich in Bewegung setzt, formiert sich eine Gruppe am Rand des Platzes. Es sind junge Männer aus Eritrea, die 2015 mit dem Boot aus Libyen nach Italien gekommen sind - also denselben Fluchtweg auf sich genommen haben, wie die, um die es aktuell geht. Der Schrecken der Überfahrt sitzt bei den Männern tief. "Kann man nicht beschreiben", sagt einer. "Wir sind für Carola hier", sagt ein anderer. Was sie gemacht habe, sei richtig. Sie wollen das unterstützen.

Unterstützung. Mehr als dieses Symbol bleibe ihnen nicht, findet Vlassis aus Griechenland. Er lebt seit zehn Jahren in Deutschland und ist zusammen mit seinem fünfjährigen Sohn Orestis zur Demo gekommen. "Weil ich dieses Gefühl von Ohnmacht bekämpfen möchte", sagt er. Während seine Freunde in Griechenland an den Küsten helfen würden, bliebe ihm zumindest der Protest auf den Straßen Berlins. Zusammen mit den anderen skandiert er: "Seenotrettung ist kein Verbrechen", dazu ein rhythmisches Klatschen. Die Demonstranten halten selbstbeschriebene Plakate hoch, manche haben die typischen goldenen Rettungsfolien an Stöcke befestigt und so zu Flaggen umfunktioniert. Andere strecken orangefarbene Rettungswesten in den Himmel. Die meisten laufen im sonntäglichen Flaniertempo in kleinen Grüppchen die Straße entlang, plaudern, holen sich ein Bier am Späti.

Kämpferische Ansagen an den Innenminister

"Die Stimmung ist gut", findet eine der Organisatorinnen. Auch die Polizisten geben sich entspannt. Bis der Zug vor dem Bundesinnenministerium kurz und unangekündigt anhält. Aus den Lautsprechern kommt eine kämpferische Ansage an Innenminster Horst Seehofer, den "Heimhorst" wie hier manches Mal zu vernehmen ist: "Wir fordern Herrn Seehofer auf, die Geflüchteten vom Schiff in Sicherheit zu bringen. Das Geordnete-Rückkehr-Gesetz ist in Wahrheit ein rücksichtsloses Abschiebegesetz. Seehofer setzt um, was AfD und Pegida fordern!" Klatschen, Pfeifen, Zustimmung, dann geht es weiter. Auf forschere Töne hat hier offenbar keiner Lust.

Oder vielleicht doch? Einer Rednerin von Sea Watch gehört das letzte Wort. Der eigentliche Skandal sei, dass ihr bestes Schiff, mit dem Rackete in Lampedusa eingelaufen ist, immer noch blockiert ist. So ließe sich gerade keine Hilfe leisten. "Wir sagen: Retten statt reden. Wir sind richtig sauer!"

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