Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Seehofer unterstützt Polens Kurs

Der Bundesinnenminister erklärt in Warschau, Polens Vorgehen an der belarussischen Grenze sei "richtig". Erneut kam es in der Nacht zu illegalen Pushbacks. Fast 400 Menschen wurden zurück in den Irak gebracht.

Von Florian Hassel, Warschau

Hunderte Flüchtlinge in Belarus haben die Hoffnung aufgegeben, noch in die EU zu gelangen. Der Sprecherin des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko zufolge nahmen 374 Menschen, vor allem Iraker, ein Angebot des irakischen Außenministeriums an, am Donnerstag aus Minsk in die kurdische Stadt Erbil oder weiter nach Bagdad zu fliegen. Aus Minsk flog am Donnerstagnachmittag eine Boeing 747 ab. Ein weiterer Rückführungsflug soll für diesen Freitag geplant sein.

Von Entspannung ist an den Grenzen zu Litauen und Polen indes keine Rede. Weiterhin versuchen Menschen, in die EU zu gelangen. Das Internationale Rote Kreuz spricht angesichts der Lage der Menschen von einer "humanitären Tragödie" und fordert Zugang für Hilfsorganisationen. Mindestens zehn Menschen seien gestorben, darunter ein 14-jähriger Junge an Unterkühlung sowie vermutlich auch ein einjähriges Baby. Die Lage werde sich angesichts des nahenden Winters noch verschlechtern. Der Präsident des EU-Parlaments, David Sassoli, äußerte sich erschüttert. Es sei "herzzerreißend, ein Kind in der Kälte an der Schwelle der EU sterben zu sehen", schrieb der 65-Jährige auf Twitter. "Die Ausbeutung von Migranten und Asylsuchenden muss aufhören, die Unmenschlichkeit muss aufhören", so Sassoli weiter.

Bundesinnenminister Horst Seehofer lobte indessen das Vorgehen der polnischen Regierung an der EU-Außengrenze. Bei seinem Treffen mit Polens Innenminister Mariusz Kamiński in Warschau sagte er: "Was Polen in der Migrantenkrise macht, ist richtig ... was Polen hier an der Außengrenze macht, dient der gesamten EU und vor allem Deutschland." Seehofer dankte seinem Amtskollegen für dessen "klaren Kurs", und bezeichnete seinen Besuch als "Geste der Solidarität mit Polen".

Seehofer dementierte, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Lukaschenko eingewilligt habe, Deutschland werde 2000 Migranten aufnehmen. "Was wir nicht tun werden, ist, dass wir Flüchtlinge aufnehmen." Denn das hieße, dass die "perfide Strategie" Lukaschenkos aufgehe. Er plädierte aber dafür, den Menschen im Grenzgebiet in Belarus vom UN-Flüchtlingshilfswerk, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und der EU-Kommission helfen zu lassen. Ziel aber sei es, "die Menschen in ihre Herkunftsländer zurückzuführen". Die Nachricht vom Start des Flugzeuges, das Flüchtlinge aus Minsk zurück in den Irak brachte, sei "eine gute Nachricht".

Lukaschenkos Sprecherin Natalia Eismant zufolge sind insgesamt 7000 Migranten in Belarus, etwa 2000 befänden sich an der Grenze. Belarussische Einheiten brachten Migranten vom Grenzort Kuźnica in eine Notunterkunft in einer Lagerhalle in einem nahen Logistikzentrum. Lukaschenko habe Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem ersten Telefonat vorgeschlagen, die EU solle einen "humanitären Korridor für 2000 Flüchtlinge schaffen", sagte Eismant. "Angela Merkel wird nach der getroffenen Übereinkunft Gespräche mit der EU führen." Belarus werde seinerseits die restlichen 5000 Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückführen, "soweit sie dies wünschen". Viele Migranten aber weigerten sich zurückzukehren.

Eine Syrerin berichtet Ärzten von ihrem Baby, das im Wald gestorben sei

Der polnische Grenzschutz meldete für die Nacht zum Dienstag drei weitere Versuche von Grenzübertritten in die EU. Die größte Gruppe habe etwa 500 Menschen umfasst. 200 von ihnen sei die Überquerung zunächst geglückt, jedoch wurden sie dann vom polnischen Grenzschutz festgenommen. Polen ist nach internationalem Recht verpflichtet, auch Menschen, die illegal die Grenze überqueren, einen Asylantrag zu ermöglichen. Faktisch werden die Migranten zurück auf belarussisches Gebiet geschickt.

Menschen, denen die illegale Grenzüberquerung gelingt, werden teils offenbar weiterhin von Schleppern aufgesammelt. In der Region Suwalszczyzna nahe Litauen meldete die polnische Polizei, sie habe in der Nacht einen Renault gestoppt, in dem 21 Syrer und ein Jemenit versucht hätten, weiterzukommen.

Die polnische Ärztegruppe PCPM berichtete über einen dramatischen Einsatz in der Nacht zum Donnerstag: In einem Waldstück habe sie drei Menschen gefunden, die nach ihrer Aussage seit sechs Wochen dort seien. Unter ihnen eine Syrerin, die geweint und von ihrem ein Jahr alten Kind erzählt habe, das im Wald gestorben sei. Der polnische Infodienst Onet und der belarussische Journalist Tadeusz Giczan berichteten über den Tod des 19 Jahre alten Syrers Ahmad Al Hasan, der im Grenzfluss Bug ertrank und von einer muslimischen Gemeinde im Dorf Bohoniki beerdigt wurde. Al Hasan sei vor dem syrischen Bürgerkrieg 2014 aus der Stadt Homs geflohen und seitdem in einem Flüchtlingslager in Jordanien gewesen.

Polnische Politiker kritisierten die Telefonate Merkels mit Machthaber Alexander Lukaschenko. Ryszard Terlecki, Fraktionschef der Regierungspartei PiS im Parlament, sagte im Boulevardblatt Super Express, es sei "die europäische Solidarität verletzt worden". Lukaschenko habe eines seiner wichtigsten Ziele erreicht: "Er ist ein Teilnehmer von Gesprächen geworden und so als Chef des belarussischen Staates akzeptiert worden."

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