Rechtsextremismus:Zehn-Punkte-Plan gegen rechts

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Der Rechtsextremist Stephan E. sitzt als Tatverdächtiger im Mordfall Walter Lübcke in Haft. (Foto: Uli Deck/dpa)
  • Nach dem Anschlag von Halle haben sich die Innenminister der Länder auf einer Sonderkonferenz in Berlin auf ein Maßnahmenpaket geeinigt.
  • Darin geht es unter anderem um mehr Schutz für Synagogen, strengere Waffengesetze und eine strikte Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet.
  • Neueste Zahlen der Sicherheitsbehörden bestätigen, wie groß die Gefahr durch den gewaltbereiten Rechtsextremismus geworden ist.

Von Stefan Braun und Benjamin Emonts, Berlin

Mehr Schutz für Synagogen, strengere Waffengesetze und eine strikte Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet. Das sind die zentralen Maßnahmen, auf die sich die Innenminister der Länder am Freitag auf einer Sonderkonferenz in Berlin geeinigt haben. Neun Tage nach dem rechtsextremistischen Anschlag auf eine Synagoge in Halle demonstrierten Bund und Länder damit Geschlossenheit im Kampf gegen den erstarkenden Antisemitismus und Rechtsradikalismus in Deutschland. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte den stärkeren Schutz der jüdischen Synagogen zur "Staasräson".

Seehofer sprach von einem "Maßnahmenkatalog", der schnell umgesetzt werden soll. Man einigte sich auf insgesamt zehn Punkte. Polizeiliche Präsenz vor Synagogen hätte darin oberste Priorität, sagte Seehofer. Außerdem sollen jüdische Gemeinden dabei unterstützt werden, ihre Gotteshäuser technisch und baulich zu sichern. Bundesweit sollen Synagogen zudem auf ihre Sicherheit überprüft werden. "Jüdisches Leben gehört in Deutschland untrennbar zu unserer vielfältigen Gesellschaft. Dafür treten wir mit Nachdruck ein", betonte Schleswig Holsteins Innenminister, Hans Joachim Grote (CDU).

Auch Online-Spieleplattformen sollen Kommentare löschen

Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, insbesondere des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für Verfassungsschutz, soll dazu ausgebaut, das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum Rechts schnellstmöglich auf die erforderliche Leistungsfähigkeit gebracht werden. Auch durch mehr personelle Ressourcen. Extremistische Veranstaltungen sollen unterbunden und Vereinsverbote geprüft werden.

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Betreiber von Internetplattformen sollen verpflichtet werden, die persönlichen Bestandsdaten vun Nutzern aufzunehmen und an die Sicherheitsbehörden zu melden, falls sie Straftaten auf den Portalen begehen. Bislang müssen sie entsprechende Kommentare nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz lediglich löschen. Anbieter von Online-Spieleplattformen sollen strafbare Inhalte künftig ebenfalls innerhalb von 24 Stunden prüfen und gegebenenfalls löschen. Dazu sind sie gesetzlich bislang nicht verpflichtet.

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) kündigte an, dass in Zukunft auch Kommunalpolitiker gesetzlich vor Anfeindungen geschützt werden sollen. Er unterstützt damit das Vorhaben von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), den Paragrafen 188 des Strafgesetzbuchs zu ändern. Denn der schützt de facto nur Landes- und Bundespolitiker vor übler Nachrede und Verleumdung. Die Justiz soll Straftaten der Hasskriminalität in Zukunft zudem konsequenter und schneller verfolgen. Um die große Anzahl entsprechender Straftaten verfolgen zu können, könnten Schwerpunktstaatsanwaltschaften gebildet werden.

Zahlen belegen, wie groß die Gefahr durch Rechtsextremismus geworden ist

Schließlich ist man sich auch darüber einig, dass das Waffenrecht in Deutschland verschärft werden sollen. Die rechtsextremistische Szene sei außerordentlich "gewaltbereit und waffenaffin". "Daraus muss die Politik eine Konsequenz ziehen", sagte Seehofer. So soll durch eine Regelabfrage bald verhindert werden, dass Waffen in Hände von Rechtsextremisten gelangen können.

Neueste Zahlen der Sicherheitsbehörden bestätigen, wie groß die Gefahr durch den gewaltbereiten Rechtsextremismus geworden ist. Aus der Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen zur Lage 2019 geht hervor, dass die Gewaltbereitschaft und die Zahl der Straftaten mit rechtem Hintergrund in der ersten Jahreshälfte 2019 auf hohem Niveau verharrt oder gar noch gestiegen ist. Das gilt sowohl für Angriffe auf Asylbewerber und ihre Unterkünfte als auch für Attacken gegen politische Mandatsträger oder Journalisten.

Laut den Zahlen für das erste Halbjahr 2019, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, gab es von Januar bis Juni knapp 700 Angriffe auf Politiker und Mandatsträger; das sind fast vier jeden Tag und hochgerechnet aufs Gesamtjahr deutlich mehr als 2018. Im gleichen Zeitraum zählten die Behörden fast 2000 Straftaten gegenüber Asylbewerbern oder Einrichtungen, in denen diese untergebracht sind. Dazu gehören knapp 300 Gewalttaten. Diese Zahlen entsprechen dem Trend aus dem Vorjahr - und unterstreichen zugleich, wie konstant groß das Gewaltpotenzial inzwischen ist.

Rechte Gewalt ist kein neues Phänomen

Nur konsequent erscheint angesichts dessen, dass sich das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern in der ersten Jahreshälfte 2019 deutlich häufiger mit der akuten Gefahr durch Rechtsextreme auseinandersetzen musste. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden war das zur allgemeinen Lageeinschätzung zwischen Januar und Juni 75 Mal der Fall. Das bedeutet: jeden dritten Tag gab es akuten Anlass, darüber zu sprechen. In den Gesamtjahren davor war das jeweils 99-mal der Fall; die Zahl könnte sich fürs Gesamtjahr 2019 fast verdoppeln.

Dass die Gefahr durch den Rechtsextremismus kein neues Phänomen ist, zeigt eine andere Zahl: Seit 2001 hat es laut Bundesbehörden mehr als 18 000 rechtsextreme Gewalttaten gegeben. Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic sagte, dies mache eine Zäsur bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus dringend erforderlich. Mihalic, die selbst die Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte, lobte, dass sich der Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt darauf verständigt haben, rechtsextreme Gefährder genauso in den Blick zu nehmen wie islamistische Gefährder. Allerdings zeige die Diskrepanz zwischen mehr als 12 000 gewaltbereiten Rechtsextremisten und zur Zeit 44 als Gefährder eingestuften Personen, "wie dünn die Analyse rechtsextremer Zusammenhänge derzeit noch ist".

© SZ vom 19.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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