Süddeutsche Zeitung

Seehofer im Bundestag:Minister für "Humanität und Ordnung"

Für Innenminister Horst Seehofer ist die Aufnahme von weiteren 1553 Flüchtlingen eine "humane Entscheidung". Im Bundestag wird er von links und rechts attackiert.

Von Constanze von Bullion, Berlin

An Zufriedenheit mit dem eigenen Tun fehlt es ihm jedenfalls nicht in diesen Tagen. Aber dass ihn so gar keiner loben mag, das will dem Bundesinnenmister nicht in den Kopf. "Jetzt war wieder eine humane Entscheidung. Und ich bin stolz", sagt Horst Seehofer. Er will das noch etwas ausführen, da schneidet der Bundestagspräsident ihm kurzerhand das Wort ab. "Vielen Dank", sagt Wolfgang Schäuble. "Aber wir haben eine Fülle von Fragen. Bitte an die rote Ampel halten."

Mittwochmittag im Plenum des Bundestags in Berlin, Bundesinnenminister Horst Seehofer ist zur Fragestunde gekommen. Abgeordnete fragen, Ministerinnen oder Minister müssen antworten, und zwar schnell, so funktioniert dieses Format. Blinkt eine rote Lampe auf im Plenum, ist genug geschwafelt. Nicht jeder Spitzenpolitiker liebt dieses parlamentarische Spektakel, bei dem die Darsteller der großen Politik ohne Apparat und die üblichen Souffleusen auskommen müssen. Seehofer allerdings wirkt am Mittwoch nicht so, als scheue er das Scharmützel.

Eine Woche ist es her, dass das Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos abgebrannt ist. Zigtausende Menschen sitzen seither auf der Straße, mit wenig mehr als der Perspektivlosigkeit. Ein neues Lager soll nun gebaut werden, die Europäische Union will sich engagieren, irgendwann. Die Bundesregierung hat angekündigt, Flüchtlinge aufzunehmen, notfalls auch im Alleingang. Erst war von 150 unbegleiteten Minderjährigen die Rede. Lächerlich, fanden Sozialdemokraten, Grüne, Linke, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Kirchen- und Bürgersleute, womöglich auch die Kanzlerin. Nun sollen also weitere 1553 Geflüchtete von fünf griechischen Inseln einreisen dürfen, alles Familien, die in Griechenland bereits ein Asylverfahren durchlaufen und Schutz zugesprochen bekommen haben.

Bei der Fragestunde im Bundestag hat Horst Seehofer sich gemächlich aus seinem Sitz auf der Regierungsbank erhoben. Er steckt die linke Hand in die Hosentasche. Und auch, wenn er sich in der nächsten Stunde kaum bewegen wird: Er wirkt jetzt manchmal wie Wong Fei Hung, der legendäre Meister des Kung Fu, der Angreifer von allen Seiten abzuwehren hat im Kampf für die richtige Sache. Nur was richtig ist, das ist halt noch zu klären.

Kein Mensch wisse, was passiere, wenn ein Auffanglager voll sei, kritisieren die Grünen

Der erste Angreifer kommt von rechts. Es ist der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio, ein Freund bemüht gedrechselter Fragen. "Die Erpressung der Brandstiftung ist die Fahrkarte nach Deutschland", warnt der Abgeordnete, der weitere Flüchtlingscamps brennen sieht auf griechischen Inseln, wenn Deutschland jetzt seine Türen für Migranten öffne. "Wir vergessen in diesen Tagen nicht, was die Griechen geleistet haben", gibt Seehofer zurück. Als die Türkei kürzlich versucht habe, Tausende Flüchtlinge über die Grenze in die EU zu schieben, da habe Griechenland gegengehalten. Ein wichtiger Beitrag zur europäischen Integration, meint Seehofer, "das sollten wir nicht vergessen".

Und wo bleiben die versprochenen Rückführungsabkommen, ohne die abgelehnte Asylbewerber oft nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können, will der AfD-Abgeordnete wissen. "Ich bin bis zur Stunde der einzige Innenminister Europas, der für die humane Lösung einen Vorschlag vorgelegt hat. Ich glaube, darauf sollten wir stolz sein", antwortet Seehofer. Die Zahl der Asylbewerber sei drastisch zurückgegangen und wesentlich niedriger als im Jahr 2015. "Humanität und Ordnung umzusetzen, das gelingt uns sehr gut."

Seehofer hat sich kaum abgewandt von seinem Befrager, da erkundigt sich Christoph Hoffmann von der FDP, warum Entwicklungshilfeminister Gerd Müller von der CSU seinem Parteifreund Seehofer eigentlich "voll ins Kreuz gesprungen" sei. Als Seehofer gerade 150 unbegleiteten Minderjährigen die Einreise nach Deutschland zugesagt hatte, da forderte Müller die Übernahme von 2000 Menschen. "Es gehört zu meinem politischen Lebensweg, dass auch Parteifreunde einen manchmal besonders liebevoll behandeln", antwortet der Bundesinnenminister und freut sich. Nicht jeder im Plenum freut sich mit.

Am Ende sieht Seehofer doch etwas erschöpft aus

"Herr Seehofer, wir hören uns das jetzt seit fünf Jahren an", sagt die Grünen-Politikerin Luise Amtsberg. Sie hat schon lange die Geduld verloren mit der deutschen und der europäischen Migrationspolitik. Immer neue Reformversprechen würden gemacht, schnellere Asylverfahren angekündigt und moderne Aufnahmezentren an den Außenrändern der EU. Das Ergebnis in den Camps auf den griechischen Inseln: "Überfüllung und damit einhergehend menschenunwürdige Zustände." Es wisse auch kein Mensch, was eigentlich passiere, wenn eines der geplanten Auffanglager irgendwann voll sei. Ob der Bundesinnenminister denn zustimme, dass "ohne ein dauerhaftes System der Verteilung" von Geflüchteten keine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage möglich sei?

"Die Zustimmung ist teilweise", sagt Seehofer, der jetzt seitlich ausweicht und erklärt, er kämpfe "seit Jahren" für einen festen Verteilmechanismus von Migranten in Europa. Nur machten eben viele EU-Staaten nicht mit. All diejenigen aber, die partout keine Flüchtlinge aufnehmen wollten, sollten künftig zahlen, auch für verstärkte Entwicklungshilfe. Nur so könnten junge Leute von Abwanderung nach Europa abgehalten werden. Die Grünenpolitikerin Amtsberg winkt ab, "heiße Luft". Da geht Seehofer seinerseits zum Angriff über. "Ich habe von Regierungen, wo Grüne beteiligt sind, null Komma null Unterstützung", spottet er. Gemeint ist Österreich, dessen Regierung nicht einen Flüchtling aus Lesbos aufnehmen will.

Die SPD will wissen, wo das viele Geld geblieben ist, das die EU den Griechen für Geflüchtete überwiesen hat. Die Linke wirft Seehofer Blockadehaltung vor. "Bitte die rote Ampel beachten", ruft der Bundestagspräsident. Als es vorbei ist, lässt Horst Seehofer sich auf seinen Sitz sinken. Er sieht jetzt doch ein bisschen erschöpft aus.

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SZ vom 17.09.2020/bix
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