Süddeutsche Zeitung

Zukunft des Innenministers:Seehofers letzte Chance

In diesen Tagen entscheidet sich das Schicksal von Horst Seehofer. Sollte er nur als CSU-Chef Adieu sagen, müsste er sich als Innenminister neu erfinden. Es ist nicht ausgeschlossen.

Von Stefan Braun, Berlin

Es klang bislang wie eine Selbstverständlichkeit: Wenn in Bayern alles neu geregelt ist und die Regierung steht, wenn darüber hinaus Manfred Weber, der Europäer unter den Christsozialen, zum neuen EVP-Spitzenkandidaten gekürt ist, dann wird es für Horst Seehofer Zeit, Abschied zu nehmen.

Das betrifft den CSU-Vorsitz - nach dem schlechtesten Wahlergebnis für die Partei in Bayern seit siebzig Jahren. Und es galt für den Posten des Bundesinnenministers, nachdem Seehofers Wirken in Berlin in den vergangenen Monaten für Koalition und Gesellschaft als besonders spaltend und konfliktreich erlebt wurde.

Und doch ist nichts besiegelt. Wer Seehofers striktes Dementi mitbekommen hat, als die Wochenzeitung Die Zeit zuletzt spekulierte, er werde bald abtreten, konnte spüren, wie sehr seine Widerstandskräfte noch immer wirken.

Was also passiert, wenn der 69-Jährige partout nicht aufhören möchte? Sollte er sich an den CSU-Vorsitz klammern, droht ihm der Sturz bei einem Sonderparteitag - oder aber ein Verschwinden in Raten, machtlos in den Gremien, zunehmend einsam auf den Parteitagen. Und wenn die Partei im kommenden Jahr dann turnusgemäß einen neuen Chef bestimmt, wird der früher mal erfolgreiche Ministerpräsident kein Wörtchen mitreden können.

In Berlin aber, wo es ums Bundesinnenministerium geht, liegen die Dinge anders. Dort könnte Seehofer versuchen, im Amt zu bleiben, um in Zukunft alles anders zu machen. Jeder andere Weg wäre zum Scheitern verurteilt. Will Seehofer eine letzte Chance erhalten, muss er neu anfangen.

Ausgerechnet bei ihm müsste aus Konfrontation Kooperation, aus Ausgrenzung Integration und aus Aggression Empathie werden. Das klingt verrückt bis unmöglich - und ist doch nicht ganz ausgeschlossen.

Kooperation statt Konfrontation

Er müsste sich an seine ersten Worte erinnern. Als der Koalitionsvertrag geschlossen war, erklärte Seehofer mit dem Brustton der Überzeugung, dass er stolz sei, dieser Koalition anzugehören. Er nämlich werde dafür sorgen, dass diese Koalition eine große Koalition für die kleinen Leute werde. Es war keine schlechte Botschaft nach diesem Wahlergebnis.

Seehofer kehrte für einen Moment zu jener Rolle zurück, die er vor allem zu Beginn seiner Karriere pflegte: der Politiker, der aus kleinen Verhältnissen kam, wollte ein Helfer für diejenigen werden, die es nicht so einfach haben, nicht gleich auf die tollste Schule kommen, in wirtschaftsschwachen Regionen leben, sich im Vergleich zu vielen Jung-Dynamikern ziemlich abgehängt fühlen.

Es war ein guter Ansatz. Und wenn Seehofer am zweiten Tag seiner Amtszeit begonnen hätte, sich als Minister für die Verbesserung der inneren Verfasstheit des Landes zu verstehen - wer weiß, wo er heute schon angelangt wäre.

Zumal das die zentrale Botschaft war, die im "Wir-haben-verstanden" der Regierung zum Ausdruck kommen sollte. Man wollte sich neu kümmern, gemeinsam. Das wäre kein unmögliches Unterfangen. Es hätte aber verlangt, nach außen Empathie für die Menschen zu zeigen und nach innen gut übereinander zu reden.

Integration statt Ausgrenzung

Womit man bei der für Seehofer vielleicht größten Baustelle wäre. Ein kluger Innenminister müsste die unbestreitbaren Probleme bei der Aufnahme und der Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen an einer zentralen Stelle anders angehen: Er dürfte nicht ausgrenzend reden wie die AfD, sondern müsste integrierend wirken.

Die wahren Probleme liegen nicht zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen; sie liegen auch nicht zwischen Deutschstämmigen und Migranten. Sie liegen zwischen denen, die Straftaten begehen und Gewalt anwenden - und allen anderen, die das ablehnen. Diesen Spalt, die Abscheu, das Entsetzen darüber spüren die allermeisten. Und sie wollen sich nicht in eine Schublade mit den Tätern stecken lassen.

Das bedeutet nicht, gegen asylsuchende Wiederholungstäter nichts zu unternehmen; und es bedeutet erst recht nicht, Gewaltverbrecher unter den Asylbewerbern ohne Strafe auf freien Fuß zu lassen. Es bedeutet nur, daraus keine Debatte zwischen Inländern und Ausländern, zwischen Deutschen und Kriegsflüchtlingen, zwischen Christen, Juden und Muslimen werden zu lassen. Selbst wenn andere genau diese Trennlinien heimlich anstreben.

Scharfe Gesetze gegen Intensivtäter - das ist keine Schlacht gegen Muslime oder Ausländer, sondern eine Verteidigung der Liberalität und der Grundrechte, und zwar gegen alle, die ebendiese Liberalität mit Füßen treten. Sich als Innenminister auf diese Weise zu positionieren, ist nicht unmöglich, sondern bitter nötig. Es verlangt im Zweifel aber auch, sich gegen die Hardliner im eigenen Ministerium durchzusetzen.

Empathie statt Aggression

Seehofer hätte von Anfang an ein starker Minister sein können, der sich für die Angleichung der Lebensverhältnisse einsetzt und von Tag eins an übers Land fährt, um zu sehen, zu hören und zu spüren, wie es den Menschen geht. Was der Bundespräsident seit Wochen macht, hätte qua Amt der Innenminister erst recht tun müssen.

Statistiken alleine werden ihm nie erzählen, wie sich die Menschen in der Pfalz oder der Lausitz fühlen. Erst das Zuhören, das Sehen, das unmittelbare Sich-berichten-lassen hätte Seehofer den Eindruck gegeben, den er braucht, um die AfD klug zu bekämpfen und nicht rechte, aggressive Worte noch zu bestätigen.

Seehofer erweckt den Eindruck, als scheue er diese Begegnung. Als habe ihn jenseits der bayerischen Grenzen eine Distanz zu den Menschen erfasst, die man bei ihm früher nicht für möglich gehalten hätte.

Will er in Berlin tatsächlich im Amt bleiben, will er ab jetzt in diesem Amt gar noch positives bewirken, muss er sich neu erfinden. Dabei könnte er beim alten Horst Seehofer suchen und fündig werden. Ob er es schafft, kann niemand sagen. Wahrscheinlich nicht mal er selber.

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