In der großen Koalition bahnt sich Zwist über die europäische Asylpolitik an. Die SPD im Bundestag lehnt Kernelemente des Konzepts ab, das Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) vorgelegt hat.
Es sieht vor, dass Geflüchtete auf dem Weg nach Europa künftig gleich bei der Einreise in Asylzentren festgesetzt werden. Eine beschleunigte Vorprüfung soll dort klären, ob ihr Asylantrag aussichtslos ist. Wird dies festgestellt, sollen sie direkt abgeschoben werden. Die Organisation Pro Asyl schlug bereits Alarm und warnte vor "Entrechtung" und "Haftlagern" an der EU-Außengrenze. Nun fordert auch die SPD-Fraktion erhebliche Nachbesserungen.
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"Abgeschwächte Asylverfahren lehnen wir ab. Es kann nicht per Augenschein entschieden werden, ob jemand schutzbedürftig ist oder nicht", sagte der migrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Castellucci. "Es kann keine Vorprüfung geben, die den Kern des Flüchtlingsschutzes unterläuft." Castellucci ist Autor eines detaillierten Papiers zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems.
Es soll an diesem Dienstag in der SPD-Fraktion beschlossen werden und liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Eine Reform des GEAS sei "dringend notwendig", heißt es darin. Allerdings müssten die hohen Standards internationaler Flüchtlingskonventionen "vollumfänglich aufrechterhalten und unwürdige Bedingungen beendet" werden. In Seehofers bisherigem Konzept sieht die SPD dafür keine Gewähr.
Seit 1999 versucht die EU, die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in der EU zu vereinheitlichen, erfolglos. Als grob ungerecht gilt insbesondere das Dublin-System, wonach das jeweilige EU-Land, in dem ein Asylbewerber die EU zuerst betritt, für dessen Verfahren und Versorgung zuständig ist. Die Regelung belastet besonders Mittelmeerländer. Auch Seehofer will das Dublin-System abschaffen. Weil die EU-Kommission das Gemeinsame Europäische Asylsystem reformieren will, hat er für die Bundesregierung Vorschläge erarbeitet - offenbar ohne die Zustimmung des Koalitionspartners SPD einzuholen.
Seehofers Konzept sieht die "schnelle Prüfung" von Asylanträgen gleich nach der Einreise in die EU vor und bei illegalen Grenzübertritten. In Einrichtungen an der EU-Außengrenze soll "durch geeignete, notfalls freiheitsbeschränkende Maßnahmen" sichergestellt werden, dass Migranten sich dem "Grenzverfahren" nicht entziehen. Wie lange sie dort festgehalten werden dürfen, ließ das Innenministerium auf Anfrage offen. Das Verfahren sei "innerhalb kürzester Zeit durchzuführen", hieß es nur. Geprüft werden soll nach Seehofers Konzept dann im beschleunigten Verfahren, ob "offensichtliche Nicht-Schutzbedürftigkeit" besteht. Ist das der Fall, sollen Migranten direkt abgeschoben werden.
Unklar ist, was passiert, wenn Zentren voll sind. Eine "Überlastung der Außengrenzeinrichtungen" und der Einrichtungen für besonders Schutzbedürftige sei "unbedingt zu vermeiden", heißt es. Wenn keine "Nicht-Schutzbedürftigkeit" vorliege, seien Asylbewerber in der EU zu verteilen, bei Sicherstellung rechtlicher Standards. Viele EU-Länder verweigern die Umverteilung von Flüchtlingen allerdings bisher.
SPD: Beschleunigte Asylverfahren, angelehnt "an den Standard der deutschen Einrichtungen"
Seehofer hofft, die Asylzahlen so zu senken und die Akzeptanz für tatsächlich Schutzbedürftige zu steigern. Bei der SPD betrachtet man sein Vorhaben hingegen als gefährlichen Lückentext. Schnelle Vorprüfungen, bei denen die Rechte Geflüchteter auf der Strecke blieben, lehne er ab, sagte der Abgeordnete Castellucci.
Seine Fraktion stimme nur offenen Asylzentren zu, die nicht nur an den Rändern der EU liegen sollten. In ihnen müsse das gesamte beschleunigte Asylverfahren durchgeführt werden, angelehnt "an den Standard der deutschen Einrichtungen", so der SPD-Entwurf.
Zudem müsse es eine Obergrenze für Aufenthaltszeiten und Belegung geben. Auch das Konzept sicherer Drittstaaten, das zur Ablehnung von Asylanträgen führen könne, "betrachten wir sehr kritisch", heißt es weiter. "Push-Backs, also Zurückweisungen Schutzbedürftiger, sind illegal und unter allen Umständen auszuschließen." Menschen, die keinen Schutzanspruch hätten, aber nicht abgeschoben werden könnten, seien auf die EU-Länder zu verteilen, "wenn sie das Rückführungshindernis nicht selbst zu vertreten haben". Mit Widerstand aus der Union darf gerechnet werden.