Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Österreich:A Kurz is born

Die Demokratie braucht Helden, um zu überleben - ist Sebastian Kurz nun einer? Für Verklärung gibt es keinen Grund. Doch eines hat der Österreicher begriffen.

Kommentar von Detlef Esslinger

Vielleicht ist Sebastian Kurz ja nun stolz auf sich: dass er ein Rezept gefunden hat, wie man sowohl etablierte demokratische Konkurrenten als auch Populisten deklassiert. Als solcher steht er indes nur auf den allerersten Blick da. Kurz, bald wieder Kanzler in Österreich, hat vor einer Woche zwar auch von eigenem Geschick profitiert; daraus lassen sich Lehren ziehen. Vor allem jedoch verdankt sich sein Erfolg dem Ungeschick anderer.

Er hat sich womöglich - wie so viele Wahlsieger vor ihm - nur das prozentuale Ergebnis angeschaut, das 37,5 Prozent für seine Partei ausweist (und damit einen Vorsprung von 16,3 Prozentpunkten vor den Sozialdemokraten). Auf der Basis von Stimmanteilen werden zwar die Sitze im Parlament verteilt und die Mehrheitsverhältnisse bestimmt. Indes gibt nur ein Blick auf die absoluten Stimmen Auskunft, zu welcher Mobilisierung jemand fähig ist. Kurz hat diesmal 194 000 Stimmen zusätzlich geholt - zugleich jedoch haben SPÖ und FPÖ zusammen 900 000 Wähler verloren, das ist jeder dritte. Und es haben diesmal 300 000 Bürger weniger abgestimmt.

Mit anderen Worten: Kurz hat längst nicht in dem Maße mobilisiert, wie andere demobilisiert haben; die Höhe seines Erfolgs ergibt sich aus der Arithmetik. Was Mobilisierung betrifft, waren die Grünen, unter Führung eines Herrn Kogler, weitaus erfolgreicher: Sie haben ihre Stimmen verdreieinhalbfacht.

Es geht nun nicht darum, diesem Wahlsieger seine Fähigkeiten abzustreiten. Nur schadet es womöglich nicht, einer Verklärung zeitig entgegenzuwirken. A Kurz is born? Abwarten. Demokratien brauchen Helden, schreibt der Philosoph Dieter Thomä, das ist gewiss richtig. In Demokratien sind Politiker vonnöten, an denen man sich orientieren kann, und an solchen mit einem Spitznamen wie "Scholzomat" orientiert sich niemand.

Soweit die Bürger jedoch Wahlkämpfer als Helden betrachten - vor allem solche, die neu sind auf der Bühne -, neigen sie dazu, diese mit Erwartungen in einem Ausmaß zu belegen, die später nur ent-täuscht werden können, im Wortsinne. Obama erwies sich als leidlich guter Handwerker, mehr nicht. Macron hat im Amt handwerklich sonderbare Fehler gemacht. Martin Schulz brauchte dazu gar nicht erst ins Amt zu kommen. Kurz hat in Österreich bisher eigentlich nur eins geliefert: einen zweijährigen Rodeo-Ritt mit den Hetzern von der FPÖ. Dass die nun so zerrupft sind, dazu hat er selbst am wenigsten beigetragen.

Das im handwerklichen Sinn Faszinierende an Kurz ist: Trotz bislang bescheidener Bilanz ist er derjenige Politiker in Österreich mit der größten Strahlkraft. Ist eine Kamera an, tritt er freundlich und gut gelaunt auf; der Autor Daniel Dettling attestiert ihm drei Fähigkeiten, deren Bedeutung immens ist: Gelassenheit in Sprache und Auftritt, moderierende Tonalität sowie Zuversicht. Es gelingt Kurz, auf Facebook und Instagram eine Parallelwirklichkeit so zu installieren, dass ihm eine Aktenschredder-Affäre absolut gar nichts anhaben kann.

Dass er inhaltlich schwer zu fassen ist? Darauf kommt es bei Politikern eh nicht zwingend an - zumal Ideologien kaum noch von Belang und die Probleme so unübersichtlich sind. Es ist nun mal so, dass viele Bürger die Politik nur höchst nebenbei verfolgen, es sich lieber übersichtlich machen: indem sie die Verantwortung fürs Land bei dem oder denen deponieren, die ihnen irgendwie ein gutes Bauchgefühl verschaffen.

Immer öfter gelingt dies Personen, die Popstar-Qualität zeigen: die entweder eine etablierte Partei ummodeln (wie Kurz, der die ÖVP in "Die neue Volkspartei" umbenannt und die Farbe von Schwarz auf Türkis geändert hat) - oder die gleich eine auf sich bezogene Organisation gründen (wie Macron mit La République en Marche). Hauptsache, sie können behaupten, Politik "anders" zu machen, weil sie mit Recht annehmen, dass der Zeitgeist das gern hört. Mitunter handelt es sich bei den Erfolgreichen aber auch nach wie vor um eine Gruppe durchgängig akzeptierter Personen, die von einer derzeit mächtigen Idee und ebenfalls dem Zeitgeist getragen werden, wie die österreichischen und deutschen Grünen.

Die Frage, ob der Popstar oder die Altmodischen wünschenswerter sind, hätte etwas Bevormundendes. Viel interessanter ist eine andere: Wie gelingt es heute manchen Personen oder Gruppen, ihre Wählerschaft zu halten oder auszubauen, die Stimmen von Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebensgefühlen einzusammeln?

Macron ist dies gelungen, Kurz immerhin teilweise. In Deutschland war Angela Merkel damit erfolgreich, und Winfried Kretschmann könnte dies weiterhin sein. Der grüne Ministerpräsident nennt sein Prinzip: "Politik des Und". Menschen, die sich entweder weiterhin an Ideologien festhalten oder aber von Ängsten geprägt sind, nehmen immer an, sich entscheiden zu müssen: zwischen Ökonomie oder Ökologie, Heimat oder offener Gesellschaft, Bewahren oder Gestalten. Kretschmann hingegen sagt, es komme auf beides an: "Die Idee des wertgebundenen Gestaltens ist die konservative Idee unserer Zeit." So strahlt er weit über sein ursprüngliches Milieu hinaus, so zieht er seine Grünen in Baden-Württemberg in Umfragen hoch auf 38 Prozent.

Die These ist nicht allzu gewagt, dass die Orientierung an Personen eher zu- als abnehmen wird. Wer sich darstellen kann, wer in seinem Handeln eine Art höhere Erzählung erkennen lässt und über längere Zeit im Gespräch, aber nie im Gerede ist, der (oder die) bedient das Bedürfnis nach Übersichtlichkeit. Sebastian Kurz hat bisher vor allem Bühnenqualität bewiesen. "Unser Weg hat erst begonnen", schreibt er seinen Fans bei Instagram. Na gut. Will er länger unterwegs sein, müsste nun die Werkstattqualität hinzutreten. Oder die Leute wenden sich in ein paar Jahren dem nächsten Popstar zu, und Kurz kommt in den Medien nur noch in den Rubriken vor, die "Was macht eigentlich ...?" heißen.

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SZ vom 05.10.2019/mkoh
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