Sebastian Kurz:Österreichs Außenminister tadelt Deutschland und lobt Osteuropa

Austrian Foreign Minister Kurz addresses a news conference in Vienna

Innenpolitisch macht Sebastian Kurz sich und seine christsoziale ÖVP kompatibel mit der radikal rechten FPÖ.

(Foto: REUTERS)

Sebastian Kurz forciert das Thema Flüchtlinge, um der radikal rechten FPÖ das Wasser abzugraben. Das ist riskant.

Von Oliver Das Gupta, Wien

Sebastian Kurz hat sich das Timing offensichtlich gut überlegt. An dem Tag, an dem seine Landsleute ihr künftiges Staatsoberhaupt bestimmen sollten und es wegen der Klebstoffaffäre nun doch nicht tun, ist ein großes Interview mit dem österreichischen Außenminister erschienen. In einem Gespräch mit der Welt am Sonntag redet der alerte Jungkonservative Kurz aber nicht über die bislang missglückte Bundespräsidentenwahl. Ihm geht es um etwas anderes, er will etwas vorantreiben im Themafeld, das politisch Wien wie Berlin seit einem Jahr dominiert: die Flüchtlingskrise.

Kurz wiederholt viel von dem, was er schon lange sagt. Zum Beispiel, dass man die Außengrenzen der Europäischen Union schließen soll. Er lässt ein bisschen Eigenlob anklingen, wenn er über die Schließung der Balkanroute spricht, die die Wiener rot-schwarze Regierung - und darin maßgeblich Kurz - initiiert hat.

Bemerkenswert ist das Interview wegen anderer Passagen. Sie weisen darauf hin, wohin Kurz steuert und verdienen genauere Betrachtung und Einordnung. Innenpolitisch macht er seine christsoziale ÖVP und sich kompatibel mit der radikal rechten FPÖ. Außenpolitisch tendiert er klar in Richtung der Visegrád-Staaten. Diese Gruppe besteht aus Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei - wesentliche Bestandteile des vor fast 100 Jahren untergangenen Habsburger-Reiches. Drei zentrale Aspekte im Überblick:

Kritik an Deutschland: Mehrmals lässt Kurz in dem Interview anklingen, dass er den Kurs Berlins in der Flüchtlingspolitik für falsch hält, allerdings ohne Kanzlerin Angela Merkel direkt anzugehen. Kurz beklagt, dass die deutsche Bundesregierung beim Wiener Flüchtlingsgipfel unlängst angekündigt hat, jeden Monat ein paar hundert Flüchtlinge aus Italien und Griechenland nach Deutschland zu holen. Die Solidarität mit den Grenzstaaten rührt an einem zentralen Punkt der EU-Flüchtlingspolitik. Denn auch die Wiener Regierung hat den Beschluss für eine Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU mitgetragen. Nun sagt Kurz: "Diese Politik ist falsch". Denn durch die Übernahme von Flüchtlingen gäbe es einen weiteren Anreiz für weitere Migranten, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Damit liegt Kurz auf der Linie mit den Staaten Tschechien und Polen, die bislang kaum Flüchtlinge aufgenommen haben.

Demonstrative Nähe zu Visegrád-Staaten: Bis vor Kurzem orientierte sich Wien in vielen Dingen am Kurs Berlins. Damit hat Kurz gebrochen. Sein Blick richtet sich nach Osten. Kurz wiegelt er auch im aktuellen Interview eine Frage nach dem ungarischen Referendum zur Flüchtlingspolitik ab. Keine kritische Silbe kommt ihm über die Lippen. Stattdessen äußert er Verständnis und Lob für die Haltung der Visegrád-Staaten. "Sie haben die Einladungspolitik von Beginn an nie unterstützt", sagt Kurz. Kritik an aus Brüssel, Berlin und anderen EU-Metropolen verbittet sich der Minister wortreich: "Es ist gefährlich, wenn einige Staaten in der Europäischen Union den Eindruck erwecken, anderen Mitgliedsländern moralisch überlegen zu sein."

Anknüpfungspunkte für FPÖ: Mit der Annäherung an die Visegrád-Staaten bewegt sich Kurz innenpolitisch immer weiter nach rechts. Dort wartet die radikal rechte FPÖ als potenzieller Koalitionspartner im Bund, deren Parteichef Heinz-Christian Strache erst vor Kurzem einen Beitritt Österreichs in die Visegrád-Gruppe forderte. Auch teilt die FPÖ die Kritik an Brüssel und an den Deutschen inhaltlich. Nur formuliert Kurz seine verbalen Salven galanter als der aggressiv auftretende Strache. So besetzt Kurz auf freundlichere Weise zunehmend FPÖ-nahe Positionen in der Europa- und Ausländerpolitik. Gerade Kritik an den Deutschen kommt in Österreich zunehmend an. Damit holt er Pluspunkte beim FPÖ-Anhang und macht sich persönlich kompatibel für Straches Partei. Eine Koalition mit der FPÖ im Bund will Kurz im aktuellen Interview explizit nicht ausschließen. Ob er Kanzler einer solchen Regierung werden möchte? Darauf antwortet er: "Diese Frage stellt sich nicht".

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