Süddeutsche Zeitung

Österreich-Wahl:Wie Sebastian Kurz zum Brückenbauer werden könnte

Bisher zeigte Sebastian Kurz sich nicht nur als Erfüllungsgehilfe der Rechten, sondern als Gleichgesinnter. Nun bekommt er eine Gelegenheit, seine Rolle neu zu finden.

Kommentar von Peter Münch, Wien

Österreich wählt, und wenn man den Anlass für diese Wahl betrachtet, dann stehen große Fragen auf der Tagesordnung. Nach dem Ibiza-Skandal geht es um die Abwehr von Gefahren für die Demokratie, um saubere und transparente Politik, um die Verortung des Landes im europäischen Gefüge. Fragen sind das, die jetzt in Österreich beantwortet werden müssen - und die zugleich weit über Österreich hinausweisen.

Denn Wien darf für sich in Anspruch nehmen, eine Art politisches Versuchslabor zu sein. Zumindest gilt das seit 2017, aber neu ist es nicht. Schließlich hatte schon Friedrich Hebbel, der weit gereiste und am Ende in Wien begrabene deutsche Dramatiker, anno 1862 befunden: "Dies Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält."

Was will der alte, wohl bald neue Kanzler?

Die jüngste Probe ist eine Regierungskoalition aus einer eigentlich in der Mitte verankerten Volkspartei und polternden Rechtspopulisten gewesen. Was dies für Folgen zeitigt im gesellschaftlichen und politischen Klima, das war schon lange vor Veröffentlichung des Ibiza-Videos zu erkennen. Da gab es eine lange Reihe von rassistischen, antisemitischen und islamophoben Entgleisungen von Funktionären der Regierungspartei FPÖ. Mit dem Aufstieg der Freiheitlichen wurden die Grenzen des Sagbaren systematisch verschoben. Als Innenminister schwang sich Herbert Kickl etwa zu der Forderung auf, das Recht habe der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht.

Auf Ibiza war obendrein von Heinz-Christian Strache zu erfahren, wo er Österreichs Zukunft sieht: nicht im "dekadenten Westen", sondern östlich angebunden bei den befreundeten Autokraten Orbán, Putin und Co. Die Ibiza-Affäre war ein Blick in den Abgrund. Sie hat die rechte Regierung aus den Ämtern gefegt - doch noch ist es zum Aufatmen oder Aufarbeiten offenbar viel zu früh. Der neue FPÖ-Chef Norbert Hofer zeigt sich im Wahlkampf immer noch stolz an Viktor Orbáns Seite und Herbert Kickl, der Mann fürs Grobe, lässt sich mit den alten Parolen auf den Marktplätzen und in den Bierzelten feiern. Erhebliche Zweifel muss man zudem an der Lernfähigkeit des gestürzten Kanzlers Sebastian Kurz haben, der die Koalition mit der FPÖ mit den Worten beendet hatte: "Genug ist genug" - nur um kurze Zeit später schon die gemeinsamen Erfolge dieser Regierung zu preisen und eine Neuauflage explizit nicht auszuschließen.

Es offenbart sich darin ein Politikstil, bei dem die Verbindung zwischen Verfehlungen und Verantwortung, zwischen Machtausübung und Moral gekappt worden ist. Leichtfertig werden zudem die Fundamente der repräsentativen Demokratie zersetzt, wenn der vom Nationalrat per Misstrauensvotum gestürzte Kanzler Kurz einen Gegensatz aufbaut zwischen Parlament und Volk. Seinen Anhängern hat er auf seinem Weg zur Wiederwahl den Slogan eingebläut: "Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden." Kurz zeigt sich hier nicht nur als Erfüllungsgehilfe der rechten Populisten, sondern als deren Gleichgesinnter.

Die kleine Republik als europäisches Versuchslabor

Immerhin aber haben die Österreicher nun nach gerade einmal 18 Monaten Regierungszeit die Möglichkeit, im Wiener Politiklabor eine neue Versuchsanordnung aufzubauen. Das Wahlergebnis wird aller Voraussicht nach dem Sieger Kurz neben einer Fortsetzung des Bündnisses mit der FPÖ zwei weitere Optionen zur Regierungsbildung geben: zum einen die althergebrachte Zusammenarbeit mit der SPÖ, zum anderen den Aufbruch zu politischem Neuland in einer Dreierkoalition mit den Grünen und den liberalen Neos.

Diese Wahl ist eine Entscheidung darüber, was für ein Land Österreich sein möchte: xenophob oder weltoffen, anfällig für autokratische Entwicklungen oder gefestigt als Rechtsstaat. Konsequenzen wird diese Entscheidung nicht nur für Österreich haben, sondern für ganz Europa. Denn die EU ringt in einem größeren geografischen Rahmen mit den gleichen Fragen, die in Österreich bei dieser Wahl auf der Agenda stehen. Dem Kontinent droht eine Zerreißprobe, und Österreich als Land im Zentrum Europas könnte tatsächlich eine wichtige Rolle übernehmen: die des Brückenbauers.

Sebastian Kurz hat genau diese Rolle 2017 nach Übernahme der Kanzlerschaft für sich in Anspruch genommen. Einlösen konnte er diesen Anspruch jedoch nicht, weil seine rechte Regierung zu eindeutig positioniert war auf einer Seite. Durch diese Wahl aber könnte er dafür eine zweite Chance bekommen.

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SZ vom 28.09.2019/mxm
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