Schwindende Zustimmung für Einsatz in Syrien:Beben an der Basis

US-SYRIA-CONFLICT-PROTEST

Die Mehrheit der US-Bevölkerung ist gegen ein Eingreifen Washingtons im Syrien-Konflikt

(Foto: AFP)

US-Abgeordnete bekommen in der Syrien-Frage den Zorn der Wähler zu spüren. Die Zustimmung für den Einsatz schwindet. Vor allem die Demokraten geraten dabei mitten in ein Dilemma, weil Präsident Barack Obama ein Eingreifen befürwortet.

Von Nicolas Richter, Washington

Der Abgeordnete Michael Grimm war auf Kriegskurs, aber nur zwei Wochen lang. Unter dem Eindruck der Giftgas-Bilder aus Damaskus befürwortete er einen schnellen, harten Militärschlag gegen Syrien. Seit Donnerstag sieht er die Sache anders. "Der richtige Augenblick, um unsere Stärke zu zeigen, ist vorbei", schreibt der ehemalige Soldat auf seiner Homepage. Er sei "nicht mehr überzeugt, dass ein Angriff auf Syrien den USA einen Vorteil bringt".

Noch ein Unterstützer weniger für Präsident Barack Obama, der Syrien zwar für den mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen bestrafen möchte, dafür allerdings das US-Parlament um Erlaubnis gebeten hat. Der Abgeordnete Grimm merkt an, viele Menschen in seinem Wahlkreis hätten sich "entschieden" gegen einen Alleingang der USA ausgesprochen in einer Zeit, da es zu Hause schon etliche Nöte gebe. Dies dürfte der wahre Grund für Grimms Umkehr sein: Seine Wähler haben ihm entschieden die Meinung gesagt.

Solche Lageberichte von der Basis gehen längst aus dem ganzen Land ein. Wie auch immer man die Stimmung misst - sie schwankt zwischen Skepsis und empörter Ablehnung. Das zeigen nicht nur Umfragen, sondern auch Youtube-Filme davon, wie sich Abgeordnete und Senatoren den Fragen ihrer Wahlkreisbürger stellen. Man sieht etwa, wie jemand in Arizona an den alten Senator und Interventionisten John McCain herantritt und vor Zorn bebend fragt: "Warum hören Sie nicht endlich auf das Volk?"

Sollte sich diese Stimmung bis in die kommende Woche hinein halten oder gar noch verstärken, droht Obama eine klare Niederlage im Parlament. Während der Präsident noch relativ gute Chancen hat, dass ihm der Senat folgt, könnte er im Abgeordnetenhaus deutlich verlieren.

Anonyme Mitarbeiter der republikanischen Mehrheitsfraktion im Unterhaus erklären, bislang hätten sich nur zwei Dutzend Parlamentarier aus ihren Reihen eindeutig für einen Angriff ausgesprochen. Nach einer Zählung der Washington Post sind etwa 200 Gewählte beider Parteien fest oder tendenziell gegen den Einsatz. Sollten knapp 220 dagegen stimmen oder sich enthalten, hätte Obama verloren.

Das Dilemma der demokratischen Abgeordneten

Noch ist die Entscheidung freilich nicht gefallen. Das Weiße Haus schickt ohne Unterlass Experten und Regierungsmitglieder zu den Abgeordneten, um ihnen die Argumente des Präsidenten näherzubringen. Obama, der diese Woche im Ausland verbrachte, plant nach seiner Rückkehr den dramatischsten Auftritt überhaupt - am Dienstag möchte er sich in einer Fernsehansprache aus dem Weißen Haus direkt an sein Volk wenden. Und die Anführerin der demokratischen Minderheitsfraktion im Unterhaus, Nancy Pelosi, gilt als extrem effizient darin, ihre Leute auf Linie zu bringen. Sie hat sich für den Angriff ausgesprochen, wie auch ihr republikanischer Fraktionschef-Kollege John Boehner.

Aber womöglich reizt diese Geschlossenheit der Washingtoner Chefs - von Obama über Boehner zu Pelosi - die Basis erst recht zum Widerspruch. Die Gespräche der Politiker mit den Wählern zeigen, dass sich die Bürger um Arbeit und Gesundheit sorgen, um Steuern und Einwanderung - und nicht um Syrien. Selbst wenn sie sich um Syrien sorgen, sehen sie nicht die USA in der Pflicht.

Und selbst wenn sie die USA in der Pflicht sehen, finden sie Obamas Plan für einen beschränkten Vergeltungsangriff nicht überzeugend. Es hat sich ein echter Widerwille dagegen gebildet, dass "die in Washington" das Land in neue Abenteuer stürzen. "Die Leute sind nicht müde vom Krieg. Sie sind angewidert vom Krieg", sagt der demokratische Abgeordnete Alan Grayson. Er sammelt in einer Internet-Petition Stimmen gegen den Angriff.

Die Abgeordneten der Demokraten sind mitten im Dilemma. Stimmen sie gegen den Angriff, demütigen sie ihren Präsidenten und beschädigen ihn politisch wohl nachhaltig - drei Jahre vor dem Ende seiner Amtszeit. Stimmen sie für den Angriff, setzen sie sich dem Zorn ihrer Wähler aus. Der demokratische Abgeordnete Gerry Connolly zum Beispiel war dieser Tage in seinem Wahlkreis im Norden Virginias unterwegs, um für den Syrien-Angriff zu werben. "Die Reaktionen war ganz überwiegend negativ", seufzte er in einem Interview. Hunderte Wähler haben in seinem Büro angerufen und protestiert.

Für die Republikaner ist die Sache schon einfacher. Viele Wähler und Abgeordnete lehnen die Intervention schlicht mit dem Argument ab, dass man einem Oberbefehlshaber Obama nicht trauen könne. Seine Pläne seien nicht durchdacht, seine Drohungen nicht überzeugend. Diese Argumentation hat den Vorteil, dass man sich mit dem Syrien-Konflikt im Kern gar nicht auseinandersetzen muss.

Im Herbst kommenden Jahres sind Parlamentswahlen, und aus der Sicht vieler Abgeordneter könnten die Risiken einer neuen Intervention in Nahost im schlimmsten Falle für sie persönlich zum Risiko werden. Sie sind sich erst einmal selbst die Nächsten.

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