Süddeutsche Zeitung

Schweizer Spitzel:Affäre um Schweizer Spitzel dürfte noch deutlich größer werden

Mit demonstrativer Gelassenheit reagiert die Schweiz auf die Ausspähung deutscher Finanzbeamter. Eine Lappalie ist sie aber keineswegs.

Kommentar von Charlotte Theile

Die Nachricht könnte kaum aufregender sein: Ein Spion aus der Schweiz ist in Deutschland verhaftet worden, sein Auftrag war es, deutsche Steuerfahnder auszuspähen. Die deutsche Diplomatie ist entrüstet, die offizielle Schweiz in Erklärungsnot. Noch dazu geht es um ein Thema, das zwischen den beiden Ländern seit Jahren Ärger auslöst - das Schweizer Bankgeheimnis, beziehungsweise sein unrühmliches Ende.

Umso auffälliger ist die demonstrative Gelassenheit, mit der Geheimdienste und Politiker in der Schweiz auf den Skandal reagieren. Man wolle der Sache mit Schweigen den Sauerstoff entziehen, ist zu hören, beziehungsweise: kein Kommentar. Die Strategie scheint aufzugehen. Auf den meistgelesenen Seiten findet sich die Affäre schon jetzt nicht mehr.

Wollen deutsche Politiker auf Kosten der Schweiz Wählerstimmen sammeln?

Unter der Hand heißt es, das seien damals eben andere Zeiten gewesen. Zwischen 2010 und 2014, als der Spion in Deutschland aktiv war, gab es Uneinigkeiten zwischen den Ländern, die seien nun beigelegt. Ist der Spion, der in der Schweiz durch einen bekannten Rotlichtanwalt vertreten wird, also nur ein Gespenst aus der Vergangenheit?

Es ist eine Strategie, die in der Schweiz schon oft Erfolg hatte. Frei nach dem Motto "Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen" versuchen die Behörden den Eindruck zu erwecken, die Verhaftung ihres Spions sei uninteressant. Jeder wisse doch, dass man sich vor einigen Jahren, als die deutschen Steuerfahnder Daten-CDs aus der Schweiz kauften, gestritten habe. Zudem betonen Politiker der rechtskonservativen SVP, es sei Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen, wo der Spion im Einsatz gewesen sein soll. Da wolle wohl ein Politiker auf Kosten der Schweiz Wählerstimmen sammeln. Sei's drum.

Und obwohl das Bankgeheimnis inzwischen Geschichte ist, ist es gut möglich, dass man bald bei der alten Grundsatzdiskussion angelangt sein wird: Was ist eigentlich schlimmer? Deutschen Kunden bei der Steuerhinterziehung assistieren? Oder diese Praxis bekämpfen, indem man illegal zusammenkopierte Daten-CDs erwirbt?

Schweiz findet, Steuer-Whistleblower sind "Datendiebe"

Bis heute gibt es viele in der Schweiz, die finden, man habe das Bankgeheimnis zu leicht drangegeben. Es sei nicht der Fehler der Schweiz, dass in Deutschland so hohe Steuern erhoben würden, heißt es dann. Als liberaler Staat sei man sogar in der Pflicht, den Bürgern des Nachbarlandes einen Ausweg vor dem gierigen Fiskus anzubieten. Eine absurde Position, die schon lange nicht mehr zu halten ist. Im Prinzip wissen das auch die Schweizer - und fahren seit einigen Jahren offiziell eine "Weißgeldstrategie".

Doch die alten Gewohnheiten lassen sich nicht so einfach abschütteln. Noch vor wenigen Jahren, als Nordrhein-Westfalen entschied, CDs zu kaufen, war das ganze Land empört, befürchtete den Verlust von Rechtsstaatlichkeit und Privatsphäre. Die Whistleblower? Sind hier "Datendiebe", also: besonders niedrige Gestalten. Gespenster der Vergangenheit? Mitnichten. Der Chef der Außenpolitischen Kommission, Rino Büchel (SVP), sprach noch in dieser Woche von "charakterlosen kleinen Gaunern". Dass Deutschland mit diesen Leuten Geschäfte gemacht habe, das sei der Ursprung der Misere.

Und der Spion, Daniel M.? Hier versucht man, das Verhältnis herunterzuspielen. Der ehemalige Polizist und Banker soll nicht als Top-Spion erscheinen, sondern als einer, mit dem man losen Kontakt pflegte. Sein Anwalt sagt: Der Geheimdienst lasse "jemanden brüsk im Regen stehen, der sich mit voller Kraft eingesetzt hat". Das sei ein fatales Signal - auch an andere Agenten. Was der Anwalt andeutet, ist klar: Daniel M. ist aufgeflogen. Das heißt nicht, dass er der einzige Spion war, der deutsche Steuerfahnder beobachtete. Allen Beschwichtigungsversuchen zum Trotz: Die Affäre dürfte noch deutlich größer werden.

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SZ vom 05.05.2017/lkr
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