Schweizer FDP:Früher Vorbild, heute Mittelfeld

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Thierry Burkart (rechts) möchte die Freisinnige Partei neu ausrichten. An seinem Amt als Chef des Lastwagenverbandes will er festhalten. (Foto: Alessandro della Valle/picture alliance/KEYSTONE)

Die Freisinnigen Demokraten sind die älteste Partei der Schweiz und hatten einst viel Einfluss. Nun ringen sie um ihre Bedeutung und darum, nicht von den Grünen überholt zu werden.

Von Isabel Pfaff, Bern

Thierry Burkart ist sichtlich um Enthusiasmus bemüht. "Es braucht einen freisinnigen Aufbruch!", ruft der 46-Jährige in den Saal im Berner Hotel Kreuz. "Wir fünf", und er zeigt auf die vier anderen Politiker auf dem Podium, "sind überzeugt: Wir können das liberale Feuer entfachen!" Burkart, schlank, dunkelhaarig, akkurat sitzendes Jackett, ist Rechtsanwalt und Politiker der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) der Schweiz. Und er will ihr nächster Präsident werden - unterstützt von den drei Männern und der Frau, die da mit ihm auf der Bühne sitzen, den "erhofften" Vizepräsidentinnen und -präsidenten. Gewählt wird zwar erst am 2. Oktober, aber Burkart ist der einzige Kandidat für die Nachfolge der noch amtierenden Präsidentin Petra Gössi. Die 45-Jährige leitet die Partei seit 2016 und hat im Juni angekündigt, dass sie spätestens Ende 2021 ihr Amt abgeben möchte.

Es ist kein Zufall, dass Thierry Burkart seine Kandidatur an diesem Augusttag so betont engagiert verkündet. Seine Partei ist in keinem guten Zustand, schon seit vielen Jahren nicht. Lagen die Wähleranteile bis in die Neunzigerjahre noch bei guten 20 Prozent, gehen sie seither kontinuierlich zurück. Bei den jüngsten Wahlen 2019 erzielten die Freisinnigen gerade mal 15,1 Prozent, eine historische Tiefstmarke. Nun könnte man einwenden, dass dieser Wähleranteil für Schweizer Verhältnisse kein Beinbruch ist: Die FDP ist damit immer noch drittstärkste Kraft hinter der rechtskonservativen SVP (gut 25 Prozent) und den Sozialdemokraten (fast 17 Prozent). Doch der Schweizer Freisinn ist eben keine Partei wie jede andere.

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Er betrachtet sich als das politische Fundament des Landes, und er hat nicht ganz unrecht damit: Die Gründung des Schweizer Bundesstaats 1848 geht maßgeblich auf den Freisinn zurück, der damals allerdings keine Partei im modernen Sinn, sondern eher eine große, heterogene Strömung war. Trotzdem gilt die FDP heute als die älteste und, aufs Ganze betrachtet, einflussreichste politische Kraft der Schweiz. Und sie hält einen Weltrekord: Seit 1848, also seit mehr als 170 Jahren, sitzt sie ununterbrochen in der Landesregierung und auch in den meisten kantonalen Regierungen.

Eine solch kontinuierliche Präsenz hat Folgen. Ein zurückhaltender Staat, größtmögliche Freiheit für Individuen und die Wirtschaft, Eigenverantwortung, konsequenter Föderalismus: Viele der politischen Werte, die als typisch schweizerisch gelten, sind im Grunde FDP-Werte. Auch wenn andere politische Kräfte im Land - allen voran die SVP, aber jüngst auch die Grünen - im Lauf der vergangenen Jahrzehnte an Stärke gewonnen haben, kommen sie an bestimmten liberalen Grundüberzeugungen in der Bevölkerung nicht vorbei.

In zwei Fragen ist die Partei tief gespalten

Dass die FDP daraus nicht mehr so richtig Kapital schlagen kann, ist das große Rätsel der jüngeren politischen Vergangenheit. Eine Rolle spielt sicher, dass die Partei in zwei zentralen politischen Fragen der Gegenwart tief gespalten ist: beim Verhältnis der Schweiz zu Europa und dem Umgang mit der Klimakrise. Die Ära von Petra Gössi ist von diesen Problemen tief geprägt.

Zwar befürwortete die FDP unter ihrer Führung das (letztlich gescheiterte) Rahmenabkommen mit der EU. Doch als geschlossene Kraft trat die Partei in dieser Frage nie auf, mehrere Abweichler äußerten sich lautstark in den Medien. Noch verheerender war der Schlingerkurs, den die Partei beim Klima an den Tag legte: Noch im Wahljahr 2019 verpasste Gössi ihrer Partei überraschend einen klimafreundlichen Kurs und erhielt dafür auch Rückendeckung von der Basis. Aber auch hier versagten ihr mehrere einflussreiche Stimmen der Partei ihre Unterstützung. Und bei den Wahlen selbst sprach das schlechte Ergebnis nicht unbedingt für Gössis abrupten Kurswechsel.

Gössis Rücktritt folgte trotzdem erst knapp zwei Jahre später: als die Schweizer Bevölkerung das maßgeblich von der ergrünten FDP mitgeprägte CO₂-Gesetz jüngst an der Urne ablehnte. Das sei nicht der Grund, behauptete Gössi mehrmals in Interviews: Sie wolle lediglich ihrem Nachfolger, ihrer Nachfolgerin genügend Zeit vor den nächsten Wahlen 2023 geben.

Dass nun ausgerechnet Thierry Burkart Gössi beerben soll, darf als inhaltliche Neuausrichtung an der Parteispitze interpretiert werden. Burkart, seit 2015 Abgeordneter im Schweizer Parlament, gehörte zu denen, die sich mehrfach offen gegen den Kurs der Parteichefin gestellt hatten. Er gilt als Vertreter des rechten Parteiflügels, der eher die Nähe zur SVP als zur Mitte oder den Linken sucht. Das Rahmenabkommen mit der EU lehnte er ab, weil er Souveränitätseinbußen befürchtete. Zusammen mit einer Minderheit der FDP-Abgeordneten stimmte er gegen das CO₂-Gesetz. Und: Er ist Präsident des Schweizer Lastwagenverbands Astag.

Solche Ämter sind in der Schweizer Politik zwar nicht ungewöhnlich, schließlich sollen Abgeordnete ganz bewusst keine professionellen Politiker sein, sondern sich weiterhin ihren Berufen und Ämtern widmen. Die meisten Schweizer Parteipräsidenten sehen dennoch von solchen Interessenvertretungen ab. Nicht so Burkart: Er will dieses gut bezahlte Amt nicht abgeben, wie er am Tag der Verkündung seiner Kandidatur mitteilte.

Burkart wird die Partei nach rechts rücken

All das spricht dafür, dass nun einer bei der FDP das Zepter übernimmt, der die Partei wieder deutlich rechts der Mitte positionieren wird. Zwar betonte Burkart, dass er sein Stellvertreter-Team auch im Hinblick auf Vielfalt zusammengestellt habe: Sie stünden für Stadt und Land, für die lateinische und die Deutschschweiz, für Männer und Frauen. Auch der linksliberale Flügel sei vertreten. Nur: Angehörige des Gössi-Lagers sucht man auf Burkarts Podium vergebens. Er versucht es deshalb vorerst mit einem Versprechen: "Einigkeit herstellen wird eine große Führungsaufgabe sein."

Tatsächlich wäre die FDP gut beraten, wenn sie ihre Streitereien möglichst bald überwindet. Denn schon in zwei Jahren wird nicht nur das Parlament, sondern auch die Regierung, der siebenköpfige Bundesrat, gewählt. Bislang hat die FDP in diesem besonderen Gremium, das den Anspruch hat, alle wichtigen politischen Kräfte im Land abzubilden, zwei Sitze. Doch der Wahlerfolg der Grünen 2019 hat den zweiten Sitz des Freisinns gehörig ins Wanken gebracht. Die Grünen werden 2023 versuchen, ihn anzugreifen. Thierry Burkart muss sich beeilen mit dem Feuermachen.

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