Süddeutsche Zeitung

Schweiz im UN-Sicherheitsrat:Ein Plus für den Frieden?

Erstmals übernimmt die Schweiz einen der nichtständigen Sitze im Sicherheitsrat, dem mächtigsten Gremium der UN. Rund 20 Jahre nach dem Beitritt ist das bemerkenswert - und in dem streng neutralen Land umstritten.

Von Isabel Pfaff, Bern

Es ist ein kühler Sommermorgen, als sich die wichtigsten Köpfe der Schweizerischen Volkspartei (SVP) auf dem Bundesplatz in Bern versammeln. "Jetzt ist die Schweiz definitiv Kriegspartei!" steht auf ihren fast mannshohen Transparenten. Doch die Aktion der mächtigen rechtspopulistischen Partei hilft nichts. Am Ende dieses 9. Juni 2022 ist die Schweiz Mitglied des UN-Sicherheitsrats, gewählt mit einem Glanzresultat von 187 bei insgesamt 192 Stimmen.

Seit 2011 hat das Schweizer Außenministerium auf diesen Moment hingearbeitet. "A Plus for Peace", ein Plus für den Frieden - mit dieser Anspielung auf seine berühmte Flagge bewarb sich das neutrale Land um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Jahre 2023 und 2024. Die Schweiz wolle damit einen Beitrag für Frieden und Stabilität auf der Welt leisten, so bekundete das Außenministerium immer wieder, seine Erfahrung und Glaubwürdigkeit im Brückenbauen wolle das Land auch im Sicherheitsrat einbringen. Seit 1. Januar ist es nun so weit: Für zwei Jahre wird die Eidgenossenschaft mitbestimmen im mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen.

Was andere neutrale Staaten wie Irland oder Österreich für problemlos machbar hielten, ist für die Schweiz ein großer Schritt. Sie legt ihre Neutralität vergleichsweise strikt aus, ist kein Mitglied der Nato, ja nicht einmal der EU, und UN-Mitglied ist sie erst seit 2002 - als einziges Land der Welt mit dem Segen der Bevölkerung. Die hatte bei einem ersten Anlauf 1986 noch Nein gesagt zum Beitritt, aus Neutralitätsgründen. Anfang der Nullerjahre, so schreibt der Basler Historiker Georg Kreis, überwog dann offenbar die Ansicht, dass die Schweiz ihren wichtigsten außenpolitischen Grundsatz innerhalb der UN besser verteidigen kann als außerhalb.

Die SVP behauptet, Neutralität und Glaubwürdigkeit seien dahin

Nun also das aktive Einbringen im Sicherheitsrat, nur gute 20 Jahre nach dem Beitritt, noch dazu in einer Zeit voller Krisen und neuer Gräben. Was bedeutet das für die Schweiz?

In den Augen der SVP beerdigt das Land damit seine Neutralität endgültig. Die Partei setzt sich für eine "integrale" Neutralität ein, also eine besonders rigide Auslegung, nach der schon das Ergreifen von Wirtschaftssanktionen einer Parteinahme gleichkommt. Im Moment sammelt die SVP Unterschriften für eine Volksinitiative, die diese Auslegung in der Verfassung verankern will. Entsprechend heftig hat die Partei den Sitz im Sicherheitsrat bekämpft.

"Der Sicherheitsrat entscheidet über Krieg und Frieden", schrieb die SVP vergangenen März, als sie mit einer Motion im Parlament ein letztes Mal versuchte, die schweizerische Kandidatur zu stoppen. "Die Mitgliedschaft der Schweiz in diesem Gremium der Großmächte zerstört die Glaubwürdigkeit unserer Neutralität und kann unser Land in blutige Konflikte hineinziehen."

Doch im Parlament kam das rechte Lager mit dieser Haltung nicht durch, in beiden Kammern sprach sich eine deutliche Mehrheit für die Kandidatur aus. Für viele Abgeordnete sollte die Schweiz sich nicht trotz, sondern wegen des Krieges in der Ukraine stärker einbringen. SVP-Präsident Marco Chiesa dagegen erwartet jetzt von seinem Land "äußerste Zurückhaltung" im Sicherheitsrat.

Die andere Frage: Sind Diplomaten und Regierung fit genug?

Die übrigen großen Parteien sprachen sich alle für den Einzug in das Gremium aus. Doch auch dort gibt es skeptische Stimmen. Mitte-Präsident Gerhard Pfister etwa zweifelt schon länger an, dass das Schweizer Außenministerium und die Regierung als Ganzes die nötigen Kompetenzen mitbringen für eine knifflige Aufgabe wie den Sicherheitsratssitz. Gerade nach dem blamablen Herumlavieren des Bundesrats nach Kriegsbeginn, als sich Bern zuerst gegen, dann für Sanktionen gegen Russland entschied, fragen sich Pfister und andere Politiker, ob die Schweiz der Aufgabe bei den UN wirklich gewachsen ist.

Tatsächlich liegen zwei anspruchsvolle Jahre vor den Diplomaten aus Bern - insbesondere vor Pascale Baeriswyl, Chefin der Schweizer UN-Mission in New York. Im Herbst begann für die Schweiz ihre Einarbeitungszeit im Sicherheitsrat, sie konnte die Sitzungen beobachten und hat auch simuliert, wie man Beschlüsse mit Bern abstimmt, wenn es eilt. Das System funktioniere gut, versicherte Baeriswyl bei einer Pressekonferenz im Dezember: Je nach Tragweite der Themen entscheidet die Verwaltung im Außenministerium, die gesamte Regierung oder die Regierung in Abstimmung mit den außenpolitischen Kommissionen des Parlaments.

Dass sich die schweizerische Öffentlichkeit für derlei Abläufe interessiert, liegt in der Natur des eidgenössischen Systems: Politische Prozesse dauern üblicherweise lange, weil mehr Akteure mitreden dürfen als in den meisten anderen Staaten. International braucht es dagegen oft schnellere Beschlüsse - wie zum Beispiel nach dem russischen Angriff auf die Ukraine oder auch bei den Verhandlungen mit der EU. In beiden Fällen hat Bern zuletzt keine gute Figur gemacht. Die zwei Jahre im Sicherheitsrat werden zeigen, ob die Schweiz sich auf ein höheres Tempo einstellen kann.

Eigenen Prinzipien sollen zählen, nicht die Position der Mächtigsten

Andere Beobachter warnen vor heftigen Zerreißproben: Trotz der Veto-Struktur im Sicherheitsrat kommt es manchmal auf jede einzelne Stimme an; je nach Thema dürfte der Druck der Großmächte auf die kleine Schweiz beachtlich werden. Er sei "kein Fan einer Kandidatur für den Sicherheitsrat", sagte etwa Jenö Staehelin, der erste schweizerische UN-Botschafter, schon vor einigen Jahren in einem Interview - nicht wegen der Neutralität, sondern weil fraglich sei, ob die Schweiz auch bei starkem wirtschaftlichen Druck aus den USA oder China ihren völker- und menschenrechtlichen Prinzipien treu bleiben könne.

Solchen Einwänden hält Bern die vier Prioritäten entgegen, die die Regierung in Abstimmung mit dem Parlament für die Zeit im Sicherheitsrat festgelegt hat: Die Schweiz will demnach nachhaltigen Frieden fördern, die Zivilbevölkerung schützen, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit angehen und die Effizienz des Sicherheitsrates stärken. Mit anderen Worten: Nicht die Position der Mächtigsten im Sicherheitsrat soll das Handeln der Schweiz leiten, sondern ihr eigener Prinzipienkatalog.

Wie gut das gelingt, muss das Land wohl schon bald unter Beweis stellen. Noch im Januar wird es in dem Gremium um die UN-Hilfslieferungen für das syrische Idlib gehen. Russland ist Verbündeter des Assad-Regimes und eigentlich gegen diese Lieferungen. Stellt sich Bern in dieser Sache gegen Moskau, muss sich die Schweiz auf die ersten Angriffe einer Großmacht gefasst machen.

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