Süddeutsche Zeitung

Schweiz:Klimawandel in Bern

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Von Isabel Pfaff, Bern

Für Schweizer Verhältnisse ist am Sonntag geradezu ein Tsunami über das Land hereingebrochen. Eine grüne Welle hat die Eidgenossen erfasst, und während Umfragen einen gemeinsamen Zuwachs von rund sechs Prozent für die grüne und die grünliberale Partei im Nationalrat vorhersagten, haben sie deutlich mehr Stimmen gewonnen: Laut Endergebnis kommen sie zusammen auf 21 Prozent. Das ist ein Zuwachs von mehr als neun Prozentpunkten im Vergleich zu den Wahlen 2015 - für das stabile Schweizer Parteiensystem eine Sensation.

Auch in der kleinen Kammer, dem Ständerat, wo traditionell die Mitte-Parteien stark sind, erobern die Grünen überraschend mehrere Sitze. Hier steht das Endresultat jedoch noch aus, weil für etwa die Hälfte der 46 Sitze im Ständerat noch eine zweite Wahlrunde nötig ist.

Die grüne Welle war vorherzusehen. Das Wahljahr war vor allem von zwei großen Themen geprägt: der Sorge um das Klima und der Frauenfrage. Wie anderswo in Europa protestierten auch in der Schweiz Zehntausende für Klimaschutz. Die Bewegung hat eine solche Kraft entwickelt, dass auch die liberale FDP, die in der Schweiz eher konservative Politik macht, spät im Wahljahr noch eine Wende hin zu einem klimafreundlicheren Kurs unternahm.

Auch die Frauenfrage dürfte die Grünen beflügelt haben. Niedrige Frauenquoten im Parlament und eine im europäischen Vergleich sehr konservative Familienpolitik haben viele Schweizerinnen dieses Jahr bei einem Frauenstreik auf die Straße gebracht. Hunderttausende demonstrierten für faire Löhne, mehr Unterstützung für Familien und mehr Frauen in der Politik. Bei den folgenden Parlamentsdebatten, etwa zum Vaterschaftsurlaub, war die anhaltende Dynamik dieser Bewegung zu spüren. Und die Grünen und Grünliberalen konnten sie mit ihrem eher feministischen Kurs für den Wahlkampf nutzen.

Die Frage ist, ob sich das Resultat in der Regierung niederschlägt

Überraschenderweise gilt das nicht für die sozialdemokratische SP, die im europäischen Vergleich weit links steht und in vielen Punkten ähnliche Positionen vertritt wie die Grünen. Bisher bildete die SP mit 18,8 Prozent Stimmenanteil die zweitstärkste Kraft im Nationalrat. Doch wider Erwarten konnte sie nicht von den Trends profitieren und rutschte auf einen Stimmenanteil von 16,8 Prozent.

Schlecht lief es bei dieser Wahl auch für das sogenannte rechtsbürgerliche Lager aus FDP und rechtskonservativer SVP, das bisher über die absolute Mehrheit im Parlament verfügte. Während der FDP ihre Klimawende nicht half und sie um einen guten Prozentpunkt auf 15,1 Prozent rutschte, hat die SVP fast vier Punkte eingebüßt. Ihre Kampagne, die auf Abgrenzung zur EU und auf eine Begrenzung der Zuwanderung zielte, zog in diesem Wahlkampf weniger. Mit 25,6 Prozent bleibt die SVP zwar stärkste politische Kraft, doch das Ergebnis ist eindeutig: Mit dem steilen Aufstieg der Rechten ist es vorerst vorbei.

Das neue Parlament wird im Dezember die Regierung wählen, den siebenköpfigen Bundesrat. Dies geschieht nach der ungeschriebenen "Zauberformel", die sich nicht am aktuellen Wahlergebnis, sondern an einem festen Parteienschlüssel orientiert: Die vier stärksten Parteien sollen im Berner Bundesrat vertreten sein. Jetzt, da die beiden grünen Parteien zusammen stärker als die SP sind, fordern sie für sich einen der sieben Sitze: Die "grüne Veränderung" solle sich auch im Bundesrat spiegeln, sagte Regula Rytz, die Präsidentin der Grünen in der Elefantenrunde am Sonntagabend. Experten zufolge werden sie mit dem Anliegen aber erst nach weiteren Wahlerfolgen durchkommen.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2019
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