Schweiz:Verzicht - oder doch lieber nicht

Former Swiss Minister and National Councillor Christoph Blocher of the Swiss People's Party (SVP) addresses a party meeting in Zurich

Wird im Oktober 80 Jahre alt: SVP-Politker Christoph Blocher.

(Foto: Arnd Wiegmann/reuters)

SVP-Doyen Blocher fordert rückwirkend Millionen Franken Ruhegelder vom Staat.

Von Thomas Kirchner

Es war der Tiefpunkt in der Karriere von Christoph Blocher, des bedeutendsten Schweizer Politikers der vergangenen Jahrzehnte: Am 12. Dezember 2007 flog er aus der siebenköpfigen Kollektiv-Regierung, der er nur vier Jahre angehört hatte. Auf den Bundesratsposten des polternden Altstars, der es mit der Kollegialität nicht so hatte, wurde eine Kollegin aus seiner eigenen Partei gewählt, der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Für die Schweiz ein denkwürdiger Vorgang, für Blocher eine Schmach.

Auf das beträchtliche Ruhegeld, das ehemaligen Bundesräten zusteht, verzichtete Blocher danach. Er habe ein Anrecht darauf, wolle aber nicht "vom Bund abhängig sein", sagte er in Interviews. Ein typischer Blocher-Gedanke: Wer es nicht nötig hat - und als vielfacher Milliardär hat es der Ex-Chef der Ems-Chemie durchaus nicht -, soll dem Staat nicht auf der Tasche liegen.

Blocher sagt, er habe 2007 eine "Dummheit" begangen. Das sei ihm nun klar geworden

Jetzt hat er seine Meinung überraschend geändert. Anfang des Monats wurde bekannt, dass Blocher das gesamte Ruhegeld seit 2007 zurückfordert, insgesamt 2,77 Millionen Franken. Warum nur?, rätselt das Land seither. Auf der Linken und in der politischen Mitte wurde Unmut laut, selbst in der eigenen Partei kam es zu Stirnrunzeln, schließlich hatte der Verzicht die SVP besonders glaubwürdig gemacht. Die rückwirkende Auszahlung "widerspricht meinem Gerechtigkeitssinn", sagt Thomas Fuchs, früherer SVP-Parlamentarier und Geschäftsführer des Bunds der Steuerzahler. Der größte Teil der Forderung müsse verjährt sein. "Wenn ein Handwerker seine Rechnung jahrelang nicht schickt, ist es irgendwann auch zu spät. Dann hat er halt Pech gehabt." Eine Spezialbehandlung für Blocher sei nicht einzusehen.

Blocher selbst äußerte sich hemdsärmelig bis kryptisch. Er werde jetzt 80 (im Oktober), da dürfe man seine Rente doch beziehen. Außerdem treffe ihn die Vermögensteuer sehr. In seinem TV-Kanal "Teleblocher" sprach er von einer "Dummheit", die er damals gemacht habe. "Ich schenke dem Staat 2,7 Millionen. Darf ich das eigentlich?" Dürfe er nicht, das sei ihm in der Coronazeit klar geworden. Er gebe das Geld nun jenen, die es wirklich brauchten.

Die Regierung, die Streit mit dem Ex-Kollegen offensichtlich vermeiden will, hieß den nachträglichen Anspruch grundsätzlich gut, gab die Sache aber zur endgültigen Klärung an Finanzkontrolleure des Parlaments weiter. Rechtlich ist die Frage umstritten: Zwar steht in der einschlägigen Verordnung nichts dazu, doch meinen Experten, in Analogie zu anderen Regelungen könne Blocher maximal fünf Jahre rückwirkend kassieren.

Politische Beobachter fragen sich, was in Blocher gefahren sein könnte; die Rede ist von "politischem Selbstmord", der kaum zu erklären sei. Der frühere Offizier mit legendärem Pflichtbewusstsein hatte die SVP in ihrer heutigen Form in den 1980er-Jahren erfunden, sie seither dominiert und finanziert. Und auch ohne formelles Amt regiert er aus seiner Villa oberhalb des Zürichsees, in deren Pool er frühmorgens seine Bahnen zieht, weiterhin in die Partei hinein. Nichts Wichtiges geht ohne ihn. Unberechenbarkeit ist zwar eine Konstante in seiner Karriere, sie hat ihn zu einem Liebling selbst liberaler Medien gemacht. Blocher sells. Doch galt auch, dass alles, was er tut, jeder wunderliche Umschwung, jede scheinbar verrückte Initiative, am Ende zum Nutzen seiner SVP ausschlug. Diesmal ist das anders. "Hat den Instinktpolitiker der Instinkt verlassen?", fragt die Neue Zürcher Zeitung.

Der SVP kommt die Diskussion jedenfalls recht ungelegen. Sie würde lieber über die von ihr angestoßene "Begrenzungsinitiative" reden, über die das Volk im September abstimmen wird. Ziel ist, jenes Abkommen mit der EU zu kippen, das Arbeitnehmern freien Zuzug in die Schweiz garantiert. Daneben wählt die Partei, die bei der Wahl im vergangenen Herbst arg gerupft wurde, im August einen neuen Vorsitzenden. Der alte, Albert Rösti, gab nach vier Jahren entnervt auf. Blocher hatte Zweifel an seiner Führungsstärke geäußert.

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