Nach mehr als zwei Jahren Krieg in Europa könnte auch die Schweiz ihre Haltung zu Waffenexporten ändern – wobei man gleich dazusagen muss: Dass es wirklich so kommt, ist noch nicht ganz sicher. Und es geht auch eher um eine Feinjustierung. Diese könnte allerdings im Falle des Kriegs in der Ukraine doch etwas bewirken.
Die Schweizer hatten in der Sache in den vergangenen Jahren einigen Zorn ihrer europäischen Freunde auf sich gezogen, insbesondere auch den der deutschen Bundesregierung. Denn nicht nur bleibt Bern gemessen am Reichtum der Schweiz deutlich hinter den Ukraine-Hilfen anderer Länder zurück. Um die Neutralität zu wahren, verhinderte die Schweiz auch in mehreren Fällen die Weitergabe von Waffensystemen und Munition, die ursprünglich einmal aus Schweizer Beständen kamen, durch andere Staaten an die Ukraine.
Der Gesetzentwurf bezieht sich konkret auf die Ukraine
Konkret ging es da unter anderem um Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard aus Deutschland, die in der Ukraine dringend zur Abwehr von Drohnen benötigt wird, sowie um Schützenpanzer und Geschütze aus Spanien und Dänemark. Auch fast 100 Leopard-1-Panzer wollte die Schweiz nicht zur Instandsetzung und möglichen Lieferung an die Ukraine an den deutschen Hersteller Rheinmetall abgeben. Entsprechende Klauseln zur Weitergabe von Waffen sind üblich bei Rüstungsexporten.
Doch dass diese Regelung und die Schweizer Haltung dazu angesichts der schwierigen Lage der Ukraine im Krieg gegen Russland und der Bemühungen vieler anderer Staaten, Militärhilfen aufzutreiben, für große Verärgerung sorgte, ist in der Schweiz inzwischen erkannt worden. Bundespräsidentin Viola Amherd nannte das im Mai im Gespräch mit der SZ ein „Problem“.
Zur Lösung dieses Problems ist nun ein entscheidender Schritt getan. Die Sicherheitspolitische Kommission des Schweizer Nationalrats hat knapp für eine Änderung des Kriegsmaterialgesetzes gestimmt. Die Entscheidung für den Entwurf fiel letztlich durch die Stimme der Präsidentin Priska Seiler Graf. Zehn Mitglieder stimmten für den Entwurf, zehn dagegen und vier enthielten sich, was zeigt, wie umstritten das Thema ist.
Konkret soll das Gesetz in Hinblick auf den Krieg in der Ukraine und die Lage der europäischen Verbündeten hin angepasst werden. So soll es möglich sein, „Kriegsmaterial“ nach fünf Jahren an Drittstaaten weiterzugeben, die „nicht in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt“ verwickelt sind, mit Ausnahme der Selbstverteidigung. Oder wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder der Staat, in dessen Besitz sich die Waffen zu diesem Zeitpunkt befinden, einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot laut UN-Charta festgestellt hat.
Das Parlament muss noch zustimmen
Außerdem gelten die erstaunlich schwammig gehaltenen Bedingungen, dass der Drittstaat „die Menschenrechte nicht schwerwiegend und systematisch“ verletzen darf und dass „kein hohes Risiko“ bestehen darf, dass die Waffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden.
Um das bestehende Problem mit der in Deutschland gelagerten Gepard-Munition und den Waffensystemen in anderen europäischen Ländern zu lösen, soll es den Empfängerstaaten zudem möglich sein, sich nachträglich mit dem neuen Gesetz einverstanden zu erklären. Sonst würde es nur für Geschäfte gelten, die vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an abgeschlossen würden.
Noch ist aber völlig unklar, ob es überhaupt so weit kommen wird. Bislang ist nur der Entwurf bestätigt worden, und das sehr knapp. Nun muss noch das Parlament zustimmen, auch ein Referendum, wie es in der Schweiz bei wichtigen politischen Entscheidungen oft abgehalten wird, steht laut Medienberichten im Raum. Es könnte also noch Monate dauern, bis das Gesetz in Kraft tritt, wenn überhaupt.
Viele Schweizer Politiker halten sehr strikt an der Neutralität des Landes fest – ungeachtet dessen, dass Russland die Schweiz längst als „unfreundlichen Staat“ eingestuft und damit die Neutralität praktisch einseitig aufgekündigt hat.
So äußerte sich zum Beispiel Mauro Tunea von der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) und Mitglied in der Sicherheitspolitischen Kommission, gegenüber der Schweizer Ausgabe des Nachrichtenmagazins Watson äußerst kritisch zu dem Entwurf. Waffenlieferungen auf Grundlage eines solchen Gesetzes würden ein völlig falsches Signal senden und die Rolle der Schweiz als neutrale Vermittlerin gefährden. Er gehe nicht davon aus, dass es der Entwurf durchs Parlament schafft.