Schweiz: Steuerhinterziehung:"Nur noch dumm"

Verteidiger des Schweizer Bankgeheimnisses zürnen Außenministerin Calmy-Rey - weil sie Verständnis für Steuereintreiber Schäuble zeigt.

Oliver Das Gupta

Der Datenklau und das Bankgeheimnis, die fordernden Deutschen und die unschlüssige eigene Regierung in Bern: Nichts bewegt die Schweizer in diesen Tagen mehr.

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In der Kritik, weil sie Verständnis für den Kauf geklauter Bankdaten gezeigt hat: die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey

(Foto: Foto: dpa)

Der Widerstand der Eidgenossenschaft in der Steuer-Causa bröckelt zwar, doch die Verteidiger des Bankgeheimnisses werden keineswegs leiser. Im Gegenteil: Das Klima der innenpolitischen Debatte ist denkbar rau.

Innenpolitisch teilen sich die sonst strikt auf Ausgleich bedachten Volksvertreter in zwei Lager auf. Da sind diejenigen, die wollen, dass alles beim Alten bleibt, also Konservative, Rechte und Liberale. Und da sind die anderen, Sozialdemokraten und Linke.

Verrat am Verrräter

"Wir lassen uns nicht vom Ausland diktieren, was im Inland gilt!", donnert Christophe Darbellay, der Chef der konservativen CVP. Und der Präsident der Freisinnigen grollt: "Der Kauf von gestohlenen Bankdaten ist eines Rechtsstaates unwürdig."

Das kleine Land in den Bergen fühlt sich in der Defensive, da ist es mit der Gemütlichkeit und Zurückhaltung schnell vorbei. Hinter der Maske des Biedermanns erscheint dann auf einmal Extrem-Materialismus.

Offen stellt der Boss der Schweizer Bankiersvereinigung in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger seinen Zorn zur Schau: Der Kauf der Daten sei eine "Ungeheuerlichkeit", klagt Urs Roth, die Schweiz sei "freundlich", Deutschland aber halte sich nicht an "Spielregeln".

Der Bankerfunktionär fordert von der eigenen Regierung eine harte Linie - und die Verteidigung des Bankgeheimnisses: "Wir müssen alle Kraft darauf verwenden, dass es so bleibt", mit Berlin müsse man "Klartext reden" und beim Doppelbesteuerungsabkommen mit "harten Bandagen kämpfen".

Eine zentrale Bedingung Berns für die Gespräche formuliert Roth auch, sie sagt viel aus über seinen Furor: Den Verrat des Verräters. Deutschland müsse den Namen des Datendiebes preisgeben.

"Regierung ohne Eier"

So ist das in diesen Tagen in der Schweiz: Man will unbedingt wissen, wer die Lawine ins Rollen gebracht werden. Aufhalten kann man sie ohnehin nicht mehr - das wissen viele Politiker, auch aus den rechtskonservativen Parteien, nur zu gut.

Wie groß die Risse in der helvetischen Trutzburg inzwischen sind, zeigt die Regierung in Bern, in der alle großen Parteien Minister stellen.

Dort hat man sich mit dem Unvermeidlichen offenbar abgefunden: Die konservative Bundespräsidentin will das Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland offenbar durchs Parlament schleusen und der Finanzminister Hans-Rudolf Merz vermeidet allzu laute Töne in Richtung Berlin. Zwar kritisiert der Liberale den Kauf der gestohlenen Daten und will keine Amtshilfe leisten bei Fällen, die dank der CD in Gang kommen könnten. Sonst wirkt Merz eher kooperativ, als abwiegelnd: Nebulös spricht er sogar von "Abarten" des automatischen Datenaustausches.

Selbst Verteidigungsminister Ueli Maurer von der rechtspopulistischen SVP scheint die Parteilinie längst verlassen zu haben. Laut Neuer Zürcher Zeitung bringt er einen Datenaustausch mit Deutschland und anderen Staaten "aktiv ins Spiel" - seine Partei dürfte entsetzt sein.

Schließlich gehörte es für die rechten Scharfmacher doch zum guten Ton, gegen alles Nichtschweizerische zu agitieren. Gerade in der Causa Bankgeheimnis gibt sich die SVP entschieden harsch: Großagitator Christoph Blocher polterte unlängst noch über "Kriminelle" in der deutschen Regierung, Parteichef Toni Brunner geißelte in der Zeitung 20 Minuten die Haltung der eigenen Regierung als "passiv und unterwürfig": Sie habe "keine Eier".

Die Angst, "gehenkt" zu werden

Etwas verhaltener kritisiert auch die CVP die Exekutive: Finanzminister Merz wirke "wahnsinnig eingeschüchtert". Warum er nicht selbstbewusster auftrete, erregt sich Parteisprecherin Marianne Binder.

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Getrübte Idylle zwischen Nachbarn: Schweizer und deutsche Fahne an einem Haus in Sachsen.

(Foto: Foto: dpa)

Der große Zorn entlädt sich allerdings auf Außenministerin Micheline Calmy-Rey. Die Sozialdemokratin zeigte - ausgerechnet auf einer Veranstaltung der deutschen Wochenzeitung Die Zeit - Verständnis dafür, dass Berlin die gestohlenen Bankdaten aufgekauft hat.

Eine Ministerin am Pranger

"Als Finanzministerin würde ich stark über ein solches Angebot nachdenken", sagte Calmy-Rey und schmunzelte dabei.

Die Empörung folgt prompt: "Himmeltraurig und inakzeptabel", grollt CVP-Chef Darbellay. "Sie hintertreibt die Interessen der Schweiz", tönt es aus der SVP. Auch Calmy-Reys Parteichef Christian Levrat beteuert eingeschüchtert, die Ministerin habe nur einen "Witz" gemacht.

Der Tages-Anzeiger prangert Calmy-Reys Verhalten als "gegen das eigene Land" gerichtet an. "Nur noch dumm", wettert selbst der FDP-Abgeordnete Philipp Müller, der sonst eine progressive Position vertritt.

Der Liberale Müller, sein Parteifreund Werner Messmer, die CVP-Parlamentarier Urs Hany und Kathy Riklin - sie gehören zu den wenigen Vertretern des bürgerlichen Lagers, die es wagen, offen auszusprechen, was Fakt ist: Ein Bankgeheimnis, das andere Staaten Millarden Euro kostet, ist nicht länger zu halten. Die Schweiz muss sich ändern.

Die Angst, "gehenkt" zu werden

Dass sich nicht mehr Volksvertreter aus der Deckung wagen, ist offenbar dem giftigen innenpolitischen Klima geschuldet. Ein Abgeordneter des bürgerlichen Lagers erklärt im Gespräch mit sueddeutsche.de, dass die Zeit für den Aufbruch überfällig sei.

"Wenn ich in dieser Zeit offen sagen würde: 'Ich verstehe die Deutschen, unsere Praxis ist unlauter', würde ich nicht nur gegen die Parteimeinung verstoßen", erklärt der Abgeordnete: "Ich würde gehenkt."

Ausgerechnet aus Berlin dringen freundliche Töne in den eidgenössischen Polit-Tumult. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will es anders machen als sein Amtsvorgänger Peer Steinbrück (SPD) - zwischenzeitlich hassten die Schweizer niemanden mehr als den forschen Sozialdemokraten, der über helvetische "Indianer" frotzelte, die wissen müssten, dass es eine "Kavallerie" gebe.

Christdemokrat Schäuble will nett bleiben - und sich trotzdem durchsetzen. "Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen", beteuert er im Schweizer Fernsehen mit Blick auf den Ankauf der geklauten Bankdaten.

Ja, er habe "Verständnis für die Schweiz", meint Schäuble und fügte hinsichtlich der hochschlagenden Emotionen hinzu: "Ich werde alles tun, damit sich das Verhältnis zwischen beiden Ländern normalisiert."

Langfristiges Ziel müsse es sein, dass es überhaupt nicht mehr zu solchen Fällen komme, erklärt der Finanzminister - und rüttelt damit ein weiteres Mal, wenn auch freundlich und indirekt, an der bisherigen Schweizer Position.

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