Schweiz:Scheitern am doppelten Mehr

Zwei Volksinitiativen fallen durch, die Auflagen für international tätige Unternehmen verlangten: Verantwortung für Menschenrechtsverstöße im Ausland und ein Verbot von Investitionen in Firmen, die einen gewissen Umsatzanteil mit Rüstungsgütern erzielen.

Von Isabel Pfaff, Bern

Die Schweizer haben die zwei Volksinitiativen, über die sie am Sonntag abstimmen konnten, abgelehnt. Beide Vorlagen, die Konzernverantwortungsinitiative sowie die Kriegsgeschäfte-Initiative, scheiterten bereits am sogenannten Ständemehr: Neben der Mehrheit der Bevölkerung müssen bei Volksinitiativen - faktisch Abstimmungen über die Verfassung - auch die Kantone mehrheitlich für eine Vorlage stimmen, damit sie durchkommt. Bei Abstimmungen über Gesetze ist nur das Bevölkerungsmehr erforderlich.

17 von 26 Kantonen sagten Nein zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI), die Schweizer Unternehmen und ihre Tochterfirmen für Menschenrechtsverstöße im Ausland haftbar machen wollte. Allerdings sind es vor allem die kleinen, fast immer konservativ stimmenden Kantone der Innerschweiz, die diese Vorlage ablehnen - während die Mehrheit der Bevölkerung mit 50,7 Prozent knapp für die Initiative gestimmt hat. Damit ist jener seltene Fall eingetreten, der in der Schweiz unter Demokratiegesichtspunkten immer wieder kritisiert wird: Trotz Bevölkerungsmehrheit kommt die Initiative nicht durch. Damit haben Stimmen aus kleinen Kantonen faktisch mehr Gewicht.

Ein Politologe nennt es "historisch", dass die Bürger mehrheitlich für die Konzernverantwortung gestimmt haben

Bei der Konzernverantwortung habe die konservative Schweiz über die moderne, urbane Schweiz gesiegt, sagte der Berner Politikwissenschaftler Lukas Golder im Schweizer Fernsehen. Das Bevölkerungsmehr sei dennoch "historisch". Tatsächlich gilt die KVI als ein sehr weitreichender Versuch, die Tätigkeiten global tätiger Konzerne rechtlich einzuhegen. Wäre die Initiative angenommen worden, hätte das Schweizer Parlament ein Lieferkettengesetz ausarbeiten müssen, das es in dieser Strenge in nur wenigen Ländern gibt.

Doch nach diesem Sonntag steht fest: Die eidgenössische Verfassung bleibt, wie sie ist. Dafür tritt ein sogenannter indirekter Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative in Kraft. Das Parlament hat nämlich bei jeder Volksinitiative die Möglichkeit, ihr einen Gegenvorschlag auf Gesetzesebene gegenüberzustellen. Oft nehmen diese Vorschläge einige Impulse der Initiative auf. Im Fall der KVI hatte die große Parlamentskammer zunächst einen Vorschlag eingebracht, der den Urhebern der Vorlage weit entgegen kam. Doch auf Initiative der Justizministerin, die - wie auch die gesamte Regierung - die KVI als zu radikal ablehnt, erarbeitete die kleine Kammer einen weicheren Gegenvorschlag.

Dieser verpflichtet Unternehmen zwar zu Sorgfaltsprüfungen im Bereich Menschenrechte, Umwelt und Korruption, verzichtet aber auf die Konzernhaftung. Dieser Gegenvorschlag wurde nach langem Ringen im Sommer von beiden Kammern angenommen. Er tritt nun mit Ablehnung der Initiative automatisch in Kraft.

Das vom Parlament erarbeitete Gesetz, das nun stattdessen in Kraft tritt, nennen die Initiatoren der Volksabstimmung einen "Alibi-Vorschlag"

Die Initianten der KVI hatten den Gegenvorschlag bereits im Vorfeld als "Alibi-Vorschlag" bezeichnet. "Konzerne wie Glencore und Syngenta sollen nicht für angerichtete Schäden geradestehen müssen, sondern bloß einmal im Jahr eine Hochglanzbroschüre veröffentlichen", heißt es in einer Medienmitteilung. Das reiche nicht aus, wie Beispiele aus anderen Ländern zeigten.

Justizministerin Karin Keller-Sutter und das konservativ-bürgerliche Lager halten die nun kommende Regelung für ausreichend. Die KVI schieße mit der geforderten Haftungsnorm über das Ziel hinaus und gefährde Arbeitsplätze, so Keller-Sutter während des Abstimmungskampfs.

Die Kriegsgeschäfte-Initiative, die mit dem Slogan "Kein Schweizer Geld für die Kriege dieser Welt" angetreten war, scheiterte sowohl am Stände- als auch am Bevölkerungsmehr: 22 Kantone sowie 57,5 Prozent der Abstimmenden lehnten sie ab. Ein sehr viel deutlicheres Nein also als beim Thema Konzernverantwortung.

Ein pazifistischer Vorstoß, der auf die Finanzbranche zielte - dieser Ansatz ist in der Schweiz noch linker als in anderen Ländern

Die meisten Beobachter dürfte das allerdings nicht überraschen. Die Initiative, lanciert von der antimilitaristischen "Gruppe für eine Schweiz ohne Armee" und den Jungen Grünen, verlangte viel für Schweizer Verhältnisse: Die Schweizerische Nationalbank (SNB), Stiftungen sowie Renten- und Pensionskassen sollten nach dem Willen der Initianten kein Geld mehr in Firmen investieren dürfen, die mehr als fünf Prozent ihres Jahresumsatzes mit Rüstungsgütern erzielen. Außerdem sollte sich die Schweizer Regierung dafür einsetzen, dass für Banken und Versicherungen ähnliche Regeln gelten. Ein pazifistischer Vorstoß, der auf die Finanzbranche zielt: Ein solches Vorhaben steht in der Schweiz noch weiter links, als es das in vergleichbaren Ländern würde. Politologe Lukas Golder bezeichnete das Ergebnis entsprechend als Achtungserfolg: "Für so eine friedenspolitische Vorlage sind 42 Prozent schon sehr viel Unterstützung."

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