Schweiz:Roger Köppels schwierige Doppelrolle

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Roger Köppel sitzt im Schweizer Nationalrat und arbeitet zugleich als Journalist. Die Trennung beider Jobs ist ihm womöglich missglückt. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Der schillernde rechte Publizist und Politiker Roger Köppel soll in seinem Videoblog Staatsgeheimnisse verraten haben. Jetzt streitet das Parlament über seine Immunität.

Von Isabel Pfaff, Bern

Roger Köppel, 57 Jahre alt, ist ein Spagat-Künstler. Der Schweizer Publizist, Verleger und Chefredakteur des Wochenmagazins Weltwoche ist seit 2015 auch Parlamentarier. Er sitzt für die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) im Nationalrat in Bern - eine Doppelrolle, die im deutschen Bundestag schlicht undenkbar wäre. Doch in der Schweiz, wo Politik per definitionem ein Nebengeschäft sein soll, eine Art Bürgerpflicht, die idealerweise möglichst viele Eidgenossen irgendwann in ihrem Leben einmal ausüben, hat man weniger Probleme mit Nebentätigkeiten von Politikern. Hier sitzen aktive Banker, Anwältinnen, Bauern und Unternehmerinnen nebeneinander im Parlament. Journalisten wie Köppel sind zwar deutlich seltener, aber nicht unmöglich.

Und so dreht Köppel seinen (fast) täglichen Videoblog "Weltwoche Daily" durchaus auch im Parlament, wenn dort gerade Sitzungsphase ist, oder er postet Ausschnitte aus seinen Bundeshausreden auf der Weltwoche-Website, als eine Art Video-Leitartikel. Auch das Schweizer Publikum schüttelt angesichts dieser Vermischung der Beobachter- und der Gestalterrolle manchmal den Kopf, aber im Großen und Ganzen nahm man den "parlamentarischen Publizisten, den publizistischen Parlamentarier Roger Köppel" (NZZ) eben hin.

Bis vor Kurzem. Im Mai stimmte die für Immunitätsfragen zuständige Kommission des Nationalrats für die Aufhebung von Köppels Immunität. Am Mittwoch debattierte auch die entsprechende Kommission der kleinen Kammer, des Ständerats, darüber - und stimmte deutlich gegen die Aufhebung. Jetzt geht die Sache wieder zurück an die erste Kommission.

Der Grund für das Gezerre: Köppel hatte im März bei "Weltwoche Daily" offengelegt, dass der russische Inlandgeheimdienst FSB bei einer Razzia in Moskau Uhren des Schweizer Herstellers Audemars Piguet im Wert von mehreren Millionen Franken beschlagnahmt hatte. Dies hatte das Schweizer Außenministerium kurz zuvor der Außenpolitischen Kommission des Nationalrats mitgeteilt - vertraulich. Köppel ist dort Mitglied. Seine Kommissionskollegen zeigten ihn daraufhin wegen Verletzung des Kommissionsgeheimnisses an. Ende April beantragte dann die Bundesanwaltschaft die Aufhebung der Immunität von Köppel, um ein Verfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses einleiten zu können.

Wie in vielen anderen Ländern sind Schweizer Bundesparlamentarier eigentlich vor Strafverfolgung geschützt, wenn es um Handlungen geht, die in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer amtlichen Stellung stehen. Dieser besondere Schutz soll gewährleisten, dass das Parlament ungestört funktionieren kann. Doch er ist nicht absolut: Wenn die beiden zuständigen Immunitätskommissionen finden, dass das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung größer ist als das Interesse an der ungehinderten Ausübung des Mandats, können sie die Immunität aufheben. Köppel ist nun zunächst davongekommen. Aber es kann noch ein paar Mal zwischen den Kommissionen hin und her gehen, bis eine Strafverfolgung wirklich vom Tisch ist.

Bisher wurde noch keinem Parlamentarier die Immunität aberkannt

Dabei hatte Köppel, der das unter Populisten beliebte Kunststück hinkriegt, gegen das Polit-Establishment zu hetzen und gleichzeitig mächtiger Teil davon zu sein, schon im Vorfeld angeboten, auf seine Immunität zu verzichten - "um den Behörden keine Steine in den Weg zu legen oder unnötige Sitzungskosten für den Steuerzahler zu produzieren". Doch ein Verzicht ist nicht möglich. Er muss den Entscheidungsprozess der Kommissionen abwarten. Bisher wurde noch keinem Schweizer Parlamentarier die Immunität aberkannt.

Per Mail teilt Köppel der SZ mit, dass er eine rechtliche Abklärung befürworte. Er ist allerdings der Meinung, dass er das Amtsgeheimnis nicht verletzt habe, da er die Information zu den Luxusuhren bereits aus anderen Quellen erhalten habe. Weiter will er zu dem laufenden Verfahren keine Stellung nehmen.

Egal, wie die Geschichte ausgeht: Überraschend ist es nicht, dass Roger Köppel mit seiner Doppelrolle im Parlament aneckt. Denn auf die Zunge gebissen hat sich der Journalist wegen seines Mandats eigentlich nie. Die Weltwoche, bis zur Jahrtausendwende ein eher linksliberales oder zumindest unberechenbares Blatt, ist unter seiner Führung zum Sprachrohr der SVP geworden. Sie ist nicht immer perfekt auf Linie und ab und zu durchbrochen von konträren Meinungsbeiträgen. Aber egal ob während der Pandemie, als die SVP sich gegen strenge Maßnahmen oder Impfkampagnen wehrte, oder nun seit Beginn des Krieges in der Ukraine, aus dem die SVP als einzige Partei die Schweiz gern komplett raushalten will: Die Weltwoche räumt solchen Positionen viel Raum ein. So viel, dass so mancher prominente Mitstreiter das Magazin lieber verlässt - jüngst Kolumnist Henryk M. Broder, der wegen der vielen Putinversteher, die in dem Magazin zu Wort kämen, die Zusammenarbeit mit der Redaktion beendet hat.

Der wohl wortgewaltigste Putinist ist übrigens der Chef selbst: Am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine titelte die Weltwoche mit der Schlagzeile "Putin, der Missverstandene". In einem Text begründete Köppel den Hass des Westens auf Putin damit, dass er für Tradition, Patriotismus, Krieg und Männlichkeit stehe. "Vielleicht", sinnierte er, "ist Putin der Schock, den der Westen braucht, um wieder zur Vernunft zu kommen." Inzwischen konzentriert sich Köppel in seinen Positionen mehr auf die Verteidigung der Schweizer Neutralität und auf das Argument, dass sich die Schweiz nicht an dem "Wirtschaftskrieg" gegen Russland beteiligen dürfe - in seinen Augen der Grund für die jetzt berühmte Uhren-Razzia.

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