Schweiz nach Einwanderungsreferendum:Furcht vor einem Bruch mit Brüssel

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Charme-Offensive: EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und die aktuelle Bundespräsidentin der Schweiz, Simonetta Sommaruga. (Foto: REUTERS)
  • Der Schweizer Regierung dämmert, welche Folgen das Einwanderungsreferendum vor einem Jahr haben könnte. Damals sprachen sich die Bürger für eine striktere Regelung der Zuwanderung aus.
  • Setzt die Regierung den Volkswillen eins zu eins um, wäre das ein Bruch des Freizügigkeitsabkommens mit der EU und könnte der Wirtschaft des Landes erheblich schaden.
  • Jetzt könnte es zu einer neuen Volksbefragung kommen.

Von Thomas Kirchner, München

Knappe Mehrheit für striktere Regelung der Zuwanderung

Ein Jahr nach dem Ja der Schweizer zur sogenannten Masseneinwanderungsinitiative herrscht jetzt etwas mehr Klarheit über die außenpolitischen Folgen. Sie sind so gravierend, wie manche am 9. Februar 2014 befürchtet hatten, als eine knappe Mehrheit der Einführung von Kontingenten für Zuwanderer zugestimmt hatte. Solche Schranken würden dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU widersprechen, das beiden Seiten freien Zugang für Arbeitnehmer garantiert.

Zweierlei zeichnet sich ab: Zum einen werden die Schweizer demnächst noch einmal und grundsätzlich über das Verhältnis zur EU abstimmen müssen. Zum anderen ist es möglich, dass es zu einem völligen Bruch kommt, also einem Ende der besonderen vertraglichen Beziehungen, die das Nicht-EU-Mitglied mit der Union verbinden.

Das ergibt sich aus den Überlegungen, welche die Regierung in Bern (Bundesrat) nun zu der Frage präsentiert hat, wie sie das Ergebnis des Referendums in Gesetzesform gießen und welche Strategie sie für die anstehenden Verhandlungen mit Brüssel wählen will. Sie schlägt vor, wie in früheren Jahrzehnten wieder jährliche Höchstzahlen für alle Zuwanderer zu erlassen, die länger als vier Monate bleiben. Zudem sollen Inländer bei freien Stellen Vorrang erhalten.

Bruch des Freizügigkeitsabkommens?

Der Bundesrat verhehlte aber nicht, dass er eigentlich keinerlei Lösung für das Kernproblem weiß, das sich der Schweiz stellt: Setzt die Regierung den Text des Referendums (der jetzt in der Verfassung steht) pflichtgemäß eins zu eins um, bricht sie das Freizügigkeitsabkommen. Damit würden - wegen einer Guillotinenklausel - automatisch alle anderen bilateralen Verträge hinfällig, die unter anderem Schweizer Unternehmen einen privilegierten Zugang zu ihrem mit Abstand wichtigsten Exportmarkt gewähren. Die Schweiz würde dann zu einem "Drittstaat" für die EU, nicht anders als Uruguay.

Die EU hatte nach dem Referendum sehr klar zu verstehen gegeben, dass es bei der Freizügigkeit, einer der wichtigsten Errungenschaften der EU, keine Kompromisse geben könne. Die Schweiz müsse sich entscheiden. Obwohl es also nichts zu verhandeln gibt, will der Bundesrat nun mit der EU verhandeln. Als Zugeständnis von Berner Seite werden EU-Ausländer für die Dauer der Verhandlungen - theoretisch ist Zeit bis Anfang 2017 - von der Kontingentierung noch ausgenommen. Immerhin erklärte sich EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vergangene Woche gegenüber Justizministerin Simonetta Sommaruga zu "Gesprächen" bereit.

Linksliberale wollen neues Referendum

Die Regierung spielt ein schwer zu durchschauendes taktisches Spiel, weil sie sich in einer heiklen Sandwich-Lage befindet. Sechs der sieben Bundesräte lehnen die von der konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) propagierte Initiative ab und wünschen keinen Bruch mit Brüssel, der das Land isolieren und wirtschaftlich schwächen würde. Andererseits müssen sie signalisieren, dass sie den Volkswillen respektieren, sonst würde die SVP eine weitere Initiative starten, die eine wortgetreue Umsetzung des Referendums fordert. Linksliberale Kreise wollen wiederum per Initiative erreichen, dass die Zuwanderungsbeschränkung wieder aus der Verfassung fliegt. So oder so wird also noch mal abgestimmt, was wohl im Sinne der Regierung ist.

© SZ vom 13.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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