Süddeutsche Zeitung

Schweizer Recht:Musterhafter Papa

Wie ein früh verwitweter Schweizer gleiche Rentenansprüche für Männer einklagt.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die kleinere Tochter war noch keine zwei Jahre alt und die große gerade vier, als das Schicksal zuschlug - oder wie man die furchtbaren Zufälligkeiten des Lebens sonst nennen möchte. Ihre Mutter starb im August 1994 bei einem Unfall, und Herr B., ihr Vater, musste eine Entscheidung treffen. Was er als Schweizer auch konnte, die Schweiz ist ein Sozialstaat. Also kündigte er seinen Job bei der Versicherung, entschied sich fürs Vatersein und bezog monatlich 920 Franken Witwerrente, dazu Unterstützung für die Mädchen. 41 Jahre war er damals und hatte alles richtig gemacht, könnte man meinen. Bis er im September 2010 Post von der Ausgleichskasse des Kantons Appenzell bekam. Die kleine Tochter werde volljährig, damit laufe seine Rente aus. Da war er 57 und nach 16 Jahren Abstinenz nicht gerade der heiße Kandidat für den Jobmarkt. Er fand das ungerecht und zog vor Gericht.

Nun, zwölf Jahre und viele Gerichtsinstanzen später, hat er endlich gewonnen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab ihm recht. Der Entzug der Rente sei ein Fall von Geschlechterdiskriminierung. Denn das Schweizer Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung kappt zwar den Männern die Rente, sobald die Kinder erwachsen sind, nicht aber den Frauen; die Witwenrente wird weitergezahlt.

Der Fall ist ein Schulbeispiel dafür, wie sich der Umgang mit der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen gewandelt hat. Früher war es die sozial verfestigte Schieflage, die das Kernargument für eine vornehmlich auf Witwen zugeschnittene Hinterbliebenenrente lieferte. In der typischen Hausfrauenehe war das Risiko der Frauen eben ungleich größer, beim Tod des Mannes ins soziale und finanzielle Nichts zu stürzen. Die Witwenrente war also ein später Ausgleich dafür, dass eine eigene Berufstätigkeit jedenfalls für Mütter gesellschaftlich nicht so richtig vorgesehen war. Auch in Deutschland gab es bis 1986 zwar eine Witwen-, aber keine echte Witwerrente.

Das war sicherlich irgendwie gut gemeint, damals. Aber inzwischen weiß man, dass solche Wohltätigkeiten eine männerdominierte Geschlechterordnung verfestigen und oft genug genau diesem Zweck dienen - man denke nur an das Ehegattensplitting. Auch den Schweizern war nicht mehr ganz wohl mit ihrer Witwen-first-Rente. Doch ein erster Reformversuch scheiterte vor bald 20 Jahren in einer Volksabstimmung, weil man nicht den Witwern mehr, sondern den Witwen weniger zahlen wollte. Ein zweiter Anlauf war dem Gesetzgeber schlicht zu teuer.

Mit dem Urteil des Gerichtshofs für Menschenrechte werden die Schweizer an einer Reform nun nicht mehr vorbeikommen. Herr B. muss sich vorerst mit einer Entschädigung von 5000 Euro begnügen, über etwaige Nachzahlungen werden die Schweizer Behörden befinden müssen.

Übrigens ist Herr B. keineswegs der erste Mann, der sich mit Erfolg auf das Verbot der Geschlechterdiskriminierung beruft. Schon 1994 gewann beispielsweise ein Herr Sch. mit seiner Klage gegen die nur von Männern zu zahlende baden-württembergische Feuerwehrabgabe. Ein Blick in die Urteile des Gerichtshofs zeigt aber: Als Opfer von Benachteiligungen liegen Frauen mit großem Abstand in Führung.

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