Schweiz:"Ein Flächentest liefert eine Momentaufnahme"

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Ein Mann macht einen Schnelltest bei Covid-19-Flächentests in Graubünden. (Foto: Gian Ehrenzeller/dpa)

Auch der Kanton Graubünden setzt auf Massentests, um die Krankenhäuser vor einer Überlastung zu schützen. Interview mit Martin Bühler, Leiter des kantonalen Corona-Führungsstabs.

Interview von Isabel Pfaff, Bern

Die Corona-Infektionszahlen der Schweiz sind hoch. Die täglich bestätigten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern im Sieben-Tage-Schnitt liegen im Moment bei knapp 50 Fällen, in Deutschland bei rund 27. Trotz der dramatischen Lage hat die Schweizer Regierung noch nicht die außerordentliche Lage ausgerufen, wie sie es im Frühling getan hat. Das heißt: Pandemiebekämpfung liegt derzeit in erster Linie in der Verantwortung der 26 Kantone und nur in bestimmten Fällen in der des Bundes. Manche Kantone verhängen harte Maßnahmen, andere nicht, und wieder andere probieren es mit unkonventionellen Mitteln - wie Graubünden. Dort hat die Kantonsregierung gerade den schweizweit ersten Corona-Flächentest durchgeführt. Martin Bühler, Leiter des kantonalen Corona-Führungsstabs, hat das Massentesten organisiert.

SZ: Herr Bühler, am vergangenen Wochenende konnten alle Menschen in Südbünden einen kostenlosen Antigen-Schnelltest machen lassen. Insgesamt haben Sie bei einer Bevölkerungszahl von 30 000 mit maximal 20 000 Personen gerechnet. Wie viele sind Ihrem Aufruf gefolgt?

Martin Bühler: Mehr als 16 000 Personen haben sich zum Test angemeldet, getestet wurden gut 15 000, also etwa 50 bis 60 Prozent. 150 Personen waren positiv, das entspricht knapp einem Prozent der Bevölkerung. Wir konnten also 150 Infektionsketten brechen, die sonst wahrscheinlich unerkannt geblieben wären.

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Sind 50 Prozent nicht eine schlechte Quote?

Sie könnte natürlich besser sein - in Anbetracht der kurzen Vorlaufzeit bin ich aber zufrieden. In Südtirol Ende November haben etwa 60 Prozent der Bevölkerung teilgenommen. Aber dort waren die Spitäler am Anschlag, das öffentliche Leben war heruntergefahren. Hier sind die Zahlen zwar auch hoch, aber die Stimmung ist anders. Ich bin den Engadinern dankbar, dass sie so zahlreich mitgemacht haben. Aus Wien, wo ebenfalls solche Tests gemacht wurden, habe ich von einer Teilnehmerquote von 10 Prozent gehört.

Wie läuft so ein Massentest ab?

Mit einer Kommunikationskampagne haben wir über den Flächentest informiert und die Bevölkerung aufgefordert, sich online anzumelden. Insgesamt gab es 177 Teststraßen an 23 Stationen in 19 Gemeinden. Mehr als 1000 Helferinnen und Helfer waren im Einsatz: Mediziner, Pflegepersonal, dazu Feuerwehrleute, Gemeindemitarbeiter, Zivilschützer und Freiwillige. Der Test selbst dauerte 15 Minuten, das Ergebnis erhielten die Leute nach 30 Minuten per SMS.

Das Ziel eines Massentests sind viele Teilnehmer. Wir verhindert man da gefährliche Menschenansammlungen?

Bei der Online-Anmeldung konnte man ein Zeitfenster auswählen. Damit haben wir versucht, die Menschen bestmöglich über den Tag zu verteilen und Wartezeiten zu vermeiden. Meinen Informationen nach gab es an zwei Teststationen in den Morgenstunden ein bisschen Stau, weil relativ viele Leute spontan kamen und sich erst vor Ort registriert haben. Nach einer halben Stunde war das aber wieder vorbei.

Ein ziemlicher Aufwand für 150 positive Corona-Tests.

Versteckte Infektionen zu entdecken, ist immer gut. Allerdings war das nicht unser primäres Ziel. Ein Flächentest liefert eine Momentaufnahme mit interessanten Informationen, zum Beispiel, wo die Positivitätsrate besonders hoch oder besonders niedrig ist. Zu unserer Überraschung ist sie nämlich in touristischen Zentren wie etwa St. Moritz unterdurchschnittlich. Dafür ist sie zum Beispiel im Puschlav erstaunlich hoch, einer eher geschlossenen Gemeinschaft.

Was machen Sie mit dieser Erkenntnis?

Wir haben jetzt ein Lagebild, auf dessen Basis wir gezielte Maßnahmen ergreifen und unsere Teststrategie weiterentwickeln können. Schon diese Woche werden wir in der am stärksten betroffenen Region Bernina, also im Puschlav-Tal, Nachtestungen durchführen. Wir wollen möglichst alle Bewohner und insbesondere die Schulen testen, wo die Positivitätsrate vergleichsweise hoch war.

Und dann? Lokale Lockdowns oder sogar Schulschließungen?

Über solche Maßnahmen kann nicht ich, sondern nur die Regierung oder das kantonale Gesundheitsamt entscheiden. Aber eigentlich ist unser Ziel, dass wir mit dem gezielten Testen schon so viele Infektionsketten brechen, dass keine zusätzlichen Maßnahmen nötig sein werden. Aber, so viel Ehrlichkeit muss sein: Das Testen kann die derzeit gültigen Einschränkungen nicht ersetzen, das wäre bei unseren hohen Fallzahlen nicht realistisch. Aber wiederholtes Testen kann durchaus eine Alternative zu repressiven Maßnahmen sein.

Hinter dem Massentest steht also nicht die Hoffnung, die Skisaison doch noch möglichst ungetrübt stattfinden zu lassen?

Nein, es geht vorwiegend darum, die Spitäler vor einer Überlastung zu schützen. Aber die Ergebnisse sind für den Tourismus trotzdem interessant. Sie zeigen nämlich, dass Maßnahmen wie unser Mini-Lockdown ( in Graubünden haben gerade alle Restaurants für zwei Wochen zu, Anm. d. Red.) durch andere Strategien ergänzt werden müssen. Denn die touristischen Regionen, wo es ja viel Gastronomie gibt, scheinen nicht die einzigen Treiber der Virusverbreitung zu sein.

Warum hat die Kantonsregierung nicht gleich alle 200 000 Bündner zum Schnelltest aufgerufen?

Der Flächentest in Südbünden war ein Pilotprojekt. Wir haben uns so aufgestellt, dass wir künftig auch einen Flächentest im ganzen Kanton durchführen können. Ob der kommt, hängt von den Ergebnissen der Nachtestungen und der allgemeinen epidemiologischen Entwicklung ab.

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