Lieferkettengesetz:Kampf der Giganten in der Schweiz

Foto Manuel Geisser 18.11.2020 Aargau : Schweizerfahne und Konzernfahne Ja zur Konzernverantwortungsinitiative . Volksab

Selten hat ein Referendum das Land so lange beschäftigt wie die Konzernverantwortungsinitiative. Die orangefarbenen Banner mit weißem Ja hängen seit mehr als vier Jahren an Schweizer Balkonen.

(Foto: Manuel Geisser/Imago)

Die Schweizer entscheiden über den Vorschlag für eines der schärfsten Lieferkettengesetze der Welt. Nicht nur viele Konzerne sind dagegen - auch die Regierung.

Von Isabel Pfaff, Bern

Ist das noch die Schweiz? Da werden Konzerne als "Halunken" beschimpft, Nichtregierungsorganisationen als Mörder verunglimpft, eine Ministerin muss sich wegen Falschaussagen rechtfertigen, und eine Parlamentarierin holt extra den Handelsminister aus Burkina Faso nach Bern, um zu verdeutlichen, wer wirklich auf der Seite der Guten steht.

Kein Zweifel: Der Streit über die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative wird als einer der erbittertsten Abstimmungskämpfe in die Geschichte der Schweiz eingehen, so heftig attackierten sich in den vergangenen Monaten Befürworter und Gegner. Am Sonntag stimmen die Schweizer ab.

Befürworten sie den vorgeschlagenen Verfassungspassus mit der doppelten Mehrheit der Stimmbürger und der Kantone, wird das Land bald eines der schärfsten Lieferkettengesetze der Welt bekommen. International tätige Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sollen demnach Menschenrechte und internationale Umweltstandards auch im Ausland achten. So weit, so unstrittig, schließlich steht auch die Schweiz hinter den entsprechenden UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Die Konzernverantwortungsinitiative will diesen Grundsatz aber in verbindliches nationales Recht gießen: Die Firmen sollen erstens sicherstellen, dass sich auch die von ihnen kontrollierten Tochtergesellschaften und Zulieferer an diese Regeln halten. So wären die Konzerne zu einer Sorgfaltsprüfung verpflichtet.

Zweitens will die Initiative, dass die Unternehmen künftig für Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden haften, die sie selbst oder ihre Tochterfirmen im Ausland begangen haben. Menschen, die nachweisen können, dass sie von einem Schweizer Unternehmen oder einem seiner Partner im Ausland geschädigt wurden, könnten also künftig vor Schweizer Gerichten klagen.

130 Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltgruppen unterstützen die Volksinitiative

Seit mehr als vier Jahren flattern die orangen Flaggen mit dem weißen Ja an Schweizer Balkonen: Nur wenige Volksinitiativen haben das Land so lange beschäftigt wie diese. Mehrere Dutzend Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltgruppen haben das Projekt 2015 lanciert, heute ist der Unterstützerverein auf 130 Organisationen angewachsen.

Hinzu kommen die vor allem linken und grünen Kräfte im Parlament, die die Initiative befürworten. Auf der Gegenseite: die Schweizer Regierung, die großen Wirtschaftsverbände und die konservativen Parteien. Eine Art Kampf der Giganten hat das Land erfasst, und tatsächlich steht einiges auf dem Spiel.

Die nur ein paar Absätze kurze Abstimmungsvorlage lässt einiges offen. Zum Beispiel ist nicht ganz klar, ob die Regeln für alle Firmen im Land gelten würden, also neben den großen Multis auch für die vielen kleinen Mittelständler.

An diesem Punkt stören sich viele Gegner: Sie befürchten, dass die Initiative die Schweizer Wirtschaft mit der aufwendigen Sorgfaltsprüfung und einer angeblich anrollenden Klagewelle lähmen würde. Insbesondere kleine Firmen, so die Argumentation, könnten die Anforderungen kaum stemmen. Die konkrete Ausgestaltung der Vorlage wäre am Ende Sache des Parlaments, das im Fall der Annahme aus der Initiative ein Gesetz machen muss.

Bisher kennen nur wenige Länder wirklich griffige Unternehmensregeln für Tätigkeiten im Ausland. In Frankreich etwa gilt seit 2017 ein Gesetz, das Unternehmen ebenfalls zu einer Sorgfaltsprüfung verpflichtet und sie bei Verletzungen haftbar macht. In Großbritannien müssen größere Unternehmen seit 2015 darlegen, was sie gegen Menschenhandel tun.

Einen Haftungsmechanismus gibt es nicht, dafür eine Rechtsprechung, die schon mehrmals Unternehmen für Verstöße im Ausland bestrafte. Und in Deutschland basteln Entwicklungs-und Arbeitsministerium gerade an einem Lieferkettengesetz, das auch eine Haftung von Unternehmen vorsieht, doch bislang stellt sich das Wirtschaftsministerium in diesem Punkt quer. Die Schweiz wäre also nicht allein, käme die Initiative durch - aber ihr Regelwerk würde doch zu den strengsten weltweit gehören.

Und das bei einer ansehnlichen Dichte von Großkonzernen. Nestlé sitzt in der Schweiz, ebenso die Pharmariesen Roche und Novartis, der Agrochemiekonzern Syngenta, der Baustoffhersteller Lafarge-Holcim und nicht zuletzt die umsatzstarken Rohstoffhändler: Glencore, Cargill, Gunvor, Mercuria, Vitol. All diese Unternehmen wären definitiv von der neuen Regelung betroffen. Und: Viele von ihnen wurden bereits mit problematischem Verhalten im Ausland in Verbindung gebracht.

Angesichts dieser Phalanx von Gegnern ist es bemerkenswert, dass die Initiative eine echte Chance hat. Die jüngsten Umfragen sehen die Befürworter bei mindestens 51 Prozent. Allerdings: Das Nein-Lager holt auf. Es wird knapp werden am Sonntag - entsprechend blank liegen die Nerven.

Erst erntete die liberal-progressive Bewegung "Operation Libero" heftige Kritik, weil sie alle Gegner der Sorgfaltspflicht für Unternehmen als Halunken bezeichnete. Dann fiel Justizministerin Karin Keller-Sutter mit Aussagen auf, die Experten später korrigieren mussten. Einige Juristen warfen der Regierung deshalb vor, ihre Ablehnung der Initiative unsachlich zu begründen.

Und schließlich die Sache mit den Videos: Seit Oktober kursieren drastische Filme unklarer Herkunft im Netz, die die Befürworter der Initiative als gewaltbereite Randalierer zeigen und Nichtregierungsorganisationen mit Hinrichtungen und Vergewaltigungen in Verbindung bringen. Am Sonntag wird sich zeigen, wer diesen rauen Abstimmungskampf gewonnen hat.

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BT

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