Schweiz:Längst nicht über den Berg

Die EU will die vielen kleinen Verträge mit der Alpenrepublik in einem Rahmenabkommen bündeln. Doch nun ziert sich Bern. Brüssel reagiert mit massivem Druck.

Von Matthias Kolb, Isabel Pfaff

So richtig erwartet hat wohl keiner im politischen Bern, dass die EU diesmal Ernst macht. Doch am Dienstag verkündete Vize-Kommissionspräsident Maroš Šefčovič, dass die Kommission einen Mangel an Fortschritten festgestellt habe und deshalb "keine Notwendigkeit" sehe, eine Entscheidung in puncto Schweizer Börse zu treffen. Im Klartext: Weil es bei den Verhandlungen um das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU nicht vorwärtsgeht, will Brüssel die Anerkennung der Schweizer Börse nicht über den 30. Juni hinaus verlängern.

Das Rahmenabkommen soll die bisher in etwa 120 bilateralen Verträgen geregelten Beziehungen zwischen Bern und Brüssel bündeln und auf ein neues, institutionalisiertes Fundament stellen. Die Börsen-Anerkennung hat damit eigentlich nichts zu tun: Sie ist vor allem Druckmittel im Streit um das Abkommen. Erkennt die EU nämlich die Schweizer Börsenregulierung nicht mehr als gleichwertig zu ihrer eigenen an, dürfen Händler aus der EU nicht mehr an der Schweizer Börse handeln - und der Schweiz ginge ein Teil ihres Handelsumsatzes verloren.

Die Kommission hätte theoretisch noch bis Freitagabend Zeit gehabt, einer Verlängerung zuzustimmen, doch die Frist verstrich ungenutzt. Schon am Dienstag klangen die Signale aus Brüssel eindeutig. Man sei "enttäuscht" vom Herumlavieren der Schweizer, auch verstehe man nicht, warum sie sich so kurz vor Fristende nicht melden würden. "Ein Auslaufen der Börsenäquivalenz könnte genau der Schuss vor den Bug sein, den sie brauchen", formulierte EU-Kommissar Johannes Hahn in einem Schreiben an den Kommissionschef, das der SZ vorliegt.

Die EU macht also wahr, womit sie schon länger droht: Wenn die Schweiz sich nicht endlich zum Rahmenabkommen bekennt, fährt Brüssel die Kompromissbereitschaft immer weiter zurück. Die verweigerte Börsenanerkennung gilt dabei als Zeichen der Eskalation; mehr als die Hälfte des Handelsvolumens könnte der Schweizer Börse damit wegbrechen.

Sowohl Linke als auch Rechte lehnen die Vereinbarung mit Brüssel ab

Bern scheint dieses Risiko nun in Kauf zu nehmen. Tatsächlich hat die Schweizer Regierung wenig andere Möglichkeiten. Der seit Ende 2018 vorliegende Vertragsentwurf, den das Berner Außenministerium mit Brüssel ausgehandelt hat, muss mehrheitsfähig sein, sonst wird er im Parlament oder spätestens in einer Volksabstimmung scheitern. Und bislang ist das Abkommen eben nicht mehrheitsfähig: Neben dem grundsätzlichen Widerstand der rechtskonservativen SVP lehnt auch die sonst EU-freundliche Linke den Entwurf in seiner jetzigen Form ab. Sie sorgt sich vor allem um die hohen Schweizer Löhne, die durch das Abkommen unter Druck geraten könnten. Bisher durfte die Schweiz ihr Lohnniveau mit sogenannten flankierenden Maßnahmen schützen. Das Abkommen schwächt diese Möglichkeit ab - zum Ärger der Gewerkschaften und der Sozialdemokraten.

Würde der Bundesrat jetzt unterzeichnen, ohne diese Bedenken ernst zu nehmen, scheitert der Vertrag mit ziemlicher Sicherheit später. Dann offenbar lieber Ärger mit der Börse - zumal Bern vorgesorgt hat: Läuft die europäische Anerkennung aus, wird Bern umgekehrt den EU-Börsen verbieten, mit Schweizer Aktien zu handeln.

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