Schweiz:Initiative gegen Pädophile bringt Parteien in Bedrängnis

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Sollen verurteilte Kinderschänder nie wieder in Berufen arbeiten dürfen, die sie in die Nähe von Minderjährigen führen? Kurz vor der nächsten großen Volksabstimmung stellt eine neue Initiative die Schweizer Parteien vor unbequeme Fragen.

Von Wolfgang Koydl, Zürich

Mit dem Vorurteil, dass ihre Politik langweilig sei, haben die Schweizerinnen und Schweizer nicht erst seit der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative aufgeräumt. Auch früher schon haben sie in schöner Regelmäßigkeit bewiesen, dass ihre Volksbegehren und Referenden Sprengstoff enthalten, der auch außerhalb der Landesgrenzen Debatten entfachen kann. Das ist zuverlässig vor allem dann der Fall, wenn nicht-schweizerische Wähler sich fragen, warum nicht auch sie direkt mitbestimmen können.

Am 18. Mai nun wird das eidgenössische Stimmvolk erneut an die Urnen gebeten, um über drei landesweite Vorlagen zu entscheiden. So müssen die Bürger darüber befinden, ob sie sich den Ankauf einer neuen Generation von Kampfflugzeugen für die Luftwaffe leisten wollen und ob ein landesweit verbindlicher Mindestlohn in Höhe von umgerechnet 3300 Euro im Monat eingeführt werden soll. Solche Themen bewegen auch die Öffentlichkeit in anderen europäischen Staaten, nur dass der Wähler sie dort mehr oder weniger vertrauensvoll in die Hände gewählter Vertreter legt.

Beide Initiativen sind heiß umstritten. Als ziemlich heikel entpuppt sich aber die dritte Vorlage, die von einer Opferschutz-Organisation und einer überparteilichen Parlamentarier-Gruppe vorgelegt wurde: Die Pädophilen-Initiative verlangt, dass rechtskräftig verurteilte Kinderschänder lebenslang das Recht verwirkt haben, einen Beruf auszuüben, der sie in die Nähe von Minderjährigen führt - als Lehrer, Ausbilder, Sporttrainer, Geistlicher oder auch nur Betreuer in einem Ferienlager. Je tiefer man in die Materie eindringt, desto länger würde die Liste der Berufe, die diesen Menschen versagt bleiben würden.

Daher regen sich Unmut und Unbehagen gegen das Volksbegehren, hinter dem die Organisation "Marche Blanche" aus Lausanne steht. Sie ist Ableger einer belgischen Gruppe, die nach dem Bekanntwerden des Skandals um den Sexualverbrecher Marc Dutroux Mitte der 1990er Jahre gegründet wurde.

Zweiter Schlag gegen Pädophile

Treibende Kraft des schweizerischen "Weißen Marsches" ist die 42-jährige Genferin Christine Bussat. Die Mutter dreier Kinder, die im Stadtteil Versoix an sieben Tagen in der Woche am Herd ihrer Imbissbude "Happy Days Coffee" steht, gilt als Galionsfigur der Kinderschützer, seitdem sie im Jahr 2008 mehr oder weniger im Alleingang eine landesweite Volksinitiative lanciert und gewonnen hatte, welche die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern in der Verfassung festschrieb.

Christine Bussat oder ihre Familie wurden nie selbst Opfer eines Verbrechens. Sie engagiert sich, wie sie sagt, aus grundsätzlichen Erwägungen für ihre Kinder: "Sie sind meine Motivation, Kinder sind etwas Wunderbares, das niemand zerstören darf." Nun hat sie mit der Berufsverbots-Initiative zum zweiten Schlag gegen Pädophile ausgeholt. Die Vorlage geht weit über die Gesetzeslage hinaus, die nur eine zehnjährige Berufssperre vorsieht. Sie wird von rechts-bürgerlichen Parteien unterstützt, und auch diesmal stehen die Chancen der streitbaren Genferin nicht schlecht, abermals eine Mehrheit der Wähler für sich zu gewinnen.

Der Grund dafür liegt auf der Hand und gibt den ablehnenden Politikern seit einiger Zeit vermehrt Anlass zu quälenden Zweifeln und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Schließlich möchte niemand auch nur annähernd in den Ruch gelangen, Pädophile verteidigen zu wollen. Doch genau diese Gefahr sehen viele Politiker für den Fall, dass sie zu einer Ablehnung der Gesetzes-Vorlage aufrufen.

Ein "unappetitliches Geschäft"

"Es ist ein unappetitliches Geschäft", umriss es Philipp Müller, der Vorsitzende der schweizerischen Freiheitlichen Partei (FDP). "Tritt man gegen die Initiative an, wird das rasch so interpretiert, dass man Pädophile schützen wolle." Eigentlich sollte Müllers FDP die inhaltliche und organisatorische Führung der Nein-Kampagne übernehmen. Dieses Vorhaben geriet ins Wanken, als die kantonalen Parteiführer der Landesdelegiertenversammlung ein Ja zur Initiative empfahlen. Obwohl sich der Parteitag dann dennoch deutlich für ein Nein entschied, zog die FDP ihre ursprüngliche Zusage zurück.

Aber auch Sozialdemokraten und Grüne sind nicht bereit, in die Bresche zu springen. Offiziell geht es ihnen nicht um die Sorge, einen Pädophilen-Stempel aufgedrückt zu bekommen. Sie weisen stattdessen darauf hin, dass sie schon bei den beiden anderen, am 18. Mai zur Abstimmung stehenden Vorlagen engagiert sind. Tatsächlich sind ein Mindestlohn und eine Senkung der Rüstungsausgaben linke Kern-Anliegen. Unvergessen ist zudem, welchen Anfeindungen die grüne Parlamentspräsidentin Maya Graf ausgesetzt war, als sie im vergangenen Jahr eine Patt-Situation in der Volksvertretung mit ihrer Stimme entschied. Mit ihrem Votum sprach sich die Kammer für eine Ablehnung der Vorlage aus - und über der Präsidentin ergoss sich ein veritabler Shitstorm als vermeintliche Unterstützerin pädophiler Krimineller.

© SZ vom 04.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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