Krieg in der Ukraine:Schweizer Dienste nicht gefragt

Krieg in der Ukraine: Für Bundespräsident Ignazio Cassis wäre es ein großer Erfolg, würden die Kriegsparteien die Schweiz mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragen.

Für Bundespräsident Ignazio Cassis wäre es ein großer Erfolg, würden die Kriegsparteien die Schweiz mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragen.

(Foto: Peter Schneider/dpa)

Diplomatisch geht gerade nichts mehr zwischen Kiew und Moskau. Die Ukraine möchte deshalb, dass die Schweiz ihre Interessen in Russland vertritt. Doch dort ist man keineswegs begeistert von der Idee.

Von Isabel Pfaff, Bern

Die Schweiz hat Erfahrung als Briefträgerin. Seit mehr als 100 Jahren bietet sie anderen Staaten ihre "Guten Dienste" an, betätigt sich also als Vermittlerin, Gesprächsanbahnerin oder Ersatz-Botschafterin, wenn Länder ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen haben. Zurzeit vertritt sie beispielsweise die Interessen der USA in Iran, die von Iran in Ägypten oder die von Georgien in Russland und umgekehrt.

Ein solches Schutzmachtmandat würde sie nun auch gern im Fall der Ukraine übernehmen. Das Land hat seine Beziehungen zu Russland nach Beginn des Angriffskriegs im Februar abgebrochen. Wie das Schweizer Außenministerium kürzlich mitteilte, hat es beiden Parteien zu Beginn des Krieges "aktiv" seine Guten Dienste angeboten. Mit Kiew seien die Verhandlungen über ein Schutzmachtmandat inzwischen abgeschlossen: Die Ukraine möchte also, dass die Schweiz ihre Interessen in Russland vertritt, das heißt, einen Teil ihrer diplomatischen und konsularischen Aufgaben in Moskau übernimmt.

Das bekräftigte auch der ukrainische Botschafter in Bern in einem Interview vergangene Woche: Zahlreiche ukrainische Kinder und Zivilisten seien verschwunden oder nach Russland verschleppt worden. "Wir wollen unsere Kinder und Bürgerinnen und Bürger zurück." Dafür brauche die Ukraine die Hilfe der Schweiz.

Russland will nicht

Doch es sieht so aus, als klappe das ausgerechnet in diesem wichtigen Konflikt nicht - weil Russland nicht will. Das Moskauer Außenministerium machte jüngst deutlich, dass es die Schweiz in diesem Krieg nicht mehr als neutral betrachte und ein Schutzmachtmandat für Kiew in Moskau deshalb nicht infrage komme. Tatsächlich hatte Russland die Eidgenossenschaft schon im März auf eine Liste "unfreundlicher" Staaten gesetzt, weil die Schweiz seit diesem Zeitpunkt regelmäßig die Sanktionen der EU gegen Russland übernimmt. "Es ist unklar, wie es einem Land, das sich so verhält, überhaupt möglich ist, Vermittlung, Vertretung und andere Gute Dienste anzubieten", sagte ein Sprecher des Moskauer Außenministeriums laut der russischen Nachrichtenagentur Tass.

Das Schweizer Außenministerium wiederum räumte am Montag auf Anfrage ein, dass Russland sein Einverständnis geben muss, damit das Schutzmachtmandat in Kraft treten kann. Man habe "Kenntnis genommen" von der Positionierung des Außenministeriums. Aber: "Diskretion ist ein entscheidendes Element, um Gute Dienste leisten zu können." Deshalb würden im Moment keine weiteren Auskünfte erteilt.

Die Schweiz ist auf einem turbulenten Selbstfindungstrip

Bern will die Hoffnung offenbar noch nicht aufgeben, dass es vielleicht doch noch klappen könnte mit dem Mandat. Das verwundert nicht. Seit in der Ukraine Krieg herrscht, befindet sich die Schweiz auf einem sehr turbulenten Selbstfindungstrip. Ist sie noch neutral, wenn sie Wirtschaftssanktionen mitträgt? Gibt es überhaupt Alternativen zur Selbstverortung im westlichen Lager oder wäre das wirtschaftlicher und politischer Selbstmord? Was kann die im Volk stark verankerte Neutralität in diesen Zeiten leisten, was ist sie überhaupt noch wert?

Fest steht: Als Vermittlerin war die Schweiz bislang weder personell noch als Standort gefragt. Als besonders großer Erfolg galt auch die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Lugano Anfang Juli nicht. Stattdessen irritierte das Land seine Partner mehrmals - etwa mit dem anfänglichen Zögern bei der Sanktionsfrage, dem anhaltenden Rohstoffhandel mit Russland oder den Verboten, aus der Schweiz stammende Rüstungsgüter an die Ukraine weiterzugeben. Immer wieder musste das Land erklären, wo es eigentlich steht.

In dieser Lage wäre es ein großer Erfolg für Außenminister und Bundespräsident Ignazio Cassis, würden beide Kriegsparteien die Schweiz mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragen. Bern hätte endlich den Beweis dafür, dass die helvetische Zurückhaltung in diesem Krieg letztlich dem Frieden und der Verständigung dient - und nicht vorrangig dem eigenen Vorteil, wie ein häufiger Vorwurf an die Eidgenossen lautet.

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