Die Schweiz bricht die Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) über ein institutionelles Rahmenabkommen ab. Das teilte die Regierung am Mittwoch mit. "Substanzielle Differenzen" mit der EU habe man nicht ausräumen können, sagte Außenminister Ignazio Cassis. Bei den strittigen Punkten handle es sich um "wesentliche Interessen der Schweiz", der Spielraum in den Verhandlungen sei begrenzt. Die EU-Kommission teilte mit, die "einseitige Entscheidung der Schweizer Regierung zur Kenntnis" zu nehmen und zu bedauern.
Mit dem Abbruch der Gespräche droht eine Art Schwexit, die Beziehungen zwischen Bern und Brüssel dürften nun schleichend erodieren. Bislang garantierte ein dichtes Geflecht von bilateralen Verträgen die enge Anbindung der Schweiz an die EU, obwohl das Land weder Unionsmitglied noch Teil des Europäischen Wirtschaftsraums ist. Dank diesem Sonderweg nimmt die Schweiz in vielen Bereichen barrierefrei am Binnenmarkt teil. Mit dem Rahmenabkommen wollte Brüssel eigenen Angaben zufolge mehr Fairness und Rechtssicherheit durchsetzen: Es müssten "für alle gleiche Bedingungen gelten, die im EU-Binnenmarkt agieren, zu dem auch die Schweiz einen signifikanten Zugang hat", hieß es.
Nun müssen Bern und Brüssel einen gänzlich neuen Anlauf nehmen
Brüssel dringt daher schon länger darauf, den Schweizer Weg stärker zu institutionalisieren - einerseits, um nicht jede Neuerung im EU-Recht einzeln mit der Schweiz verhandeln zu müssen, aber auch, um bei Streitfällen einen Schlichtungsmechanismus zu haben. Vier Jahre lang verhandelten die Partner miteinander, Ende 2018 lag ein Vertragsentwurf vor. Im Kern sieht er für die Marktzugangsabkommen zwischen Bern und Brüssel eine automatische Rechtsübernahme vor, zudem soll es ein paritätisch besetztes Schiedsgericht geben. Doch da viele politische Akteure der Schweiz Zweifel hatten, wurde der Vertrag nicht unterzeichnet.
Es gibt etwa grundsätzliche Bedenken, weil sich das Schiedsgericht bei der Auslegung von EU-Recht auf den Europäischen Gerichtshof stützen würde - aus Schweizer Sicht also auf "fremde Richter". Weitere Streitpunkte betreffen die staatlichen Beihilfen, die Aufweichung des Lohnschutzes und die Unionsbürgerrichtlinie. Die Schweizer Regierung hat zuletzt versucht, die strittigen Punkte mit der EU in Nachverhandlungen zu klären - ohne Ergebnis.
Mit dem Verhandlungsabbruch ist nun klar, dass Bern und Brüssel einen gänzlich neuen Anlauf nehmen müssen, um ihr Verhältnis zu regeln. Denn dass es weitergehen könnte wie bisher, hat die EU verneint: Ohne Rahmenabkommen werde die Union keine neuen Verträge mehr mit der Schweiz schließen und die bestehenden nicht aktualisieren. Am Mittwoch wurde deutlich, dass sie das ernst meint: Seit dem 26. Mai gilt in der EU eine neue Medizinprodukteverordnung. Brüssel hat das entsprechende Abkommen nicht aktualisiert. Für die Schweizer Medizintechnikbranche bedeutet das, dass sie ihre Waren nicht mehr barrierefrei in die EU exportieren kann. Die Rückstufung auf Drittland-Status sei mit hohen Kosten verbunden, teilte der Verband der Schweizer Medizintechnik mit.