Schweiz:Eine Partei erfindet sich neu

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Christoph Blocher (hier bei einer Kundgebung in Lausanne) war lange der starke Mann der SVP. Das Rennen um seine Nachfolge ist offen. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Inmitten des globalen Rechtsrucks schwächelt die SVP - und versucht jetzt, mit einem Weichspülprogramm ihr Image zu modernisieren.

Von Charlotte Theile, Bern

Albert Rösti hat gute Laune. Mit Handy am Ohr tritt der Vorsitzende der Schweizerischen Volkspartei (SVP) aus dem Bundeshaus. Er winkt und spricht auch dann noch ins Handy, als er seinen Gast bereits entdeckt hat. Die Begrüßung ertönt also zweimal, einmal durchs Telefon, einmal durch die Luft. Rösti führt durch den Sitz des Schweizer Parlaments, strahlendes Lächeln, Anekdoten, Witze. Wenn der Schweizer Rechtspopulismus ein freundliches Gesicht hat, dann ist es das von Albert Rösti, der sich mit 51 Jahren selbstbewusst als Bauernsohn bezeichnet.

Die erste Frage erwischt Rösti unerwartet. Patriarch Christoph Blocher, inzwischen 78 Jahre alt, zieht sich zurück, die Partei schwächelt in Umfragen, hat seit Jahren keine Abstimmung gewonnen. Stirbt die SVP mit Christoph Blocher? Rösti lacht laut auf, verneint dann. Blocher sei heute Abend in einer Talkshow zu sehen, auch die Partei sei lebendig und wohlauf. Dass es Probleme gibt, bestreitet Rösti nicht. Blocher könne man nicht ersetzen. Und während in vielen Nachbarländern ein Rechtsrutsch zu beobachten ist, profitiert die SVP von diesem Trend nicht, im Gegenteil. Rösti glaubt: "Wir hatten diesen Aufbau ab den 1990er-Jahren, sind von 10 auf knapp 30 Prozent angewachsen."

Doch je rechter die Politik überall auf der Welt wird, desto unwohler scheinen sich die Schweizer als rechtskonservatives Musterland, als Vorbild von Pegida, AfD und Co. zu fühlen. Forderungen, die in der kleinen, stets friedlichen Schweiz harmlos wirken, klingen in Deutschland oder den USA bedrohlich. Auch Rösti hält die internationale Entwicklung für schwierig, grenzt sich so weit als möglich davon ab.

Ganz anders lebt das Roger Köppel, Chefredakteur der Weltwoche und seit 2015 für die SVP im Nationalrat. Köppel wird als Kronprinz Blochers gehandelt - auch wenn er in Bern oft durch Abwesenheit glänzt und in seiner Doppelrolle als Politiker und Journalist von seinen Redakteuren und SVP-Abgeordneten kritisiert wird. Köppel ist nicht der Einzige, der sich als Nachfolger von Christoph Blocher in Stellung gebracht hat. Auch dessen Tochter Magdalena Martullo-Blocher, die die Firma ihres Vaters leitet, sitzt seit 2015 im Nationalrat, hat sich als urschweizerische, fleißige Politikerin einen Namen gemacht.

Köppel dagegen gilt vielen als Luftikus - und als Bindeglied zur internationalen Rechten. Zuletzt lud er Steve Bannon und Thilo Sarrazin nach Zürich ein. Die Anfrage dieser Zeitung erreicht ihn in Los Angeles, wo er einige "Meetings" habe. Köppel, der vor einigen Wochen bei den Demonstrationen in Chemnitz auftauchte, betont, dass er diese Kontakte als Journalist pflege. Es sei seine Pflicht, "mich mit den meistdiskutierten politischen Entwicklungen auseinanderzusetzen, am besten, indem ich mir selber ein Bild davon mache". Doch Köppel prahlt auch, gute Kontakte zum ungarischen Regierungschef Viktor Orbán zu haben. Umso stärker die Rhetorik von Rösti: "Die SVP als Partei hat keinen Kontakt zu ausländischen Parteien. Solange ich Präsident bin, wird sich das nicht ändern."

Die "Existenzberechtigung" der SVP liege in ihrem klaren Kurs. Nur wenn sich die Partei auf ihre Grundprinzipien besinne, die Souveränität gegenüber Europa, Selbstbestimmung und direkte Demokratie verteidige, habe sie "nach Blocher" eine Perspektive. Rösti betont die Bedrohung: Die EU wolle die Schweiz vereinnahmen.

Noch vor einigen Jahren gewann die SVP mit der Abgrenzung zu Europa Abstimmungen. Heute hat das Thema an Kraft verloren. Ende November stimmt die Schweiz über einen Vorstoß ab, von dem man lange befürchtete, er könnte das Land international isolieren. Unter dem Titel "Schweizer Recht statt fremde Richter" soll in der Verfassung festgeschrieben werden, dass diese Verfassung über dem Völkerrecht steht. Die Initiative zielt auf die Europäische Menschenrechtskonvention, mit deren Regeln die Schweizer Abschiebepraxis mehrmals kollidierte. Sollte sich der Vorstoß durchsetzen, könnte die Schweiz aus der Konvention austreten - ein Schritt mit gewaltiger Symbolkraft.

Die ersten Umfragen aber sagen eine Niederlage voraus. Und der gerade angelaufene Abstimmungskampf deutet auf eine Zeitenwende hin: Ein angeblich unabhängiges "Forum für Demokratie und Menschenrechte" versucht mit modern gemachten Videos darzulegen, warum die Initiative nur ein klares Bekenntnis zur Demokratie darstellt. Die Kampagne der SVP zeigt junge, urbane Menschen. Fremdenfeindliche Provokationen oder das Logo der Rechtspartei sucht man auf den Plakaten vergeblich. Das alte Poltern ist einem Weichspülprogramm gewichen.

Roger Köppel schreibt aus LA: "Wenn das Vaterland ruft, sage ich nicht Nein."

Auch Roger Köppel sieht die direkte Demokratie als wichtigstes Thema der kommenden Wahlkämpfe. Im alten Polterstil schreibt er, die SVP stehe hier "gegen alle anderen". Weiter schreibt Köppel aus LA, er traue sich ein Regierungsamt zu: "Wenn das Vaterland ruft, sage ich nicht Nein." Im Kampf um die Blocher-Nachfolge musste er dagegen eine Niederlage einstecken. Magdalena Martullo wurde im März zur Vizepräsidentin der Partei gewählt. Christoph Blocher und seine Tochter lehnten eine Stellungnahme aus Zeitgründen ab.

Ob in einem Generationenwechsel eine Chance liegen kann? Neue Themen, neue Wähler? Rösti verweist auf junge Politikerinnen wie Natalie Rickli, die als einzige SVP-Vertreterin gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer gestimmt hat. Dann benennt er das, was SVP-Politiker sonst gern vermeiden: die rote Linie, die Grenze nach rechts außen. "Wenn das Ausländersein ein negatives Kriterium ist, wenn man Menschen verachtet, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Das geht gar nicht." Und natürlich, vieles verändere sich. "Wir werden gesellschaftsliberaler. Natürlich haben wir viele Wähler im traditionellen Bereich. Aber auch in den Bauernfamilien gibt oft die Frau den Ton an. Ich finde, es soll jede und jeder leben, wie er oder sie will."

Rösti nickt zufrieden. Er ist Präsident einer Partei, die sich neu erfindet. Und auch wenn er vielen nur als freundliches Aushängeschild gilt, hat sich die SVP klar in seine Richtung entwickelt. Der starke Mann der schweizerischen Rechten ist vielleicht längst der, der ihr offiziell vorsteht.

© SZ vom 18.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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