Schweiz:Die Schweiz stimmt überraschend links
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Von Charlotte Theile, Zürich
Wenn in der Schweiz Grundsatzentscheidungen anstehen, sind knappe Abstimmungen zu erwarten. Oft trennen Gewinner und Verlierer nur ein paar Tausend Stimmen. An diesem Sonntag war es anders: Obgleich mit der erleichterten Einbürgerung und der Besteuerung von internationalen Unternehmen zwei Grundsatzentscheidungen vor das Volk kamen, fielen die Ergebnisse erstaunlich klar aus. 60 Prozent der Schweizer votierten für die erleichterte Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation - bislang hatten sich die Schweizer regelmäßig dagegen ausgesprochen, die Bedingungen für das Bürgerrecht herabzusetzen.
Doch für Personen unter 25 Jahren, die in der Schweiz geboren und zur Schule gegangen sind und deren Eltern und Großeltern bereits im Land gelebt haben, soll es fortan weniger kompliziert und teuer sein, den Schweizer Pass zu erhalten. Bundesrat und Parlament hatten die Vorlage ausgearbeitet.
60 Prozent votierten für die erleichterte Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation
Vorausgegangen war eine emotionale Debatte - die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei (SVP) hatte mit Bildern von vollverschleierten Frauen vor "unkontrollierter Einbürgerung" gewarnt, alle anderen Parteien hatten betont, dass vor allem Enkel der italienischen Gastarbeiter von der Erleichterung profitieren würden. Die junge Organisation "Operation Libero", die sich im Wahlkampf für die Einbürgerung der "Terzos", wie die Ausländer der dritten Generation genannt werden, engagiert hatte, feierte das Ja als "kleinen Schritt zu einem liberalen Bürgerrecht".
Schlechter dürfte die Stimmung beim Schweizer Finanzminister Ueli Maurer (SVP) sein. Die von ihm ausgearbeitete Unternehmenssteuerreform erlitt an der Urne überraschend eine deutliche Niederlage, 59 Prozent der Schweizer votierten dagegen. Die Vorlage sah vor, die Unternehmenssteuern zu erhöhen, die in der Schweiz sehr niedrig sind. Andernfalls würde die Schweiz bald von der OECD auf eine schwarze Liste gesetzt, was Sanktionen zur Folge haben könnte.
Um zu verhindern, dass Unternehmen nach dem Wegfall der Steuerprivilegien das Land verlassen, enthielt die Vorlage neue Vergünstigungen und Abzugsmöglichkeiten. Diese hätten die Steuerzahler in den nächsten Jahren bis zu drei Milliarden Franken gekostet. Für die Sozialdemokraten, die gegen die Vorlage gekämpft hatten, gingen die Steuergeschenke zu weit. Auch die konservative frühere Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hatte die Vorlage als unausgewogen kritisiert. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass sich die Linke in einem Referendum durchsetzen konnte. Auf Finanzminister Ueli Maurer kommt nun viel Arbeit zu: Sein Ministerium muss eine neue Vorlage erarbeiten, um die international geächteten Steuerprivilegien abzuschaffen.