Eigentlich hätte der Dienstag ein guter Tag für Alain Berset sein können. Der Schweizer Bundespräsident und Gesundheitsminister eröffnete das Weltwirtschaftsforum in Davos - traditionell ein Augenblick globaler Aufmerksamkeit für die kleine Schweiz. Doch während Berset die Wirtschaftsbosse und Regierungsmitglieder aus aller Welt in gewohnt stilsicherer Manier begrüßte, verdüstert sich seine Lage am Regierungssitz Bern zusehends.
Der 50-jährige Sozialdemokrat war in Pandemiezeiten ein beliebter Minister, er galt als krisenfester Bundesrat, dem auch kleine Affären, etwa die Erpressung durch eine ehemalige Geliebte, nichts anhaben konnten. An seiner Seite stand verlässlich viele Jahre lang sein Kommunikationschef Peter Lauener - bis er im vergangenen Sommer das Ministerium überraschend verließ. Wochen später kam heraus, warum: Gegen Lauener wird wegen des Verdachts auf Amtsgeheimnisverletzung ermittelt, der 52-Jährige saß kurz vor seinem Rücktritt sogar einige Tage in Untersuchungshaft.
Der "Blick" machte publik, was die Politik erst danach entschied
Jetzt hat die Zeitung Schweiz am Wochenende publik gemacht, was wohl dahinter steckt: Lauener soll während der ersten beiden Pandemiejahre engen E-Mail-Kontakt mit dem Chef des Ringier-Konzerns, Marc Walder, gepflegt haben. Ringier gibt unter anderem die Boulevardzeitungen Blick und Sonntagsblick heraus.
Wie die Schweiz am Wochenende schreibt, legen die E-Mails zwischen Lauener und Walder nahe, dass Ringier-Medien dank der engen Kontakte ins Gesundheitsministerium vorab über brisante Corona-Entscheidungen berichten konnten. So titelte etwa der Blick im November 2020 exklusiv mit der Nachricht, dass die Schweiz Impfstoff erhalte, die Verhandlungen mit Biontech und Pfizer stünden vor dem Abschluss. Am Tag zuvor habe Bersets Kommunikationschef dem Ringier-CEO gemailt: "Die Gelder für den Impfstoff sollten wir wohl erhalten." Man unterzeichne bald einen Vertrag mit Pfizer.
Auch im März 2021 überraschte der Blick seine Leser mit einer Exklusivnachricht. Private Treffen in Innenräumen seien nun wieder mit zehn statt nur mit fünf Personen erlaubt. Es war der Beschluss des Bundesrats - noch bevor dieser ihn am selben Tag fällte. Laut Schweiz am Wochenende hatte Lauener seinen Kontaktmann Walder über anstehende "wichtige Entscheide" der Regierung informiert und einen direkten Austausch mit Gesundheitsminister Berset in Aussicht gestellt.
Die Zeitung beruft sich auf E-Mails und Einvernahmeprotokolle von Lauener, Walder und Berset, die ihr vorliegen. Und sie stellt den Verdacht eines Tauschhandels zwischen Ringier und dem Gesundheitsministerium in den Raum: exklusive Infos gegen wohlwollende Berichterstattung. Tatsächlich begleitete der Blick den Corona-Kurs des Ministers Berset mit eher positiven Artikeln. Wie mittlerweile die Auswertung einer Masterstudentin am University College London belegt, äußerten sich Ringier-Medien deutlich seltener negativ über dessen Gesundheitsministerium als über die Corona-Politik des Bundesrats generell.
Hier liegt der Kern der Affäre: Dass Medien vorab berichten, was ihnen Regierungskreise zuspielen, gehört zum journalistischen Alltag. Schwierig wird es, wenn solche Indiskretionen dazu führen, dass Journalisten ihren kritischen Blick verlieren. Das beschäftigt nun Ringier, aber auch andere Schweizer Medienhäuser wie die NZZ oder Tamedia, die sich aus dem aktuellem Anlass ausführlich zu ihrer Arbeitsweise äußern. Bei Ringier kommt erschwerend hinzu, dass CEO Marc Walder schon vor einem Jahr Schlagzeilen mit einem Video machte, in dem er explizit von einer Unterstützung der Regierung durch die Ringier-Medien sprach.
Bersets Position ist auch ohne diese Affäre schon schwach
Die größte Frage in der Affäre betrifft jedoch Alain Berset. Was wusste er? Ist denkbar, dass sein Kommunikationschef die Kontakte zu Ringier auf eigene Faust gepflegt hat? In Bern glauben das nur wenige. Das könnte Berset gefährlich werden. Er hat zwar gerade turnusgemäß für ein Jahr den prestigereichen Posten als Bundespräsident übernommen, doch er steht unter gehörigem Druck.
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Sein Wahlergebnis im Parlament fiel schlecht aus, und aus den Verhandlungen über die Ressortverteilung im Bundesrat ging er als Verlierer hervor. Medienberichten zufolge wollte Berset nach zehn Jahren im Innen- und Gesundheitsministerium das Ressort wechseln und sich damit noch ein paar Jahre im Bundesrat sichern. Doch er behielt seinen Posten. Zudem halten derzeit die Lateiner die Mehrheit in der Regierung, was vielen in Bern ein Dorn im Auge ist. Der frankophone Berset ist der Amtsälteste unter ihnen, weshalb sein Rücktritt schon nach den Bundesratswahlen im Dezember im Raum stand. Nun lastet auch noch die Ringier-Affäre auf ihm. Möglich, dass die Schweizer Regierung schneller als erwartet ein neues Mitglied braucht.