Süddeutsche Zeitung

Alain Berset:Schweizer Bundespräsident gerät unter Druck

Der Sozialdemokrat Alain Berset ist der neue Bundespräsident der Schweiz. Eigentlich verspricht das rotierende Amt Chancen - wenn da nicht ein überraschendes Störfeuer wäre.

Von Isabel Pfaff, Bern

Alain Berset ist wieder einmal an der Spitze. Im Beliebtheitsranking der Schweizer Regierungsmitglieder schaffte es der 50-jährige Sozialdemokrat im vergangenen Sommer auf Platz eins - wie schon im Jahr zuvor. Eloquent, gut aussehend, auf internationalem Parkett charmant und stilsicher: Berset, der schweizerische Innen- und Gesundheitsminister, hat Glamour-Faktor. Zu Spitzenzeiten der Pandemie war der frankophone Politiker zudem der Corona-Erklärer der Nation und hat diesen Job in den Augen vieler Schweizerinnen und Schweizer gut gemacht.

Nun übernimmt Berset für ein Jahr das Amt des Schweizer Bundespräsidenten. Der Posten umfasst vor allem repräsentative und organisatorische Aufgaben und rotiert unter den sieben gleichberechtigten Mitgliedern des Bundesrats, wie die Schweizer Exekutive heißt. Berset, der seit mehr als zehn Jahren Bundesrat ist, darf daher schon zum zweiten Mal Präsident sein.

Berset weiß sich zu inszenieren

Eigentlich sehen Bundesräte dieses Amt als Chance: Sie gewinnen an Sichtbarkeit und können durchaus ein paar eigene Akzente setzen. Berset zum Beispiel unternahm in seinem ersten Präsidialjahr 2018 an die 20 Auslandsreisen, besuchte Flüchtlingslager in Asien und Afrika, unterstützte Friedensverhandlungen in Mosambik, versuchte zwischen den USA und Iran zu vermitteln. Und ob nun Absicht dahintersteckte oder nicht: Mit einem Foto während der UN-Generalversammlung in New York, das den Minister lesend auf einem Bordstein sitzend zeigte, setzte Berset seinem Land und natürlich auch sich selbst ein Denkmal.

Ob es auch dieses Mal so glänzend für ihn laufen wird, ist alles andere als sicher. Es ging schon mit seiner Wahl im Dezember los: Eigentlich handelt es sich um eine Formalie, da das Bundespräsidentenamt nach Dienstalter rotiert. Umso genauer wird deshalb das Resultat analysiert, und da erzielte der sonst so beliebte Innenminister eines der schlechtesten aller Zeiten: Nur 140 von 232 Parlamentariern stimmten für ihn. Hinzu kam, dass das Parlament am selben Tag zwei neue Mitglieder des Bundesrats zu wählen hatte und mit der SP-Politikerin Elisabeth Baume-Schneider überraschend eine Frankophone aus dem Kanton Jura zur Bundesrätin machte. Ein Störfeuer für das traditionell fein austarierte Gleichgewicht in der Schweizer Regierung zwischen Parteien, Sprachgruppen und Regionen - und ein Problem vor allem für Berset.

Als amtsältester Lateiner steht er plötzlich schlecht da

Denn durch Baume-Schneiders Wahl sind die Lateiner - also die Französisch- und Italienischsprachigen - im Bundesrat in der Mehrheit, obwohl sie nur ein knappes Drittel der Bevölkerung ausmachen. Diese Schieflage widerspricht der Verfassung, viele Abgeordnete wollen sie bei der nächsten Gelegenheit beseitigen - und die bietet sich schon im kommenden Dezember, wenn die Abgeordneten nach den Parlamentswahlen im Herbst auch den Bundesrat neu wählen. Der größte Rücktrittsdruck lastet dabei auf dem amtsältesten Lateiner: Alain Berset.

Startet da gerade eine schweizerische lame duck ins Präsidialjahr? Glaubt man Alain Berset, ist das natürlich Quatsch: "Ich bin ab 2023 der Amtsälteste und gleichzeitig der Jüngste. Ich bin noch voller Energie und habe Lust, weiterzumachen!", sagte Berset kürzlich. Energie braucht der studierte Politologe und Ökonom aus dem Kanton Freiburg auch. Er leitet eines der größten Schweizer Ministerien und verantwortet dort Bereiche mit Sprengkraft, etwa die Altersvorsorge und das Gesundheitssystem. 2017 noch bezeichneten Journalisten Alain Berset als "Monsieur Tausendsassa". Fünf Jahre später, so scheint es, muss sich der Minister neu erfinden.

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