Schweiz:Bern greift ein

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Noch einmal durchfegen, dann wird auch im Restaurant "La Carretta" in Davos vorerst geschlossen: Die Schweiz verschärft angesichts der bedrohlichen Corona-Situation ihre Maßnahmen. (Foto: Gian Ehrenzeller/dpa)

Weil die Maßnahmen der Kantone zu keinem Absinken der Infektionszahlen geführt haben, will nun der Bundesrat Corona-Regeln vorgeben. Manche Schweizer reagieren mit Empörung.

Von Isabel Pfaff, Bern

Die Schweizer Regierung hat neue landesweite Corona-Eindämmungsmaßnahmen angekündigt. Die epidemiologische Lage verschlechtere sich zusehends, teilte der Bundesrat nach einer Sondersitzung am Dienstagabend mit. "Die Zahl der Ansteckungen ist hoch und steigt wieder an, die Betten auf den Intensivstationen sind weiterhin stark ausgelastet." Deshalb sollen ab kommenden Samstag Restaurants, Läden und Freizeitbetriebe täglich um 19 Uhr schließen und am Sonntag ganz zu bleiben. Privat dürfen sich nur noch fünf Personen aus zwei Haushalten treffen; an den Feiertagen dürfen es zehn sein. Auch öffentliche Veranstaltungen sollen verboten werden, abgesehen von religiösen Feiern und Parlamentssitzungen. Die Regierung muss diese Maßnahmen zwar noch mit den Kantonen besprechen und will sie erst am Freitag beschließen, aber sie lässt wenig Zweifel daran, dass die neuen Regeln kommen werden.

Der Bundesrat übernimmt damit wieder stärker die Führung. Zwar herrscht noch immer keine "außerordentliche Lage" wie im Frühling, als die Zentrale in Bern, ermächtigt vom Epidemiengesetz, durchregieren konnte. Aber auch die derzeit gültige "besondere Lage" erlaubt der Bundesregierung unter bestimmten Bedingungen, die eigentlich für die Pandemie-Eindämmung zuständigen Kantone zu überstimmen.

Das sei "nicht die feine föderalistische Art", kommentiert entrüstet die Neue Zürcher Zeitung. Und auch die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) lehnt den "massiven Eingriff" des Bundesrats ab. Angesichts der kantonalen Unterschiede seien flächendeckende Maßnahmen nicht nachvollziehbar.

Die Todesrate in der Schweiz zählt zu den höchsten weltweit

Allerdings zeigt ein Blick auf das Schweizer Infektionsgeschehen, dass die vielzitierten regionalen Unterschiede wandern: nämlich dorthin, wo die Maßnahmen weich sind. Die heftig betroffenen Kantone der Westschweiz haben mit zum Teil harten Lockdowns ihre Zahlen einigermaßen in den Griff bekommen; jetzt weisen das Tessin und die deutschsprachigen Kantone im Norden und Osten die höchsten Inzidenzwerte auf. Insgesamt stagnieren die Neuinfektionen derzeit auf hohem Niveau, und die Todesrate der Schweiz zählt inzwischen zu den höchsten weltweit.

Die Zahlen zeigen: Die im europäischen Vergleich erstaunlich lockeren landesweiten Maßnahmen in Kombination mit kantonal spezifischen Einschränkungen hatten nicht den gewünschten Effekt. Innen- und Gesundheitsminister Alain Berset hatte deshalb den Kantonen schon vergangene Woche mit zentralen Maßnahmen gedroht, wenn diejenigen mit steigenden Fallzahlen nicht entsprechend reagieren. Einige kündigten daraufhin eine Verschärfung an; im Kanton Aargau jedoch wollte man alles beim Alten belassen. Offenbar hat dieses erneute Zaudern den Bundesrat bewogen, die Maßnahmen nun zu vereinheitlichen.

Während das bürgerlich-konservative Lager diesen Schritt nun als inkohärent und Verletzung der kantonalen Hoheit kritisiert, begrüßen Parteien und Beobachter aus dem Mitte-Links-Spektrum den Eingriff. Aus beiden Lagern indes ist der Vorwurf der Planlosigkeit und Willkür aufseiten des Bundesrats zu hören: Eine klare Eindämmungsstrategie sei nicht zu erkennen, heißt es bei mehreren Parteien.

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