Schweiz begrenzt Zuwanderung:Möglich ist jetzt alles

Switzerland to vote on initiative against mass immigration

Eine Plakatkampage zur Zuwanderungsbegrenzung beherrscht das ganze Land

(Foto: dpa)

Die Schweizer stimmen für eine Begrenzung der Zuwanderung. Nun muss Bern die Freizügigkeit mit der EU neu verhandeln. Das Votum stellt das gesamte Verhältnis mit Brüssel in Frage.

Von Kathrin Haimerl

Auf dem Bahnhof in Zürich sieht man teilweise den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Grund sind die Plakate der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die mit einem Apfelbaum erfolgreich Stimmung gegen "Masseneinwanderung" macht. Der Baum auf den Plakaten trägt pralle, rote Früchte. Eher bedrohlich hingegen sollen wohl seine Wurzeln wirken, die die Umrisse der Schweiz umkrallen, so dass diese zu bröckeln anfängt. Daneben steht in brachialer Rhetorik: "Masslosigkeit schadet!" Und: "Masseneinwanderung stoppen JA".

Die SVP bedient sich damit nicht etwa biblischer Symbolik. Das Bild vom Apfelbaum hat der Schweizer Wirtschaftsdachverband "economiesuisse" benutzt, um für die Personenfreizügigkeit zu werben. Für Wohlstand und Wirtschaftswachstum soll der Baum wohl stehen.

Für ein Wachstum also, das vielen Schweizern unheimlich geworden ist, zumindest lässt sich das Ergebnis der Volksabstimmung auch so interpretieren. 50,3 Prozent der Schweizer Wahlbürger haben sich dafür ausgesprochen, dass Zuwanderung begrenzt werden sollte. Wie dies konkret aussehen soll, ist allerdings noch völlig unklar.

Sicher ist nur: Die Schweiz wird das Abkommen mit der Europäischen Union über den freien Personenverkehr neu aushandeln müssen - und zwar innerhalb der kommenden drei Jahre. So sieht es der angenommene Referendumstext der SVP vor. Geregelt ist der freie Personenverkehr in dem bilateralen Abkommen mit der EU, genannt Bilaterale I. Die EU ist entsetzt - auch wenn die Schweiz gar nicht Mitglied der Union ist. Doch schließlich geht es um ein Grundprinzip in Europa: die Freizügigkeit.

Nur: Kann man dieses Prinzip so einfach aufkündigen?

"Rechtlich möglich ist alles", sagt der Konstanzer Europarechtler David Thym zu Süddeutsche.de. Schließlich haben sich die Schweizer 1992 in einem anderen Referendum gegen die Aufnahme in den Europäischen Wirtschafts- und Währungsraum ausgesprochen. Dieses Votum wird jetzt immer wieder angeführt, wenn es darum geht, die Bedeutung der aktuellen Volksabstimmung klarzumachen.

"Ihr kriegt das, was ihr wollt, wenn wir das kriegen, was wir wollen"

Als Reaktion auf das Votum im Jahr 1992 hat die EU mit der Schweiz die sogenannten "Bilaterale I" ausgehandelt. Motto: "Ihr kriegt das, was ihr wollt, wenn wir das kriegen, was wir wollen", erklärt Thym. Die Schweizer wollten engere Handelsbeziehungen, Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Die EU wollte Freizügigkeit für ihre Bürger. Konkret wurden daraus dann sieben bilaterale Abkommen.

In der aktuellen Debatte verweist die EU-Kommission nun auf die sogenannte Guillotine-Klausel: Die sieben Abkommen sind rechtlich miteinander verknüpft. Wenn eine Seite ein Abkommen kündigt oder verletzt, fallen alle anderen auch weg, erklärt Thym. Heißt: Das Votum der Eidgenossen stellt das komplette bilaterale Verhältnis zur EU in Frage.

Thym sagt: "Die Abkommen können jederzeit von beiden Seiten gekündigt werden. Die Kündigung tritt dann sechs Monate später in Kraft." Wobei eine Kündigung der Abkommen eher unwahrscheinlich sei. Vielmehr dürfte es eine "Frage des politischen Verhandlungsgeschicks" sein, ob und inwiefern die Schweiz die von den Bürgern geforderte Kontingentierung der Einwanderung durchsetzen könnte, sagt Thym. Die EU werde mit Sicherheit eine Gegenleistung fordern, etwa Informationsaustausch über Steuersünder.

Switzerland to vote on initiative against mass immigration

Die Gegner der SVP-Initiative antworten - genau - auch mit Apfelbäumen.

(Foto: dpa)

Brüssel fürchtet Nachahmer in den eigenen Reihen

Doch so kurz vor den Europawahlen sieht der Europarechtler keinen Verhandlungsspielraum. Brüssel fürchtet Nachahmer in den eigenen Reihen. Etwa Großbritannien, dessen Premier David Cameron auch ganz gerne mit Parolen gegen Zuwanderung auf Wählerfang geht. Von der CSU mal ganz abgesehen.

Und dann gibt es da noch eine weitere Hürde: Ein neues Abkommen mit der Schweiz müsste von allen Mitgliedstaaten einstimmig abgesegnet werden. Das heißt also, dass jeder EU-Staat ein Vetorecht hat. Auch das Europaparlament könnte den Schweizern noch einen Strich durch die Rechnung machen. Denn es müsste einem solchen Abkommen zustimmen.

Eine Kontingentierung, wie sie der SVP möglicherweise vorschwebt, gibt es schon in der unmittelbaren Nachbarschaft. Und zwar in Liechtenstein. Allerdings hat das Fürstentum vor allem praktische Gründe angeführt: Der Staat und somit das besiedelbare Gebiet ist nur ein paar Quadratkilometer groß. Darauf dürfte sich die Schweiz nicht berufen können. Ohnehin dürfte es für die Eidgenossenschaft schwierig werden, die Forderung nach Kontingenten für Zuwanderer in Brüssel überzeugend zu begründen.

Bei den sieben Abkommen mit der Schweiz ist vor allem das über die Personenfreizügigkeit zentral, sowie das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen. Letzteres erlaubt es schweizerischen Unternehmen, Industrieproduktie ohne weitere Zulassungsprüfung in der EU auf den Markt zu bringen. Die EU ist für die Schweiz der wichtigste Handelspartner.

Für die Wirtschaft kommt die Abstimmung zur Unzeit. Denn eigentlich wollte die Schweiz diese Woche mit der EU über ein neues Abkommen verhandeln. Es geht um die sogenannte "Bilaterale III", um ein neues institutionelles Rahmenabekommen. Es soll der Schweiz diskrimierungsfreien Zugang zu weiteren Binnenmarktsektoren ermöglichen.

Das dürfte jetzt erst mal auf Eis liegen.

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