Schweiz: Bankgeheimnis:Der quälende Abschied von der Lebenslüge

Der Handel mit geklauten Daten bringt die Schweiz der Erkenntnis näher: Es war schön mit dem Bankgeheimnis - nun hat die Zeit danach begonnen.

Thomas Kirchner, Zürich

Und wenn die Deutschen gelogen haben? Wenn die CD mit den Steuerdaten überhaupt nicht existiert? Wie sagte doch der frühere Finanzminister Peer Steinbrück einst: Die 7. Kavallerie von Yuma müsse gar nicht ausreiten, "die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt". Niemand wisse, ob es die Daten wirklich gebe, meint der St. Galler Bankier Konrad Hummler, "diese Panik ist Wahnsinn". Alles nur ein Bluff? An solche Strohhalme klammern sich manche Schweizer. Aber so verlockend die These klingt, den meisten ist natürlich bewusst, dass sie nicht stimmt, dass die Schweiz in der Falle steckt, dass sie diesmal keinen Haken mehr schlagen kann.

Schweiz: Bankgeheimnis: Die Zeiten, in denen die Schweiz als Steueroase galt, sind wohl vorbei.

Die Zeiten, in denen die Schweiz als Steueroase galt, sind wohl vorbei.

(Foto: Foto: dpa, iStockphoto, AP / Grafik: sueddeutsche.de)

Das Bankgeheimnis steht vor dem Ende. Es hat einige Tage gedauert, bis diese Erkenntnis durchsickerte im Land. Die ersten Reaktionen auf das Auftauchen der Steuer-CD waren verhalten, ja fast lässig, doch im Laufe der Woche dämmerte allen die Dimension der Affäre. Als gäbe es kein anderes Thema mehr, schwoll der Chor der Wortmeldungen zu einem Brausen an, wie es zuletzt beim Niedergang der Swissair zu vernehmen war. Und es geht, wieder einmal um alles, um die Identität des Landes, um seine Mythen. Aber was genau ist passiert?

Als Steueroase steht die Schweiz schon lange am Pranger. Vor knapp einem Jahr lenkte die Regierung schließlich ein, unter massivem Druck aus den USA musste sie einen Teil des Bankgeheimnisses aufgeben, aus Angst um die größte Schweizer Bank UBS. Tatsächlich war es wieder nur Teil jenes Rückzugsgefechtes, mit dem die Schweiz ihren milliardenwerten Wettbewerbsvorteil verteidigt. In diesen Tagen hat sich nun zweierlei getan. Zuerst verwarf das Schweizer Bundesverwaltungsgericht das UBS-Abkommen mit Washington: Ein vermeintlicher Befreiungsschlag entpuppte sich als windiger - und illegaler - Deal. Dann kam die CD-Affäre mit Deutschland. Die Lehre aus beidem: Es ist vorbei mit den Spitzfindigkeiten, den Heucheleien, den Tricks, den - Lügen. Es war schön mit dem Bankgeheimnis, nun hat die Zeit danach begonnen. In ihr herrscht das Realitätsprinzip.

"Ob wir wollen oder nicht"

Das haben, und das ist die entscheidende Wende, inzwischen auch Leute verstanden, von denen man es nie gedacht hätte. "Das Bankgeheimnis wird fallen, und zwar bald. Da bin ich hundert Prozent sicher. Es funktioniert nicht mehr. Wir können keine Insel bleiben in der globalisierten Welt. Wir müssen uns anpassen, ob wir wollen oder nicht." Der das sagt, ist kein Linker oder Grüner, die das seit Jahren predigen. Es ist Urs Hany, Bauunternehmer aus Hochfelden bei Zürich und Parlamentsabgeordneter für die Christlich-Demokratische Volkspartei (CVP). Statt in den geplanten Skiurlaub ist er am Samstagmorgen in seine Firma gefahren. Er will reden. Der stattliche, bärtige Politiker verkörpert geradezu die Mitte der Schweiz: ein erfolgreicher Geschäftsmann, der gesellschaftspolitisch ein bisschen nach links neigt, wirtschaftlich nach rechts. Bis Ende vergangenen Jahres fand er das Bankgeheimnis noch ganz prima. "Ich habe mir keine großen Gedanken darüber gemacht, wie viele Steuern da hinterzogen werden." Und er hätte auch kein echtes Problem damit, wenn es einfach so weitergegangen wäre. Doch der Pragmatiker in ihm hat jetzt Stopp gerufen. Es geht eben nicht mehr weiter. "Ich weiß, dass man diese Sätze nicht erwartet von mir", sagt Hany. "Ich weiß auch, dass ich in meiner eigenen Partei in der Minderheit bin."

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Der automatische Informationsaustausch wird kommen

Stimmt, der Präsident seiner Partei, Christophe Darbellay, denkt ganz anders. Für die Schweizer bleibe das Bankgeheimnis bestehen, sagt er. Darüber werde "nicht neu diskutiert". Das gleiche Bild in der FDP, der zweiten großen Schweizer Mittepartei: Während deren Präsident Fulvio Pelli den alten harten Kurs vertritt, melden sich immer mehr Abweichler, gerade aus der Bankenstadt Zürich. So ist das Land komplett zerrissen in diesen Tagen, zumindest in seinem deutschsprachigen Teil: hie die Einsichtigen, die immer mehr werden; dort jene, die sich noch gegen die Flut stemmen. Im Parlament gehe alles kreuz und quer, wie im Hühnerstall, in den der Fuchs eingebrochen sei, ätzt die Zeitung Blick.

Gespalten sind aber auch die Medien: Der Zürcher Tages-Anzeiger, der den Schlamassel seit langem kommen sah, weist mit klugen Analysen den Weg nach vorn. Die Neue Zürcher Zeitung wirkt rat- und richtungslos, weil sie ihre Bankennähe wie einen Klumpfuß mit sich schleppt. Die Betonfraktion ist weiterhin mächtig. Dazu zählen Leute wie der Ex-FDP-Chef Gerold Bührer, der jetzt den Wirtschaftsdachverband "economiesuisse" führt, Urs Roth, Chef der Bankiervereinigung, oder Toni Brunner, Vorsitzender der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP). Sie sagen Dinge wie: Man müsse jetzt entschlossen auftreten. Man habe Fehler in der Kommunikation gemacht. Die Privatsphäre der Bürger müsse gewahrt und vor dem gefräßigen Staat geschützt werden. Und sie fordern Vergeltung für die Angriffe aus Deutschland. Brunner sagt auch: "Die Landesregierung hat keine Eier."

Die Schweizer Horrorvorstellung

Jedenfalls ist das Siebener-Gremium, der Bundesrat, von Verwirrung befallen und zerstritten. Wenn sie Finanzministerin im Ausland wäre, würde sie den Kauf gestohlener Bankdaten auch erwägen, bekundet Außenministerin Micheline Calmy-Rey: "Man ist ja stets auf der Suche nach Geld und sieht's nicht gerne, wenn Leute Steuerflucht begehen." Finanzminister Hans-Rudolf Merz wiederum untergräbt die Schweizer Position mit der Aussage, dass man auch über den automatischen Informationsaustausch reden müsse, in den die EU die Schweiz einbeziehen möchte. Dann müssten die Schweizer Banken die Namen und Daten aller ausländischen Anleger von sich aus an deren Fiskus melden - eine Horrorvorstellung für die Schweiz. Um diese Kapitulation zu vermeiden, haben diverse Leute die "Abgeltungssteuer" aus der Schublade gekramt, eine Idee aus Bankenkreisen: Die meisten Anlageerträge von Ausländern in der Schweiz würden mit einer pauschalen Steuer von bis zu 35 Prozent belegt, die ans Ausland überwiesen wird. Wie ein Mantra wird der Begriff wiederholt. Jedoch: Deutschland findet die Idee erklärtermaßen schlecht, weshalb sich die Schweiz die Diskussion über diesen Vorschlag von vornherein sparen könnte. Berlin will Namen statt anonymer Überweisungen, will wissen, wer wieviel Geld außer Landes schafft. Kurzfristig erhält Deutschland durch das Steuerabkommen, über das mit Bern verhandelt wird, immerhin schon Amtshilfe bei konkretem Verdacht auf Hinterziehung. Das ist jener OECD-Standard, auf den die Schweiz im vergangenen Frühjahr einschwenkte.

Nichts spricht dafür, dass der Druck auf die Schweiz in nächster Zeit nachlassen wird. Es steht also zu erwarten, dass sich Bern dem automatischen Informationsaustausch irgendwann nicht mehr verweigern kann. Die einzige Möglichkeit, diesem Szenario vielleicht zu entgehen, sehen manche in einer offensiven Weißgeld-Strategie à la Liechtenstein. Die dortigen Banken werden von 2015 an von jedem britischen Anleger eine Bescheinigung verlangen, dass ihr Vermögen ordentlich versteuert ist. Mit einem Musterabkommen hat sich Vaduz aus dem Reputationsloch befreit. Kein Wunder, dass immer mehr Schweizer, selbst der SVP-Vordenker Christoph Blocher, auf diese Lösung schielen.

Zu klären bliebe, was mit dem Geld geschieht, das schon in der Schweiz lagert. Der Steuerexperte Lothar Schneider schlägt vor, das Geld in echte Stiftungen zu stecken. Nützlich wäre auch, dass endlich jemand aufsteht und den Schweizern reinen Wein einschenkt. Diese Forderung ist von vielen Seiten zu hören. "Es muss einer kommen und sagen: Wir haben einen Fehler gemacht", meint Ulrich Thielemann, der in St. Gallen Wirtschaftsethik lehrt. "Es fehlt ja immer noch das Unrechtsbewusstsein hier." Vorzugsweise sollte es eine Figur aus dem konservativen Lager sein, wie weiland der damalige Credit-Suisse-Boss Rainer E. Gut, der im Streit mit den USA über die jüdischen Konten der hilflosen Regierung das Heft des Handelns aus der Hand nahm. Er kenne einen hohen Banker, der in Frage käme, sagt Urs Hany. Den Namen dürfe er aber nicht nennen.

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